(CLXXIII.)

Die Verwundten.

[619] Das Aug / der Werkzeug deß edelsten Sinnes / kan sich selbsten nicht sehen als vermittelst deß Spiegels: der Mensch / das edelste Geschöpf / kan sich nicht besserer und sicherer betrachten / als durch andrer Leute Unglück und Zufälle. In eignen Sachen sind auch die Klugsten blind / weil sie sich gleichsam durch die ungewissen Gegenstralen anschauen müssen: in deß Nechsten Beschaffenheit aber ist ein jeder scharffsichtig / weil er solches mit nicht unterbrochnen Augenliecht betrachtet / und kommet das Aug mit dem Verstand in vielen Würkungen artig über ein / deßwegen auch der Apostel seinen Ephesern wünschet erleuchte Augen deß Verstandes / in der Epistel an dieselbe 1. v. 18. Hier wollen wir nun von merkwürdigen Verwundenen reden / welche theils genesen / theils den Geist / wegen geringer Wunden aufgegeben.

2. Ein Haubtmann Sant Martin genannt / wurde in dem Palhaus mt einem Pallen ober das rechte Ohr geschlagen / dardurch wurde das Haubt erschůttert / jedoch ohne Geschwulst oder Verwundung: er achte es auch nicht sonders / wie wol er den Schmertzen klagte. Dieses verursachte ihm den Schlag / daß er in sechs Stunden hernach todt zur Erden fiele. Montaigne l. 1. des Essais. c. 19.

3. Ihr zween wurden mit einander ob den Spiellen strittig: der eine versetzet dem andern einen Backenstreich; darüber er so plötzlich erschrickt / daß ihn der Schlag rühret / und in wenig Stunden todt[619] zur Erden sinket. Der Thäter kommet darüber in Verhafft / und werden die Artzneyverständige zusammen erfordert /zu sagen. Ob dieser Tod von dem Schlag / oder einem andern Zufall entstanden?

4. Etliche waren der Meinung / daß durch den Backenstreich die bösen Feuchtigkeiten erreget worden. Etliche sagten daß dieser Zufall von übermässigen Essen und Trinken entstanden / welcher auch erfolget were. Wann er gleich die Maulschelle nicht empfangen hätte. Etliche sagten daß der Verstorbne zuvor lang auf der Seiten geschlaffen / auf welche er nochmals geschlagen worden. In diesem Zweiffel ist der Thäter loßgesprochen worden.

5. Es hat auch ein Knab seinen Bruder mit der Faust auf den Magen geschlagen / daß er plötzlich zu Boden gesunken / und seinen Geist aufgegeben. Anton. Bevivenius. c. 110. exemplor. medicinal.

6. Antoni Ferrier / ein Knab von 13. Jahren wurde mit einem Weiden-Ast auf das Haubt geworffen. Er war nicht verwundet / hatte auch keine Beulen / den zehenden Tag hernach war der Schaden (welchen er für nichtes achtete) entzündet mit Geschwulst: darauf ereignete sich der halbe Schlag / welcher die rechte Seiten lähmte / benebens einem hitzigen Fieber / und Verirrung in dem Haubt. Den eilfften Tag hat er den Geist aufgegeben. Fr. Valleriola observ. 1. lib. 3.

7. Merkwürdig ist auch / daß allhier in Nürnberg eines Freyherrn Diener von einem Haan / mit deme er sich vexiret / in dem Schlaff gehacket worden / daß man ihm viel Beinlein aus dem Haubt nehmen müssen / weil der Schaden erstlich verwarlost worden: nach etlichen Wochen wurde er wieder geheilet / und durch einen guten Wundartzt Friedrich Kühn genamt /zu recht gebracht.

8. Deßgleichen hatte sich allhier ein Kind aus dem Fenster gestürtzet / und das Haubt auf den Steinen zerfallen / daß das Gehirn / oder wie andre gewolt[620] /desselben Schaum / auf dem Pflaster geklebt; ist aber doch wieder zurecht kommen und von einem guten Wundartz Georg Rötel geheilet worden.

9. Die Wunden werden unterschieden / und etliche Lämbden oder Lähmungen genannt / wann ein Glied /als Arm oder Bein gelähmt oder unnütz gemachet wird. Hierunter wird auch gerechnet ein abgehautes Ohr / Nasen / Finger etc. und alles / was man nicht wie sonsten gebrauchen kan.

10. Etliche sind Fleischwunden / welche in das Fleisch eines Nagelbreits gehen / und so lang seyn mögen / als der längste Finger. Etliche sind Beinschrötige Wunden / welche biß auf das Bein gehen und auch selbes verletzen. Etliche werden offne Wunden genennet / die an keinen gefährlichen Orten leichtlich geheilet werden mögen. Etliche sind Schandmahle / Schamschusse / deren Wundmahl nicht zu vertreiben. Grün und blau schlagen / oder blutrüstig mit Steinen werffen oder prüglen / gehöret eigendlich nicht zu der Verwundung.

11. Diese Unterscheidung wird von den Juristen zu dem Ende angefůhret / daß auf so begebene Fälle die Straffen nach hergebrachten Rechten / auch unterschieden werden sollen. Das Gesetz Aug um Aug /Zahn um Zahn hat nunmehr keine Krafft: weil dem Verwundten nicht mit bedienet ist / daß der Verwundter auch beschädiget werde / und ist sonderlich die Ursache das Absehen / und das Gemůt dessen / der solchen Schaden zugefüget zubetrachten / als nach welchen ümständen die Bestraffung zu erkennen.

12. Zum Beschluß muß ich noch einen leswürdigen Fall vermelden. Ein Handelsmann allhier / hatte aus seiner Nativitet / oder Stern-Urtheil / welches er ihme nach seiner Geburtstund aufsetzen lassen / verstanden / daß ihm ein benennter Tag sehr unglücklich seyn wůrde. Solchem zu entfliehen / bleibt er zu Hause /auf den Abend wil er eine Feder schneiden / und lässet das Federmesserlein fallen / daß es[621] ihm in den Fuß eine Ader trifft / und ihn tödtlich verwundet: massen auch nachgehends der kalte Brand darzu geschlagen /und er seinen Geist darüber aufgegeben. Zu diesem hette man auch sagen mögen: Dir geschihet wie du gegläubet hast.


Freundschafft die zur Feindschafft wird

gleicht der Wunden

die geheilet und verbunden

doch ein Mahl und Striemen führt.

Zu deß Ungewitters Zeit

antet man das alte Leid.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 619-622.
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