(CLXXVIII.)

Die ruchlose Gesellschafft.

[642] Vier Kinder spielten in einem Hause / und trieben grossen Mutwillen: das eine fiele / das andre hatte sich gestossen / das dritte hatte sich verrenket / und dem vierten wurde Staub in die Augen geworffen /daß es nicht sehen kunte. Die ersten zwey laugneten /daß sie Mutwillen getrieben / und vermeinten der Vaterrute zuentfliehen. Diese wolten ůber einen schmalen Steg lauffen / und sind in ein tiefes Wasser gefallen und ersoffen. Die andern zwey aber kamen zu ihrem Vater / bekennten ihr Unrecht / und baten üm Gnad und väterliche Hülffleistung. Der Vater war ein frommer Mann / und liesse ihnen durch seinen gehorsamen Sohn wieder helffen.

2. Die Deutung dieser Fabel oder Lehrgedichts wird erhellen aus nachgehender Erzehlung / welches wir die böse Gesellschafft nennen / und hat sich solches begeben / theils zu Goldin in Churland / theils auf dem Land herum. Wir wollen nicht verhoffen /daß sich jemand dardurch beleidiget finden sol / welcher vielleicht den benannten Edelleuten verwandt und bekant: weil kein Geschlecht in der Welt / darinnen nicht etliche unartige solten zufinden seyn: gleich wie auch kein Mensch / der von allen Lastern befreyt lebet / und gebrauchen wir uns solcher Erzehlungen von der ruchlosigkeit / wie deß Giffts in den Tiriack.

3. Es haben sich in vorgemelter Statt Goldin vor wenig Jahren drey Edelleute unn ein Schneider aufgehalten / welche von Jugend auf allen Sünden / Schanden und Lastern ergeben / und solche unter ihre Tugendtitel zehlten / wie heut zu Tage der[642] Welt Gebrauch ist. Der Edelleute Namen waren folgende Ganzou Blumberg / und Prink. Diesen gesellte sich der Schneider zu / weil er ihres gleichen war / und Vögel gleicher Federn gerne mit einander fliegen /wie das Sprichwort saget.

4. Diese vier verschworen sich in 8. Jahren 1. kein Vater Unser zu beten / 2. sich nicht zu waschen / 3. keine Haare abschneiden zulassen / und 4. keine Nägel abzukürtzen. Ob das nun eine ruchlose Gesellschafft zu nennen / ist aus ihren Gottes und Zuchtvergessnen Gelübd abzunehmen. Wie sehr sie sich darbey verschworen / ist leicht zu ermessen: massen / der böse Geist in dergleichen Leuten seine Werkstatt /daß sie rechte verteuffelte Leute / durch welche und in welchen er würket alles das übel / so sie begehen.

5. Keine Sünde war ihnen zu viel: Sie ermordeten die Leute auf der Strassen / nicht ihnen etwas abzunehmen / sodern aus Hochmut ihren Spott mit den Sterbenden zu treiben: gestalt noch ein Kreutz aufgerichtet / unferne von besagter Statt Geldin / darunter ein Wandersmann begraben / den sie erschlagen. Sie hatten die Kunst sich fest zu machen. Huren und Buben war ihnen eine Tugend / Fressen und Sauffen eine Ehre / Spielen und Trügen ihr grösster Ruhm.

6. Auf eine Zeit entzweyte sich Blumberg oder Prink / (der Name ist mir abgefallen) bey dem Trunk /mit seinem Bruder / und wolte sich mit ihm rauffen. Andre so darbey waren / brachten sie von einander /und wurde die Sache auf den nüchtern Morgen auszutragen versparet. Inzwischen entschläfft der Bruder und leget die beeden Arme auf den Tisch / und in dieselbe das volle Haubt. Der rachgierige Edelman ersihet die Gelegenheit und hauet mit seinem breiten Reutresdegen seinem ertschlaffenen Bruder das Haubt ab / daß er in allen seinen Sünden dahin gestorben.

7. Als nun die Schergen Hand an ihn legen / und er sich nicht gefangen geben wollē / gebrauchen sie Gewalt wieder Gewalt / und machen ihn also nieder:[643] weis nicht / ob ihm einer die Kunst aufgethan / oder ob seine Zeit aus / auf welche sie gegeben worden. Prink aber hat sich zu todt gefallen / als er zu einer Dirne / bey Nachts einsteigen wollen. Haben also diese beede nicht das vierte Jahr in ihrem Sünden-Leben geraset / und werden nun ihre Urtheil empfangen an jenem grossen Tage. Dieses sind die zwey bösen Kinder welche in der Fabel der Vaterrute über den schmalen Steig entfliehen wollen.

8. Gantzou gange auff einen Abent in seinen Stall /die Pferde zu besehen / und bildet ihm ein / er gienge auf vollen Leuten / welche von der Trunckenheit eingeschläffert / durch seine Fußtritt wieder aufgewecket wurden. In diesen Gedanken eilet er aus dem Stall: kan sich aber solcher Einbildung nicht entfreyen /sondern vermeynet beharrlich / daß ihme viel Trunkenbolde unter den Füssen legen. Seine Diener begleiten ihn zu Bette. Er fängt an von seinen Gesellen zu fabeln / und bittet man solte ihm doch diese versoffne Leute aus der Kammer schaffen.

9. Die Geistlichen besuchen ihn: es wil noch Trost / noch Gebet hafften / und er kommet fast gantz von Sinnen. Man thut allgemeine Fürbitte und bestellet ihn feine Christliche Leute / die ihm wachen und warten sollen / welche auch so viel bey ihm ausrichten /daß er auf den rechten Weg gebracht wird / seine Sünde hertzlich bereuet / sie Gott abbittet / und mit gutem Verstand in wahrer Gottseligkeit / sein Leben auf dem Bette endet.

10. Als solches dem noch übrigen Schneider wissend worden / hat er sich in solchen Straff- und Gnadenspiegel seiner Gesellen ersehen / und bedacht sein Leben zu bessern / von Sünden abzustehen / und gutes zu thun / damit er nicht auch / wie seine Brüder kommen möchte an den Ort der Qual / welcher bereit ist dem Satan und seinen Engeln / deren Feuer nicht verlischt / und der Wurm nicht aufhöret zu nagen.

11. Es kame also der Schneider in den Beichtstul[644] /gabe sich fůr einen reuigen Sünder dar / und bate üm Vergebung. Der Beichtvater kennte diesen Gesellen nicht / sprache ihn gleich andern loß / und ließ ihn gehen. Folgenden Morgens / als er nach vollendter Predigt zu dem Altar tretten wil / und deß heiligen Abendmahls theilhafftig werden / findet sich ein solcher Nebel für seinen Augen / daß er tappet wie ein Blinder in der Demmerung / und kan den Altar nicht finden.

12. Dieses nehmen die Anwesenden in acht und wolten ihn hinleiten: er aber schlägt in sich und bekennet / daß er noch nicht genugsame Reue über seine grosse Sünde gehabt / und sich deßwegen noch der Zeit solcher heiligen Speise gantz unwürdig achte. Nach deme er nun wieder aus der Kirchen gekommen / ist er wieder sehend worden / und hat sich von gantzem Hertzen zu Gott bekehret / und das heilige Nachtmahl würdig empfangen.


Gute Sitten sich verstellen

durch die bösen Rottgesellen.

Halte dich zum weisen Mann

und laß böse Buben gehen /

so wirst du mit Lob bestehen /

ob gleich ein erdichter Wahn

bey den bösen bringet Schimpf:

macht dir doch die Warheit Glimpf.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 642-645.
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