(VI.)
Die obsiegende Einfalt.

[26] Der Liste und dem Gewalt wird mit Fug entgegen gesetzet die Einfalt / welche den Kindern zugeschrieben unnd mit der Tauben verglichen wird; da man hingegen die List der Nachteulen / und den Gewalt dem Adler / Sperber und Raubvögeln zueignet. Diese Tauben-Einfalt soll mit der Schlangen Klugheit verbunden seyn / das ist: die Redlichkeit soll fürsichtig wandlen / weil die betrügliche Welt aller Orten ihre Fallstricke gelegt hat / und der blinden Einfalt meuchelartig nachzustellen pfleget / allermassen aus nachgesetzter lustiger Erzehlung zu betrachten seyn wird.

2. Zu Bergamo / einer benamten Statt in der Lambardia / wohnte eine Wirth oder Gastgeb / welcher den Ruhm hatte / daß er ein redlicher und einfältiger Mann were: allermassen die Landsart mehr von den Teutschen / als andrer Italianer Sitten mit sich bringet / und hingegen die Genueser / ihre Ehre in dem Betrug zu suchen pflegen. Isidorus / der Wirt / hatte unter andern Gästen einen Soldaten / (welchen wir Hermetem nennen wollen) von Genua / ohne Sold und Dienst / der doch einen als den andern Weg wol essen / genug trincken / und nicht übel schlaffen wolte.

3. Nach dem dieser Hermes etlichmals seine Mahlzeiten[26] geborget / etlichmals bezahlet / und ihm also ein Vertrauen gemachet / bezeichnet er seine Schuld für jede Mahlzeit mit dem Dolchen an die Thür / und solches thäte er vielmahl / daß der Stiche nicht wenig / und mit der Schuldforderung überein stimmten. Der Wirt erheischet sein Gelt / der Soldat ziehet ihn von einem Tage zu dem andern auff / und zahlt nichts miteinander.

4. Nach dem endlich Hermes deß Isidori Gedult verzehret / beklagt er jn für dem Stattrichter / welcher allezeit ein Venetianischer Edelmann ist / und bittet den Soldaten zu Abstattung seiner Zehrung anzustrengen. Hermes läugnet für die Schuld / und sagt / daß er bey dem Wirt zwar gezehret; aber jedesmals bezahlt / und würde Isidorus ihm / als einen Fremden und Soldaten so viel nicht hinauff geborgt haben: Der Richter fragt: wie der Wirt sein Schuld erweisen wolle? Er antwortet: Mit des Schuldners eigenhändiger Verschreibung. Hermes versetzt / daß er die Schuld hundertfach bezahlen wolle / wann Isidorus einen Buchstab von seiner Hand vorweisen würde; massen ihm wol wissend / daß noch er schreiben / noch der Kläger lesen könne.

5. Der Richter befihlt / er solt die Schuldverschreibung vorzeigen / und also den Beklagten überweisen / wann er nit wolte sachfällig werden. Isidor bittet kurtze Zeit solche zu holen und eilet nach Hauß / hebt die Thür auß ihren Anglen / und bringt sie für den Richter / sagend; dieses ist deß Soldaten Schuldverschreibung / diese etliche Zeile hat er mit seiner eissern Federn geschrieben / welche er hierzugegen an der Seiten trägt / auf den Stillet deutend: so viel der Stich / so viel Mahlzeiten ist er mir schuldig.

6. Der Richter ziehet deß Soldaten Stillet auß der Scheiden / und probiret / ob die Löchlein mit eben diesem Eisen gemacht worden / nach befindung der Warheit / welche er zugleich in deß Klägers einfältigem Angesicht gelesen / achtet er diesen Beweiß für genugsam / und legt dem Soldaten die Bezahlung auff. Hermes findet einen Freund / der ihm so viel Gelt / als er schuldig / leihet / und bezalet den Wirt völlig.[27]

7. Nach diesem fast lächerlichem Handel sucht er wider Kundschafft zu Isidor / und zehret ferner bey jm als ob dieses alles nicht were vor gangen. Damit er aber die Schuld-Verschreibung nicht wider für den Richter bringen könne / zeichnet er die Zechen mit dem Dolchen in die Mauren / und als sich die Schuld gehäuffet / läugnet er abermals dafür / und wird deßwegen wider beklaget.

8. Wer einmal betrogen hat / der ist verdächtig / wann er redlich handelt / und wer zu lügen pflegt / dem glaubet man auch die Warheit nicht. Der Richter kante nun diesen leichtfertigen Gesellen / und glaubte leichtlich / daß er eine neue List ausgesonnen. Der Wirth sagte / daß die Schuldbekantniß über diese letzte Post verschlossen were / und mit Oberherrlichen Insiegel verwahret / wolte aber der Richter gnädigen Befehl ertheilen / daß jemand von Gerichtswegen das Siegel eröffnen möchte / so wolte er die Schuldverbrieffung sehen lassen.

9. Der Richter war ein frölicher Mann / und wolte selbst mit gehen / und sehen wie die Sache beschaffen / fande auch daß mit eben dieser eisern Federn / auff die Mauren / wie zuvor auff das Holtz / die Schuld geschriben; deßwegen dann Hermes zu der Bezahlung beurtheilt worden / und dieweil er nicht wolte in die Gefängnuß gehen / musste er seinen Mantel / Degen und andres Gerätlein / welches auff gut Soldatisch sehr leicht / verkauffen / und den Wirt befriedigen.

10. Nachdem er nun durch diesen Wirt in einen armen Zustand gesetzet worden / ersinnet er eine Gegenklag / und sagt / daß Isidor 1. einen Platz demantelieret / der ihm zuständig / und von grosser Wichtigkeit gewesen. 2. daß er ihn schmertzlich verwundet. 3. daß er ihn seines Gewehrs beraubt. Der Richter wolte diese Rähtsel verstehen / und fragte wie er es meinte. Der Platz / sagte der Soldat / ist mein Leib / den hat der Wirth demanteliret / in dem er mich hat meinen Mantel zu verkauffen genötiget. Die Wunden / welche er mir gehaut / ist mein Mund / den er zuvor mit Speiß und Tranck gefüllet / und hat er mir den Degen neben der Seiten[28] weg gestossen / weil ich selben auch verkauffen / und ihm darmit zahlen müssen. Die lustige Erfindungen haben dem Richter so wol gefallen / daß er ihm einen Zehrpfennig verehret / und Isidor hat sich seiner auch erbarmet / und ihm eine Beliebung gethan / damit er widerum nach Hause kommen können.

11. Als ich dieses schreibe / hat sich vor einer Stund / ein fast trauriger Fall allhier zu Nürnberg zu getragen / welchen ich / weil es eine abgelaugnete Schuld gleichfals betroffen / hieher setzen will. Ein Beck heischt an einen Bauren anderhalben Reichsthaler / so er seinem Vatter vor 20. Jahren geliehen / der Bauer ist der Schuld nicht geständig / und gehen beede auff deß Burgermeisters Hauß zu. Der Kläger hat keinen Beweiß / ausser dem Eidschwur / sondern bittet unter wegs Gott / daß er ein Zeichen an ihm thun solle / wann seine Anforderung falsch und erdichtet. Der Bauer beharrt / daß er ihm nichts schuldig / bevor sie nun vor dem Burgermeister entschieden werden / fält der Beck auff der Gassen nieder und ist rein todt / daß man ihn weg tragen muß / wie ich ihn mit Augen gesehen.

12. Die Lehr ist leichtlich zu fassen / daß nemlich die Falschheit und der Betrug von Gott hier zeitlich und dort ewig gestraffet werde. Es ist die gröste Kunst ein ehrlicher Mann seyn / dessen Mund und Hertz überein stimmet / und die Wort und Wercke gleich lauten / welches der lieblichsten Music kan vergliechen werden. Wie in recht erworbenem Gut der Segen ist / so ist hingegen in unrecht erworbenem Reichthum der Fluch / der auch das rechtmässige Gelt aufffrisset: daher die alten Teutschen gesagt: was hilfft viel Gelt haben / wann der Teuffel den Schlüssel darzu hat? der es nemlich gewinnen / und widerum schändlich durchbringen hilfft.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XXVI26-XXIX29.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.