(VII.)
Die glückliche Vnbedachtsamkeit.

[29] Die Ebreer haben ein Sprichwort: Die Warheit hat starcke Füsse und bestehet; die Lügen hat schwache Füsse und fället bald. Dieses ist auß vorgehender Erzehlung beglaubet worden / soll aber mit nachgehender noch ferners ausfündig gemachet werden; allermassen auff einen Lehrsatz unterschiedliche Geschichte gebracht werden können / wie in den Gesprächspielen angeführet / zu lesen.

2. Die Statt Embden ist eine von den Gelt- und Volckreichsten Stätten / welche die Natur mit Anfuhrten versehen / und zu dem Gewerb gleichsam gewidmet / daß es billich heißt; grosse Stätte / grosse Sünde / weil unter einer grossen Menge Volcks die wenigsten fromm zu seyn pflegen / daher sie auch gleichsam Freyplätze sind / dahin sich die Vbelthäter begeben / und unerkandt in Sicherheit leben mögen. Solcher Hoffnung sind in besagte Statt zween Jünglinge geflohen / welche zu Cobelentz einen reichen Kauffmans Sohn / bey Nachts auff der Gassen ermordet. Die Schergen grieffen nach den Thätern / deren einer da / der ander dort hinauß geloffen / wie die Hüner / wann sie den Hachten sehen.

3. Pomponatz hatte die andern angeführt / und war der forderste an den Reyen / deßwegen auch der erste in der Flucht gewesen; wol wissend / daß er auch ausser Land nicht wol sicher / weil deß Entleibten Vatter viel auff gute Kundschafft und Außspähung der Thäter wenden würde. Marcel sein Vatter riethe ihm / er solte nach Embden / dahin er auch handelte / und gibt ihm Brieffe mit / nicht zwar / als seinem Sohn sondern als einem Diener / der sich wol und ehrlich verhalten hätt.

4. Durch diese Schreiben kommt Pomponatz in Dienst eines sehr vermöglichen Kauffmanns / welchen wir Apponal nennen wollen. Bey diesem hält er sich fleissig / getreu / verständig / und also / daß ihm der Handel meinsten Theils vertrauet wurde. Damit er aber seines reichen und[30] geitzigen Herrn Gunst je mehr und mehr gewinnen möchte / setzet er seinen Lohn und alles was ihm sein Vatter heimlich zuschickte / mit auf / suchte aber darunter eine andre Sache / wie zu verstehen auß folgender Erzehlung.

5. Fortunia / Apponals Tochter / ware nach Art der Friesländerin frey auferzogen / und hielte mit diesem ihres Vattern vertrautsten Diener mancherley Gespräch / welches deß Cupido schärffster Pfeil mit guten Ursachen kan genennet werden. So viel und offt diese beede miteinander zu reden kommen / so finden sie doch jemehr und mehr zusprechen / und können niemals alles sagen was sie gedencken. Hierdurch füget sich eine solche Liebesneigung / daß Pomponatz auß Unbedacht herauß bricht / und wie Simson der Delila / dieser Fortunia sein Geheimniß eröffnet / wie er nemlich Marcellus Sohn. Dieses machte die Liebe / welche die Jungfer gegen Pomponatz getragen / leichtlich glauben / daß sie sich an ihn mit ehelichen Versprechen heimlich ergeben.

6. Inzwischen nun Pomponatz vielleicht einen Handel mit seiner Vertrauten geführet / welchen ihm sein Herr nicht befohlen hat / findet sich Triphon / seinem Außgeben nach / ein vornehmer Herr / welcher mit prächtigen Kleidern / vielen Dienern und kostbaren Zehrung ein grosses Ansehen hatte / und Fortuniam zu ehelichen begehrte. Der Vatter wuste diese einige Tochter nicht besser anzubringen / als bey diesen Gelderischen Herrn / und versprache sie halb und halb / weil sonderlich Triphon keiner andern Aussteur / als der Jungfrau Schönheit begehrte / etc.

7. Dieser Triphon war ein Meister unter den Beutelschneidern / und hatte mit seinen Gesellen zu Lüttig bey 7. in 8000. Kronen an Geld und Kleinodien entwendet; damit er aber nicht möchte außgespähet werden / hat er sich als einen Freyherrn auffgeworffen / unnd den Raub in Wolleben verzehret / der Hoffnung / Apponal werde ihn endlich wol ernehren müssen / wann er nur sein Tochtermann werden könte; gab ihm deßwegen zu verstehen / man müsse die[31] Heurat in der Stille halten / damit seine Eltern nit einträchtig würden / daß er / der Herrnstands seye / eine Kauffmanns Tochter freyen solte.

8. In was Nöthen Fortuna und Poponantz / ist leichtlich zu gedencken. Als die Heuratsnotel außgesetzet und Apponal seine Tochter mit dieser Zeitung erfreuen verhofft / sagte sie mit vielen Thränen / daß sie ein Hertz und einen Leib / welchen sie zweyen zugleich nicht ergeben könte; sie were einem andern versprochen / und könne Tryphon nicht zu theil werden. Apponal will über dieser Bekantniß rasend werden / und wissen / wer denn der jenige seye / den sie diesen Freyherrn auß Unbedacht vorgezogen.

Fortunia versetzte / daß sie alles / was sie gethan nicht mit Unbedacht / sondern mit reiffen Vorsinnen zu Wercke gerichtet / und bittet ihren Vatter / er wolle nicht scheiden / was GOtt zusammen gefüget / und were sie entschlossen / lieber zu sterben / als Triphon zu heurathen; allermassen sie hierdurch einen Ehebruch zu begehen benothsachet werden würde.

9. Endlich bricht sie herauß / und erzehlet wer Ponponantz seye / und wie sie sich mit ihm ehelich verbunden. Apponal hielte ihn für einen Betrüger / und untreuen leichten Gesellen / der durch solchen erdichten Stand ihm seine Tochter zu verführen gedächte; er zörnet sich also / und lässet Poponantz in Verhafft setzen / um ihn zu gebührlicher Straffe zu ziehen. Die Tochter aber / weil sie ihm ungehorsam / unnd seinen Knecht dem Herrn Triphon vorziehet / will er nicht mehr vor seinen Augen sehen.

10. In dem nun Ponponantz auß der Gefängniß seinen Vatter berichtet / wie es ihm ergangen / fallen dem Apponal die Schuppen von den Augen / und erfähret er wer Triphon ist / massen einer seiner Diener ein Kleinod zu Gelt machen wollen / und dardurch die Rauber deß vorbesagten Schatzes entdecket. Dieser deß Triphons Gesell bekennet alsobald / wie es hergangen / und daß er zu solcher That von seinem Herrn[32] verleitet worden / der den Anschlag gemacht / und noch viel von den Edelgesteinen in Händen hätte. Auf diese Bekantniß kommt Triphon mit seinen Helffers Helffern in das Gefängniß / und von dannen an den liechten Galgen.

11. Marcell hingegen schreibet an Apponal / mit welchem er lange Zeit gehandelt / und giebt seinen Sohn wahres Zeugniß / daß er wider aus dem Gefängnuß errettet / und mit Fortunia getrauet wurde daß also mit beederseits Einwilligung und Gutbefindung / eine andre Heuratsnotel / als mit Triphon dem Betrüger aufgerichtet / und Pomponatz / Fortunia und Apponals Unbedachtsamkeit noch einen glückseligen Außgang gewonnen; massen Marcell nachgehends seinem Sohn Landshuldigung erhalten / und ihn in volle Sicherheit gesetzet.

12. Diese Geschicht erinnert mich an den Schencken und den Becker / welche beede in Verhafft gekommen / der eine aber wieder zu seinem Ampt gelanget / der ander / nach Josephs Propheceyung / mit dem Strang erwürget worden. Hierbey konte man betrachten die wunderliche Fügniß dieser beeden Entfernten / und durch erzehltes Unglück zum Ehestand verbundenen Gatten. Einmal ist und bleibt gewiß / daß Gott sonderlich zu erstbesagtem Stand auch seine Heiligen wunderlich führet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XXIX29-XXXIII33.
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