(XLVII.)
Der starcke Soldat.

[164] Die Turnier sind heut zu Tage abgeschaffet / weil man das Schiessen mit Pistolen und Handrohren erfunden / und der grossen Stärcke deß Leibs nicht mehr vonnöthen hat. Großmütig kan auch ein schwacher seyn / der aus seinem Kranckenbett / mitten unter Schmertzen den Muth nit sincken lässet. Die Stärcke deß Leibes aber / ist eine sondere Gabe Gottes / die zu äusserlichem Ansehen dienet / und meinstentheils mißbraucht wird. Wann aber ein starcker zugleich behertzt ist / kan er zu Kriegszeiten unsterbliches Lob erwerben / wie aus nachfolgender Erzehlung zu ersehen seyn wird.

2. Ferdinand d'Avalos / Marggraf von Pesquiera hat im Namen Käyser Karls deß V. lange Zeit den Krieg in dem Meyländischen geführet / wider König Frantzen in Franckreich. Dieser Feldherr hatte unter seinem Heer einen Spanischen Soldaten / genant Lupon / der so groß und starck war / daß er ein Pferd zu boden werffen / und überlauffen können. Er hatte auch sehr viel Speise zu seiner Unterhaltung haben müssen / welche die grosse Hitze seines Magens wol verdeyet / und ihme seine Kräfften erhalten.

3. Wie man sonst in dem Sprichwort sagt: Gut macht Muth / also hat ihn auch diese gute Stärcke mutig und kühn gemachet / daß sich ihm niemand mit Ringen / Rauffen und Schlagen widersetzen dörffen / und deßwegen nich wenig Neider hatte. Er war von seinen Befehlhabern geliebt / und unter dem gantzen Heer vor allen andern / an seiner grossen Länge erkant / wie Saul unter den Israeliten.

4. Dieser wurde auf eine Zeit außgeschickt / Kundschafft von dem Feinde einzuholen / und nahme zu solchem End mit sich etliche seiner Gesellen mit Feuerrohren; als er nun der verlohrnen Schildwacht ansichtig wird / laufft er allein so schnell auf selbe zu / daß er den Frantzosen / welcher eine kleine Person war / auf die Achsel fasset / bevor er seine Musqueten /[165] so er bereits gestellet / behändigt / und ihn / wie der Wolff ein Schaf darvon trägt.

5. Dieser Schildwächter (wiewol man sich der Schild nit mehr gebraucht) hat nit anderst vermeint / als daß ihn der Teuffel holte / weil sonderlich der Spanier ein pechschwartzer Gesell / und diese Art die Wachten wegzunehmen / ungebräuchlich; zu dem hatte dieser Gefangener den Gebrauch solches vielmals zu wünschen / daß ihm glaublich vorkommen / daß solches einmahl erfüllet und erhöret worden.

6. Die andern Soldaten / welche nacheilen und den Raub einholen solten / wurden von Lupons Gesellen zuruck gehalten / daß dieser Spanier den Frantzosen zu deß Marggrafen Füssen nidergeleget / darüber dann nit wenig Gelächter bey allen Umstehenden erfolgt / und hat dieses zweyfüssige Postpferde / von deß Feinds Zustand einen lebendigen Brief gebracht / darnach die Rahtschläge gerichtet worden.

7. Hierbey erinnere ich mich einer fast lächerlichen Begebenheit / welche sich gleichfalls zwischen einem Spanier und Frantzosen zugetragen / und sich hieherzu erzehlen wol fügen soll.

8. Ein Frantzos / von Bigorne bey Pampelone bürtig / studirte zu Alcala Henares bey Madritt gelegen / und gange auf eine Zeit mit seinem Doctor an den Fluß Mancenares spatzieren. Als sie nun müde / und sich in das Gras gesetzet / wurden sie gewar eines Omeishauffen / welchen sie betrachteten / und sagte der Doctor / ob es in Franckreich auch Omeisen gebe? Der Frantzos sahe die Einfalt dieses ungewanderten Schulfuchsens / und sagte: daß ihm beliebe mit seinem Diener zu schertzen / er wüsste wol / daß dieses keine Omeisen / etc. Der Doctor behauptet / daß diese Spanische Omeisen / und fragte / wie dann gewißlich die Frantzösischen gestalt weren? Der Frantzos sagte / daß die Frantzösischen Omeisen so groß weren / als die Füchse oder Hunde / und weren gantz wilde und bissige Thier / die Hörner hätten / wie die Gemse. Der Doctor verwunderte sich hierüber sehr / und[166] sagte / daß sonder Zweiffel dergleichen Thiere gewesen / welche die Zwerge (wie Lupon die Schildwacht) weggetragen / nach Beglaubung der Griechischen Geschichten / und verwunderte sich / daß Plinius nichts darvon geschrieben / setzte auch darzu / daß gewiß solche Omeisen der Tragloiten Schätze verwahrten / etc. Hieraus haben die Studenten ein Sprichwort gemacht / daß wann einer was unglaubliches erzehlet / sie geschrien Hormigas de Francia!

9. Die Lehr soll seyn / daß man nicht zu leicht glaubig und auch nicht zu unglaubig seyn / sondern alle Sachen zuvor wol betrachten / und lieber in Zweiffel lassen / als verächtlich darvon urtheilen soll. Die Natur hat dem Menschen zwey Ohren / zwey Augen und nur einen Mund gegeben / zu bedeuten / er soll mehr hören und mehr sehen / als richten und beurtheilen. Was unsrer Unwissenheit schwer zu glauben vorkommet / kan doch waar seyn / und ist niemand / der alles gelesen / gehöret und erfahren hat; er findet doch noch allezeit einen andern / der ein mehrers weiß und kan.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CLXIV164-CLXVII167.
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