(LXXIV.)
Der verdiente Korb.

[265] Wann Petrus Sprichwortweiß saget: Der Hund frist wider / was er gespyen / bedeutet er die grosse Unbeständigkeit der sündigen Menschen / und vergleichet sie mit den heißhungerigen und speißgierigen Hunden / welche sich überfüllen und das was sie von sich geben / wider hinein schlucken. Dieses lässet sich von den Sündern ins gemein / absonderlich aber von den Bulern und Unkeuschen / welche als Hunde ausserhalb deß Himmelreichs verbleiben müssen / sagen; Was ihnen Böses / unter dem Schein deß Guten gefallen / mißfället ihnen bald hernach / und verlangen nachmals / was sie verachtet; oder ihr Lust wird in Unlust / und ihr Unlust wider in Wollust verwandelt / daher der Poet von einem solchen recht sagt:


Er lacht und weinet bald er gehet und stehet still /

er will und will es nicht: frag ihn doch was er will?


In vorhergehender Erzehlung haben wir einen solchen Sinn an Arnoldo gesehen / und wollen dergleichen von einer Jungfrauen / die wir Falcidiam nennen wollen / in dieser vernehmen: bevor aber beobachten / daß diese und dergleichen Geschichte sonder seltne Umstände / mit einer sonderlichen Zier der Wörter und Gleichnissen beliebt gemacht werden können.

In Poitirs hatte ein Edelmann Anastasius genant / einen Sohn / welchen wir Nicolin benahmen wollen / ein Jüngling von guten Sitten und trefflichem Verstand: Dieser verliebte sich in Falcidiam / und diente ihr mit solcher Ehrerbietung / daß er auch die Undanckbarkeit selbsten zu schuldiger[265] Belohnung hätt bewegen sollen. Diese Jungfrau aber hat ihn nicht nur gleich andern / ohne Gegenlieb / sondern mit Verachtung und Beschimpffung angesehen / daß er wol fragen sollen wie jener. Ach wann das Frauen Volck also verfähret mit denen die lieben / was haben diese zuerwarten / welche sie hassen? An Reichthum und Herkommen hatte sie sich über ihn nicht zu erheben. An Schönheit war er ihr / nach seiner Art weit vorzuziehen. Es finden sich in der Natur verborgene Freund- und Feindschafften / deren Ursachen uns unbewust wie auch unter den Menschen: daß Falcidia / auff befragen / warumb sie Nicolin nicht liebte / kein andere Ursach einwenden können / als diese / weil sie ihn nicht liebte.

3. Nicolins Vatter sahe daß mit genöhtigten Hunden übel jagen sagte deßwegen / er solte diese Verächterin wider verachten / und Sandrinam / einer reichen Wittiben einige Tochter aufwarten / welches er auch seinen Eltern zu gehorsamen / mehr auß Höfligkeit / als auß Liebe / gethan. Sandrina sahe wol / daß ein widerwertiger Wind diesen Edelmann an ihr Ufer getrieben / und ob sie wohl von ihrer Mutter Befehl / gegen diesen neuen Freyer freundlich zu seyn / hätte sie doch sich so gerne von ihme loß gewürcket / als Nicolin von ihr kommen were: dergestalt daß diese beede leichtlich zu scheiden.

4. Auff eine Zeit sagte sie zu ihm ungescheut / als ihm in dem spatzieren gehen der Wind den Mantel gleichsam von dem Leibe wehen wollen: Er möchte gleichfals seinen Sinn entdecken / und bekennen / daß Falcidiam in dem Hertzen / sie aber mit Worten liebte / und were sie so einfältig nicht / daß sie solches nicht erkennen solte / etc. Nicolin bekennte solches frey herauß. Ihr thut recht / sagte Sandrina / daß ihr den Nahmen eines Beständigen verdienen wollet / und zu dem würdet ihr bey mir nichts nicht außrichten / weil ich einem andern versprochen bin / von welchem ich nicht mehr kan getrennet werden / als durch den Todt / etc. Hierauff fragte Nicolin / wer doch der glückselige were / so von einer solchen Schönheit geliebet würde. Nach deme sie sich eine zeitlang[266] bitten lassen / hat sie nachgehenden Inhalts ihre Liebe er zehlet.

5. Mein Herr. Ob ich wol billich verschweigen solte was ich sagen werde / in Betrachtung die Männer den Weibspersonen das Gesetz der Verschwiegenheit ob alle andre vorgeschrieben; so trag ich doch keinen Scheu meine ehrliche und künftig ehliche Lieb zu offenbaren / von der meine Eltern / und fast alle die mich kennen / bereit Wissenschafft haben. Wisset deßwegen / daß mir meine Frau Mutter / als eine verständige Matrona die Wahl und den freyen Willen gelassen / welchen auch die unverständigen weibliches Geschlechts haben / und habe ich solchen unterworffen / auf gut befinden derer so mich in die Welt geboren / Antelin einen Edelmann von Saintongeris der die Blum seines Landes / wie sein Land der Ruhm dieses gantzen Königreichs ist. Diesen liebe ich / weil er mich geliebt / auf solche Weise wie ehrlichen und unsers Standspersonen wol anstehet. Rogor sein Vatter wolte ihn an einen höhern Ort anbringen / und ihm vermählen Calliope eine Jungfrau / die einem wäxernen Bilde gleichet / (welchem nichts ermangelt als die Rede) ein mehrers wil ich von ihrem Verstand nicht sagen. Ich habe nicht Ursach mit ihr zu eifern / weil sie Antelin so sehr hasset / als er mich liebet / und lieber sein Leben ohne Weib / als mit dieser zubringen will / ungeachtet ihme sein Herr Vatter deßwegen stetig in den Ohren lieget. Solcher Verdrißlichkeit zu entfliehen / ist er in Welschland verreist / von dannen er mir schreibet und beharrlich versichert / daß er alle die feile und wolfeile Schönheiten der Orten ihme auch geschenckt / nit gefallen lasse / welche er nicht anderst / als schöne Gemähle / wie sie auch durch ihren Schminck und Anstrich billich zu nennen betrachtet. Urtheile nun mein Herr / ob ich Ursach habe / den Beständigen zu lieben / welchen noch eine reichere noch seines Vattern Befehl / noch die Abwesenheit von mir wendig machen können. Ich weiß wohl / daß mein Mutter / welche mich gerne verheuratet wissen wolte / befürchtet / daß Antelin / der Jugend flichtige Sinne nach / meiner vergessen werde /[267] und auß dieser Beysorge hat ihre aber nicht meine Gedancken auf einen andern gerichtet: Sie wird aber sich wol betrogen finden / als deß Herrn Vatter / in dem er vermeint / er soll von Falcidia ablassen. Lernet also von mir beständig bey der erstgefassten Lieb zu verharren / und versichert euch daß Falcidia so wohl eine Jungfrau als ich / sich endlich wird erbitten lassen: ja das harte Holtz / welches langsamb zu brennen beginnet / gibt eine so viel wärmere Flamme.

6. Diese Erzehlung war mit so guter Art begeistert / daß Nicolin seine Höflichkeit in gantz brünstige Liebe verwandelte. Kurtz / ein Nagel treibt den andern: Die Neigung gegen Sandrina / leschte die gegen Falcidia gantz auß seinem Sinne. Der Schiffer / welcher zwischen unbeweglichen Felsen zu schiffen suchet / wird in dem Schiffbruch umkommen. Sandrina weiset ihn an Falcidiam / er ist aber so thöricht verliebt / daß er sich nicht wil weisen lassen.

7. Als nun Falcidia sehen müssen / daß Nicolin sie verlassen und einer andern nacheilet / beginnet sie auß Neid zu erfahren was Liebe sey / unnd wil ihren Leib oder Liebeigenen Knecht nicht frey und einer andern überlassen / welche ihr an Schönheit und Tugenden überlegen. Diese Eifersucht quälte sie so sehr / daß sie mit ihrem Verlust Sandrinam nicht wolte gewinnen machen / und trachtet auf vielerley weise Nicolin wider an sich zu bringen / fande sich aber von ihme so verächtlich gehalten / als sie zuvor auch ihme gethan / unnd mit gantz gleicher Müntz hezahlet.

8. Wann ein ehrgeitziges Weib verachtet wird von deme / der sie zuvor gleichsam angebetet / muß ihr zu Hertze seyn wie der Diana / von welcher Syreno in ihrer Gegenwart / wiewol unwissend / also gesungen:


1.


Wann du nun gegen mich /

wie ich vor gegen dich /

in Liebe solst entbrennen;

Acht ich dich nimmer wehrt.

Ich wolte dich nicht kennen /

und fielstu zu der Erd.


[268] 2.


Und lieffest du mir nach /

Mit Thränen Weh und Ach /

wolt ich vor dir entfliehen:

Ja / solst du fort und fort

Hier liegen auff den Knien /

um manchem Jammerwort.


3.


Gesetzt nun deine Huld /

sey / wie du meinst / die Schuld

so ich sol widergelten?

Es ist nicht umb die Zeit /

Daß ich für Trotz und schelten

erweise Danckbarkeit.


4.


Vergessne zweiffelst du?

es kommet nun darzu /

daß ich dich kan betrieben!

Ich hasse dich viel mehr

als ich dich können lieben /

und liebt' ich noch so sehr / etc.


Ein mehrers ist hiervon zu lesen in dem dritten Theil der schönen Diana an dem 185. Blat.

9. Es fügte sich aber / daß Calliope durch den zeitlichen Tod hingerissen wird / und Rogor seinem Sohne wider zu kommen schreibet / mit versprechen / daß er ihme seinen freyen Willen zu Heurathen lassen wolle. Antelin antwortet / daß die Wahl bereit geschehen: kommet also wider und setzet sein gethanes Eheverlöbniß mit Sandrina zu Wercke / machte also der Falcidia eine neue / aber vergebliche Hoffnung.

10. Nicolin entschleusst sich solchen Verlust durch den Krieg in Flandern zu vergessen / und sich so wol einen dapfern Kriegsmann / als einen löblichen Hofmann zu erweisen / findet aber einen grossen Unterscheid / daß er deß Kriegs bald genug. Er bedencket bey sich / deß er bey Falcidia auf gantzer Haut schlaffen können / unnd von einer so schönen Jungfraw beharrlich geliebet werde: ja daß ihm solcher Haab Gut die beste Beute seyn würde. Mit diesen Gedancken begibt er sich auf den Rückwege / und erfähret zu Angris / was sich inzwischen zugetragen.[269]

11. Falcidia ist auß grosser Betrübniß in ein hitziges Fieber gefallen; Viel lange Tage von Nicolin gefabelt / und endlich ihren Geist aufgeben. Hierüber betrübte sich Nicolin billich / und musste erfahren / daß ihm der Todt / wie vor er der Falcidia / den verdienten Korb gegeben. Solches gienge ihm aber noch mehr zu Hertzen / als er gehöret / Falcidia habe auf ihrem Todtbette betrauret und bereuet / daß sie ihn erstlich so unbedachtsam abgewisen / verachtet und verlachet. Damit er nun seine Traurigkeit mässigen möchte / ziehet er nach Pariß / und findet alldar eine andere / die der Falcidia Stell ersetzete.

12. Also finden sich noch aller Orten Leute / die den Geist deß Widersprechens haben / auf keiner Meinung beständig verbleiben / alles wollen was andere Leute nicht wollen / und ihre Meinung so vielmahls ändern / als der Mond sein Angesicht: Wehe dem der mit solchem Schwindelgehirn muß zu thun haben: Wol dem der ihrer müssig gehen kan. Und ist die Unbeständigkeit ein Kennzeichen eines schwachen Verstands / in dem man das beste zu wehlen nicht entschliessen kan.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCLXV265-CCLXX270.
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