(LXXXVI.)
Die kůhne Jungfrau.

[311] Ob wol das Frauen Volck der Unbeständigkeit / Zagheit und Blödigkeit beschuldiget wird / finden sich doch auch unter ihnen kühne / und in ihrem Thun klugsinnige Personen. Ihre schwache Beschaffenheit deß Leibs / ist die natürliche Ursache / ob welcher sie grosse Thaten nit unternehmen können: Ihr Gemüth aber trägt sich mehrmals den Manns-Personen gleich / wie wir auß folgender Geschicht hören wollen.

2. Galathea eine Fürstin lebte auf ihren Gütern von den Hofhändlen entfernet / und hatte in ihren Diensten Corbianam und Philippinam / zwo adeliche Jungfrauen / welche bey ihr / als in einer Schul der Tugend und Höflichkeit auferzogen worden; dann ob wol der Adel herumbey der Fürstin ihr Eingehör zu nehmen pflegten / geschahe doch solches ohne Ergerniß / und in unschuldiger Zeitvertreibung.

3. Unter andern fanden sich Andomar und Clodoald / welche aus den erfreulichen Gesprächen mit Corbiana und Philippina Liebs Gedancken und sondere Hertzensneigungen fůhlten; wie dann Stro unn Feuer leichtlich eine Flamme giebt Andomar war eine sehr schöne Person / von guten Sitten unn freundlichen Geberden. Zu deme wuste er seine Stimmen so lieblich zu zwingen / daß er auch der allerunempfindlichsten das Gemüt verändern mögen; daher sich nicht zu verwundern / wann sich Corbiana zu ehrlicher Gegenneigung bewegen lassen.[311]

4. Clodoald war kurtz von Person / braun in dem Angesicht ein guter Soldat / der besser mit dem Degen als mit Frauenzimmer umzugehen wuste. Dieser liebte Philippinam sonder grosse Höflichkeit / so er nicht studiret / daß sie auch ob seinem Aufwarten keinen Gefallen getragen; sondern Andomar / weil sie schöner als Corbiana / zu erwehlen gesonnen / wiewol sie dieses Feuer / mit so viel Aschen zu verdeckenwuste / daß man keine Funcken nicht ersehen konte. Zu solchem Ende stellet sie sich als ob sie Clodoald sehr gewogen / damit Corbiana ihr so viel leichter / sonder argwöhnen die Warheit und Beschaffenheit ihrer Händel mit Andomar eröffnen möchte.

5. Die listige Philippina trachtete nun auf allerley Weise die ihr kundbare Liebe zwischen Andomar und Corbiana zu zertrennen / und auf derselben Falle die ihrige / aufzurichten. Es waren aber ihre Affterreden und erdichte Zeitungen / so sie hin und her getragen / verkundschafftet / und diese beede Verliebte dergestalt mit einander verbunden / daß sie solche Reden nicht scheiden mochten. Es fügte sich nachgehends / daß die Corbiana von ihren Freunden einem Edelmann / Queran genannt / versprochen wurde / welchen sie nicht mehr als einsmals gesehen / und mit ihme niemals gesprochen. Dieser Queran hatte bey ihrem Vatter eine Schuld zu erfodern / und solche Schuld wolte er mit seiner Tochter Schönheit zahlen / ob er sie gleich / wegen seines Alters / anderst nicht / als wie David Abisag halten konte / und sein Vermögen allein in Reichthum bestunde.

6. Dieses Vorhabens kommet der Corbiana Mutter zu der Fürstin Galathea / ihre Tochter abzuholen / und sie wider nach Hause zu bringen. Die Jungfrau thut besagter Fürstin einen demütigen Fußfall / und bittet sie nicht von ihr / in die Arme eines alten Krippels / der ihr Anherr seyn könte / zu lassen; bekennet auch / daß sie Andomar mit ehrlicher Liebe verbunden / und in diesem Stůcke ihrer Eltern geitzigen Anschlägen nicht gehorsamen wolte: Die Fürstin stehet in Gedancken / was ihr zu thun / und weil sie Corbianam liebte / wolte sie nicht gerne geschehen lassen / daß sie wider ihren Willen verheuratet[312] werden solte. Deßwegen nun einen dienlichen Schluß zu fassen / hält sie die Mutter etliche Tag auf.

7. Die Mutter will nicht verstatten / daß ihre Tochter / wider ihres Vatters Willen mit Andomar verehlichet werden solte / und bittet die Fürstin inständg / ihre Tochter nicht länger aufzuhalten / und sie vielmehr zu beerden / daß sie das / in ihrem Namen gethane Eheversprechen / vollziehen solte / etc. In dieses Handels Bestand / entschleust Andomar mit Corbiana die Flucht zu nehmen / und vertrauen solches Vorhaben der falschen und listigen Philippina / welche alle Umstände als eine getreue Freundin und Gehülffinerkundschafft.

8. Andomar machte die Anstellung / daß er Corbianam durch die hinter Garten Thůr / zu welcher er einen falschen Schlůssel machen lassen / entführen / und sie in einem Wagen darvon bringen wolte; er aber hat sich auf ein gutes Pferd gesetzt / damit er um sich sehen / und im Nothfall / wann man ihm nachjagen solte / seine Liebste hinter sich setzen / und das Reißaus spielen könte. Dieses wuste nun Philippina / und als der Abend herbey kommet / sagte sie zuder Corbiniana / Andomar lasse sie durch seinen Diener wissen / daß der Anschlag folgende Nacht nicht werckstellig gemacht werden könte; weil ihne eine wichtige Angelegenheit verhinderte.

9. Philippina aber kleidet sich wie Corbiniana / und setzte sich / abgeredter massen in die bestellte Kutschen / unnd fähret also für ihre Gespielen darvon / biß zu einem Schloß / deß Andomars Freunden angehörig / da er seines langen Verlangens mit Corbiana zu geniessen verhoffet. Weit gefehlet! Andomar / du findest was du nicht vermeinest / nemlich die kůhne und verliebte Philippinam / welche ihre Liebe mit vielen Thränen und Entschuldigung deß Betrugs zu verstehen giebet.

10. Andomar war über diesem unerwarten Fund nicht wenig bestürtzet / und sorget allein für seine Corbianam / führet auch Philippinam / ohne Nachtheil ihrer Ehren / wider zu der Fürstin Schloß; werden aber beede / wegen solcher frevlen That nicht eingelassen / und weil die Fürstin verstanden / daß Corbiana darein verwilliget / und der Irrthum nur in der[313] Person vorgegangen / hat sie sich ihrer weiters nicht angenommen / sondern ihrer Mutter überantwortet / und sie nach Hause begleiten lassen; weil sie befürchtet / Andomar möchte sie unter wegs hinweg nehmen.

11. Queran hat durch das Landkündige Gerücht verstanden / daß Corbiana in Andomar brunstigst verliebet / und sich von ihme entführen lassen wollen. Betrachtete benebens sein Alter / seine Gesundheit / der Weiber Unart / und entschlosse endlich / seine Liebe abzukürtzen / und sein Leben zu erlängern. Als solches der Corbiana Eltern vernommen / und benebens Andomar beharrliches Anwerben hören musten / haben sie letzlich ihrer Tochter Willen nachgelebet / und ihre Verehlichung mit dem Ja Wort bestättiget.

12. Philippina aber wurde von ihren Freunden in ein Nonnen Kloster gestossen / in welchem sie / wegen deß willig- aber nicht würcklich vollzognen Verbrechens / zu verbleiben und beständig aufgesagt / sie fühle in ihrem Fleisch keine Regung zu dem Geistlichen Leben. Als solches Clodoald zu Ohren kommen / hat er sich nochmals angemeldet / und ist auch vō ihr mit danckbarer Gegenliebe / zu einem Ehegemahl aufgenommen worden. Diese kühne Jungfrau hette leichtlich in der Gefahr / in welche sie sich gestürtzet / umbkommen können / wann sie Gott nicht sonderlich gerettet hätte / und heist es: Klugheit (zu bösem Ende) ist keine Weißheit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXI311-CCCXIV314.
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