(XC.)
Die Ehliche Versehung.

[325] Wie die Weiber umb sonst arbeiten / wann Gott nit das Hauß bauet / also befördert man vergebens den Ehestand / wann Gott sein Gedeyen nicht darzu verleihet. Er hat dem Adam sein Weib zugeführet / und gibt noch allen Frommen seine Ehegatten / wie hingegen der Teuffel die Bösen und Gottlosen kuppelt mit argen Stricken. Dieses wird mit mehrerm auß folgender Erzehlung zu sehen seyn.

2. In Brabant ist die Hauptstatt Brüssel / eine schöne und volckreiche Statt / von vielen reichen Bürgern bewohnt / unter welchen auch zween Nachbarn / deren Kinder von Jugend auf in zärtlicher Liebsneigung aufferzogen worden / mit jedermans Verwunderung / daß sie zweyerley Geschlechte ist leitlich zu gedencken / weil ihre Vertreulichkeit nicht mit dem Nahmen der Freundschafft beschrieben wird. Diesen Kindern gefället das Feuer wol / wissen aber noch nicht daß die helleuchtenden Flammen brennen / und sich mit zuwachsenden Jahren vermehren würde.

3. Als nun Delphin ein Knab worden / der zu der Schul / und in den Zuchtzwang genommen / gleichsam in derselben schweren Staub / alle Gedancken auf die Bücher wenden sollen / hat er doch seiner Lisetta nicht vergessen können / wie[325] auch sie bey ihrer Hand Arbeit Delphin in beharruchen Angedencken gleichsam für Augen schwebend gehabt. Die Buchstaben / welche in Rinden / oder auff Kirbes geschnitten werden / wachsen nach und nach auß / so lang der Stamm / oder die Frucht dauret; also war die Liebe auff die junge Hertzen geschrieben. Die Eltern / welche dieser beeden Kinderspiel in ernstliche und beständige Ehliche Neigung auffwachsen sahen / waren gewillet solche mit der That zusammen zu heuraten / und ihre Freundschafft erblich fortzupflantzen.

4. Als nun diese Verliebte einander ehliche Treue zusagen / und der Zeit ihrer Vermählung und Mannbaren Jahre schmertzlichst erwarten / werden sie under andern zu red der Warsager und Zauberer / die den Leuten das künfftige verkündigen / und weil Delphin sagte er kenne einen / und Lisetta sie von einer solcher Frauen gehört / vergleichen sie sich zu fragen / was ihnen für Ehegatten beschert weren. Der Zauberer sagte Delphin / daß ihme Lisetta entführet werden würde / und daß er mit ihr sein Leben enden müste. Hierüber macht ihm dieser Jüngling zweiffelhaffte schwere Gedancken. Die alte Sybilla versprache der Lisetta ihren Hochzeiter in dem Traum zu weisen.

5. Lisetta war begierig solchen Traum zusehen / und unterliesse nicht / was ihr die Alte zu thun und zu sagen gebotten / nemlich sie müsste etliche Kräuter so zu gewisser Zeit gesamlet worden / unter das Haupt legen / etliche Wörter sagen und Zeichen machen. Sie sahe aber in dem Traum zwey Gräber / und Delphin auff denselben gehen / und sie bey der Hande führen. Sie erwacht hierüber / und lässet die Todtesfurcht ihre Gedancken nicht wenig betrüben. Als sie wider zusamen kommen / und die traurige Weissagungen einander eröffnen / bereuen sie zwar daß sie das künfftige / als eine Räthsel / so die Zeit allein anflössen kan / erforschen wollen / und sagte Delphin / daß diese Sache nicht zuglauben / und daß deß Satans Betrug hierunter verborgen / in dem er vermeint man soll alles Vertrauen von Gott absetzen / etc. Lisetta aber war mehr Aberglaubisch / und wolte ihr diese Sachen / und[326] kläglichen Außgang ihrer Liebe / nicht auß dem Sinne reden lassen.

6. Von dieser Zeit hat beeder Liebe abgenommen / und sagte Delphin / wer stirbet mit der jenigen / so er liebet / stirbet glükselig. Der Todt / antwortet Lisetta / hebt alle Liebe auf. Es begibt sich aber daß der Lisetta Bruder mit einem Vettern Delphins zu Unfrieden wird / Delphin seinem Verwandten beyflehet / und deßwegen das Hauß seiner Liebsten Lisetta leiden muß. Wie die Gegenwart der Schwefel ist / so die Liebe anzündet / so ist die Abwesenheit dz Wasser / welche sie außleschet. Die Liebe aber der Abwesenden / gleichet den Wasser-Kugeln / deren Feuer auch in der Nässe brennet. Also wurde Delphin von der Lisetta / als ein armer Gesell verachtet / und auch sein und ihr Gemüt dardurch gantz geändert.

7. Delphins Vatter ersihet ihme eine reiche Wittib / Namens Emerita / und weil Delphin deß Zauberers Wort noch in dem Sinne lagen / wolte er lieber bey einer Wittib leben / als mit einer Jungfrauen sterben. Als nun Lisetta und Delphin zusammen kommen / entschuldiget sich Delphin / daß er seinem Vatter gehorsamen müssen / und daß er gezwungen worden eine andre zu lieben / etc. Lisetta wünschte ihm Glück / und neidete doch Emeritam / daß sie ihren Freyer in Armen haben solte / ob sie wol die Todtsfurcht von ihme etlicher massen abgeschrecket.

8. Kurtze Zeit hernach fügte sich / daß Lisetta von einem alten und reichen jungen Gesellen geheuratet wurde / und wider ihre Neigung ihren Eltern Folge leisten muste. Durch solche Begebenheit vermeinte sie / daß ihr Traum erfüllet worden / in dem beede Alte und dem Grab annahende Heuraten getroffen; aber diese beede waren geschieden / und mochten durch zulässige Vermittlung / nicht mehr zusammen kommen Sie waren einander nicht abgeneigt / jedoch auch nicht in unziemlicher Liebe Gegeneinander / entbrant / daß ihre Ehegatten keine Ursachen zu eifern.

9. Delphin erzeugte mit Emerita etliche Kinder / welche[327] alle wenig Tage überlebten / weil sie schwach und Gebrechlich auff die Welt kamen. Der Lisetta Mann / von welchem sie zwo Töchter hatte / gange auch den Weg aller Welt / als sie noch fast in der Blüt ihrer Jugendt und unverwelckter Schönheit / die in den Trauerkleidern viel schöner / als niemals schiene. Emerita verstirbt an einem Kindhaben / daß also diese vormals verliebte beederseits ihre Freyheiten erlanget / weil sonderlich auch ihre Eltern Tods verblichen / deren Gestalt sie zuvor unterworffen waren.

10. Noch hatte Lisetta das Traum- und Trauerbild in ihren Gedancken / und vermeinte daß ihr Ehebette / welches sie mit Delphin besteigen würde / das Grab / oder sonsten einen tödlichen Unfall bringen würde. Als sie nun solches Anliegen ihrem Beichtvatter geoffenbaret / hat er sie leichtlich beredet / was sie gern hören und glauben wollen / daß sie sich nemlich auf den Schatten steure / und das nichtige für wichtig halte. Ja / wann auch dieser Traum etwas bedeuten solte / wie sie vermeint / so were solches bereit durch ihres Mannes und Delphins Weibes Tod erfüllet / daß sie beede (wie der Warsager sagt) ihr Leben mit einander enden werden / nach dem sie ihm / durch ihrer Eltern willen / in dem begegneten Streit entführet worden.

11. Dieses machte der Lisetta einen neuen Mut / daß sie die alte Liebes Glut unter der Asche hervor klimmen liesse / und aller Furcht befreyt in die eheliche Verlöbniß mit Delphin willigte. Sie hatten beede von ihren Eltern und ersten Ehegatten grossen Reichthum / und lebten in völliger Zufriedenheit / erzeugten auch mit einander schöne und liebe Kinderlein / daß die lange Nachwart / in der Kindheit gefaster Liebe / ihnen so viel reichlicher und erfreulicher ist ersetzet worden / als wann sie bald ohne Betrübniß zusammen kommen weren / und haben sie ihren Fürwitz in Erforschung deß zukünfftigen genugsam gebüsset.

12. Hier erhellet der Alten Sprichwort: Was Gott beschert bleibt ungewehrt / und was uns Gott gönt kan uns Petrus nicht nemen. Diese zwey waren einander bescheret / und weil[328] sie ihre Liebe in Unschuld angefangen / in Ehren fortgesetzet / sind sie nach außgestandenem Leid widerum ergetzet worden. Wie das Wasser das unter der Erden ein Stückwegs gelauffen / und hernach so viel stärcker hervor bricht / wie der Früling nach dem langtraurigen Winter viel erfreulicher ist; also ist auch das Glück und Wolergehen / nach außgestandenem Unglück und Betrübniß viel angenehmer.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXXV325-CCCXXIX329.
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