(CX.)
Der Backenstreich.

[39] Wir Teutschen pflegen zu sagen / auff eine Lügen gehöret ein Maulschelle / weil nemlich der Mund mißhandelt / in dem er die Unwarheit saget / als trägt er auch billich die verdiente Straffe. Unter der Lügen liegen viel Laster verborgen / weil man dardurch den Allwissenden Gott zu blenden vermeinet / dem Teuffel / der ein Lügner ist von Anfang / nachahmet / und den Nächsten dardurch zu schaden vermeinet / ohne welches Absehen / die Unwarheit / so man etwan nachsaget / keine Lügen zu nennen ist. Wie nun die Warheit geliebt / also ist die Unwarheit gehasset / und so viel mehr / weil die Zunge / welche deß Hertzens Dolmetscher seyn soll / durch Lügen untreulich unn falsch handelt / daß die Bestraffung mehrmals nit mit einem Backenstreich / sondern mit dem Degen außzurichten.[39]

2. Eine solche Begebenheit hat sich auch zu Genff zwischen einem Teutschen Graffen und einem Freyherrn zugetragen. Diese waren beysammen in Gesellschafft vieler anderer Edelleute / da man von allerhand Sachen zu reden kame, und wie in Afrika bey den Flüssen die Thiere zusammen kommen / und sich unterschiedliche Geschlechte mit einander vermischen / daher die Mißgeburten entstehen; also finden sich auch bey dem Trunck abenteuriche Wunderthiere / welche grossen Schaden zu bringen pflegen.

3. Als nun der Graff etwas erzehlte / das dem Freyherrn unglaubig fürkame / fienge er an zu pfeiffen / nach der Lehre jenes Dorffpfarrers / der geprediget / man solte niemand lügen heissen / sondern pfeiffen / welches auch einer unter seinen Zuhörern gethan / als er geprediget / von der Abspeisung 5000. Mann mit fünff Gersten-Broden / etc.

4. Dieses pfeiffen verstunde der Graff wol / und fragte / ob er ihn also stillschweigend Lügen straffte? Der Freyherr sagte zwar nein / er glaubte aber doch nicht / was er gesagt hatte: darüber ergrimmet der Graff / und versetzet ihm einen harten Backenstreich. Der Freyherr hatte sich dieser Höfflichkeit nit versehen / wil wider zuschlagen / wird aber von den andern zurücke gehalten / und der Graff von dannen gebracht / daß er also den Backenstreich heim tragen müssen.

5. Diese beyde waren ungleicher Kräfften / und verstunde der Freyherr seinen Degen auß der Kunst / daß nit zu zweiffeln / wann es zum Fechten gekommen / der Graff solte den kürtzern gezogen haben / deßwegen dann die Freunde sie beyderseits nicht wolten zusammen gehen lassen / und sie wieder zuvergleichen bemühet gewesen.

6. Der Freyherr sagte / daß er der beleidigte Theil / und die Maulschelle nit behalten wolte: die andern aber weigerten sich den Graffen außzufordern / unn solte also die Sache auff nechste Begängnis außgestellet seyn. Auff inständiges Anhalter oder deß Vergleichs / und daß er Graff sagen solte / es reue ihn daß er auß Unbedacht zugeschlagen / wolte doch der Freyherr keine Worte für das Werck haben.[40]

7. Endlich schlägt er für / die Mittler solten den Graffen bereden / daß er den Backenstreich / so er gegeben / wieder einehme und außhielte / als dann wolte er sich vergleichen / wol wissend / daß solches dem Graffen keiner zumuten würde. Einverständiger Edelmann aber sagte / daß er es wolte darzubringen / wann er versprechen wolte / sich alsdann vergnügen / und die Sache zu vergleichen.

8. Es wurde also die Anstellung gemachet daß der Freyherr in eines von den Schiedmännern Behausung kommen / und hinder der Thür stehen solte; so bald nun der Graff / welcher dahin geführet wurde / hinein tretten würde / solte er ihm den Backenstreich wider versetzen / und alsdann wolten sie darzwischen kommen / und ihren Streit mit Wein abwaschen.

9. Dieses wird besagter massen werkstellig gemachet / und wird der Graff mit einem starken Backenstreich bezahlet / bevor er sehen mögen / von wem solches herkommen. Sie wollen beyde mit den Degen zusammen / die Edelleute aber lauffen darzwischen und vereinigen diese beyde nach langem Wort-Gefechte.

10. Also wurde dieser Handel verglichen / und verwunderten sich über den Edelmann / der den guten Raht gegeben / man solte es der gestalt angehen / daß sich niemand darüber zu beschweren / und daß die Wagschalen mit den Maulschellen gleich würden / so würde alsdann das Zünglein noch auff eine / noch auff die andere Seiten weichen / und gerad innen stehen.

11. Nachdeme diese Herren miteinander vereiniget / haben sie sich mit vertreulicher Freundschafft verpflichtet / und keinen Widerwillen mehr gegen einander verspüren lassen: massen ein Theil der Großmütigkeit ist / die verziehene Beleidigung vergessen / und dieselbe nit mehr zu rächen gedencken / welches bey uns Teutschen und Frantzosen gemein ist.

12. Die Italiäner aber führen mit Cardano ein unchristlichen Wahn / in dem sie für wol und klug gethan halten / die die Feindschafft nicht vermerken zu lassen / mann habe dann Mittel bey Hand solche zu rächen / und vergleichet Peruta die widervereinigten / mit einem zusammen geheiltem[41] Beinbruch / welcher schmertzet / wann das Wetter untereinander gehet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 39-42.
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