(CXIX.)
Die kluge Bauren-Magd.

[68] Der Stand ist nicht allezeit bestättiget mit dem Verstand. Wie ein gemeiner Soldat so viel Hertz in dem Leibe haben kan als ein Obrister, also kan ein geringer Baur offt so klug seyn als ein Hochgelehrter; massen klug und gelehrt zweyerley ist / und vielmals gantz abgesonderte Sachen sind; also daß der Gelehrte nicht klug / und der kluge Mann nicht gelehrt ist. Fromm leben ist die beste Klugheit; dahingegen alle Laster unter dem Namen der Thorheit begriffen sind. Dieses wollen wir nachgehends an der klugen Frommkeit einer Bauren-Dirne sehen / und bemercken / was dort der Apostel[68] sagt / Es müssen doch denen die Gott lieben / alle Ding zum besten kehren. Rom. 8. 24.

2. In der Normandia hielte sich ein Edelmann / den wir Alsar nennen wollen / auff seinem Ritter-Gut / dessen Zeit-Vertreibung war die Jagt / unn die Gesellschafft in der Nachbarschafft. Zu deme fügte sich die Arbeit der Müssigen / nemlich die Liebe / gerichtet gegen eine Bauren Dirne in der Nachbarschafft / welcher übertreffliche Schönheit wol wehrt / daß sie von den schattigten Wäldern entfernet / an das Tages Liecht eines Fürsten Hofes hätte gesetzet werden sollen.

3. Alsar wanderte üm das Hauß seine Geliebte zu sehen / und mit jhr zusprechen / sie aber flohe seine Gegenwart / wie Daphnis den Apollo. Er wolte jhr von heuraten sagen / muste aber fürchten / sein Vatter enterbte jhn / und daß er das Recht seiner Erstgeburt / wie Esau / vernaschen möchte. Wer nun eine Sachen nicht erkauffen kan / fället in Versuchung dieselbe zustehlen. Wann sie jhm nun nicht entweichen mochte / hatte sie keine Augen jhn anzusehen / und keine Ohren sein Gespräch zu hören / und keine Zunge jme zu antworten / so vielmals er sie beschencken wolte / hatte sie keine Hände solche Gaben zu empfangen / und gebrauchte sich der Füsse seiner Gegenwart / wie gesagt / zu entfliehen. Also hielte er Nicolina für ein wäxernes Bild / das der Wind darvon führet / und muste nach lang verlohrner Mühe sich in die nechste Statt begeben da er befreundet / und in guten Gesellschafften zu seyn pflegte.

4. Unter andern schauet er Leonidam / eine Jungfer seinem Stand gemäß / welche benebens jhrer Mutter sich der Orten wegen einer Rechtfertigung auffhielte. Diese Leonida wuste Alsar mit solcher Höfflichkeit zu begegnen / daß er nichts anderst erwünschet / als sie zu Kirchen und Strassen zu führen. Inzwischen kommet diese Wittib zu einem Bey-Urtheil / daß jhr fernerer Beweiß aufferlegt wird / deßwegen sie mit jhrer Tochter wider nach Hauß kehrete / und jhre Liebe in der Blüt durch die Abwesenheit (als einen rauhen Wind) verdorren machte.[69]

5. Nach dieser verliebte sich Alsar in zwo Jungfrauen zugleich / Namens Silviana unn Bathilda / welche sehr gute Gespieline / und ihre Kurtzweil mit diesem Alsar trieben. Er aber gleichte einer schwangern Frauen / welche Zwillinge träget / und vermeint / daß sie nur eine Leibes-Frucht empfangen / oder als wie die 2. Augen nur eine Sache sehen / also machen diese beyde nur eine Liebe. Wie aber das Hertz den Mittelpunct deß Lebens / in deß Menschen Brust sich auff die lincke Seiten neigetz also wendete sich auch Alsars Liebe / nach lang schwebender Wahl gegen Bathilda / deßwegen Silviana Ursach gesucht / sich mit ihme zu entzweyen / und ihn zu meiden.

6. Hierbey liesse sie es nit verbleiben / sondern hielte die Verachtung Alsars für so empfindlich / daß sie solche mit seinem Blut zu heilen gewillet / einen Meuchelmörder bestellet / die gegen einer Summa Geld Alsar zu würgen versprochen. Also gar ist keine Bescheidenheit und Mässigung in dem blinden Weiber-Grimm. Dieser Mörder grieffe Alsar bey Nachts an / und hätte ihn / ohne allen Zweiffel erschossen / wann das Pistol nit versagt hätte. Alsar hatte einen Friedens-Degen / ich wil sagen daß sein Gewehr kurtz und übel verwahret gewesen / der Mörder aber einen langen Stoß-Degen / einen Dolchen / und war an dem gantzen Leib Italiänisch / das ist biß auff die Zähne verpantzert. Als nun Alsar diesem nit widerstehen mochte / gibt er die Flucht / so behänd / oder so wol besüst / daß der andere / mit seinem schweren Zeuge / nicht folgen konte.

7. Alsar war verwundet / hatte aber den Mörder für Silviana Vatters Knecht erkennet / welcher etliche Tage zuvor Urlaub genommen / und seine Feindin in grossem Verdacht / daß solches von ihr herkommen / setzte. Bathilda wird zu gleicher Zeit kranck / und dorrete auß / daß man sie / nach kurtzer Kranckheit zu Grabe getragen / bevor aber ihren Leichnam eröffnet / und Anzeichen einer Vergifftung erkennet / welches wegen Silviana gleichfals in Verdacht kommen; weil aber kein Beweiß vorhanden / haben Alsar und ihre Freunde sie mit Recht nit belangen wollen. Silviana verheuratete sich auch inzwischen /[70] und geschahe Alsar / wie dem Jäger der zwey Wilde in dem Gestell hat / und keines darvon fangen kan.

8. Nach diesem ersiehet Alsar eine andere Jungfer Namens Sabina / und hatte wegen dieser letzten aller vorigen vergessen / hätte sich auch mit ihr alsobald trauen lassen / wann sein Vatter der vielmehr auff die Gelt- als Leibs-Mittel gesehen / darein verwilliget hätte. In dem kommet Leonida mit ihrer Mutter wieder / ihrer Rechtfertigung Außgang zu befördern / hatte er auch der Sabina so geschwind / als eines Traums / vergessen. Er vermeinte daß seine Unbeständigkeit einen guten Grund hätte / weil sein Vatter derselben Ursacher / und viel leichter in diese letzte Heurat willigen würde / weil Leonida ich wil nit sagen reicher / sondern weniger arm / als Sabina ware.

9. Es fügte sich aber daß eine reiche Wittib / Namens Aquila / sich zu der Zeit in Asar verliebte / als sie den Titel der Schönheit bereit verlohren / und verhoffte / daß ihr schönes Gelt ihr diesen Adonis erkauffen solte. Ob sie zwar Kinder erster Ehe hatte / versprache sie doch Alsar / durch eine Mittel-Person / güldene Berge / welches aber alles nicht angehöret wurde / weil sein Hertz bereit von Leonida besessen war. Diesem nach lässet sie / durch einen vertrauten Freund seinen Vatter zusprechen / welcher ihr seinen Sohn alsobald verspricht / und ihm gebietet seine Augen auff Aquilam als einen Tempel zu richten / dessen Thüre mit güldenen unnd silbernem Seulwerck gezieret. Alsar sagte mit dem Munde ja / gedachte aber im Hertzen nein.

10. Leonida hätte lieber den Schluß ihrer Heurat / als ihrer Recht-Sache gesehen / der alte Vatter aber hat sich so mächtig darwider gesetzet / daß solche zu anderer Zeit außgestellet seyn müssen. Inzwischen kame die Sache zu Ritterlichem Außspruch / und muste Leonida wiederumb nach Hause raisen. Alsar bestätigte sein Treue mit vielen Betheurungen; deßgleichen thäte auch Leonida / und stelleten ihre Hoffnung auf deß alten Tod / welcher / nach dem Lauff der Natur nicht ferne seyn könte. In Erwartung solches scheiden sie / mit der Traurigkeit verliebter Hertzen.[71]

11. Aquila sahe wol ihre Seiten-Buhlerin weichen / merckte aber daß Alsar von jhr nicht zu weichen gedachte / und ersinnet ein solche List. Sie erkaufft durch jhre Magd einen Laqueyen / daß er jhr seines Herrn und Leonida Brieffe zu handen bringet / solcher Handschrifft lässet sie eigentlich nachkünstlen / und schreibet falsche Brieffe einen im Namen der Leonida an Alsar / in welchem sie berichtet / daß er auff sie nicht warten solte / und jhr ein anderes Glück bescheret / daß sie ihm hiermit Urlaub zu geben wichtige Ursachen habe / etc. An Leonida schreibt sie deßgleichen an Alsar / und verursachet dardurch / daß Leonida sich in ein Kloster begiebet; Alsar aber sich auffmachet / und wider seines Vatters Willen Leonida zu heuraten vermeint / sie aber will nicht wider in die Welt / sondern entschleust sich jhre Tage in dem Kloster zu endigen.

12. In dem Alsar wider auff dem Ruckwege ist / begegnet jhm die schöne Nicolina / welche er in 18. Jahren nicht gesehen hatte / Er spricht sie als ein unbekanter an / und giebt sich endlich dar / nit zwar für den Jungen Gaugen / der sie vormals zu betrügen getrachtet / sondern für einen redlichen und auffrichtigen Freyer / welcher nicht auff das Herkommen / sondern auff die Tugend unn den Verstand / so er bey Nicolina gefunden / gesehen / und weil sie jhre Keuschheit mit sonderer Klugheit beschirmet / hat er sie offentlich zu Kirchen und Strassen geführet / zu einer Edlen gemachet / unnd friedlich unnd schiedlich / nach seines Vattern Absterben mit jhr gelebet / da sie dann solche Demuth erwiesen / daß alles Gesind sie geliebet / und jhren Eheherrn furchten müssen. Also muß Zucht und Tugend doch endlich den Krantz darvon tragen / ob sie gleich lang verborgen geblieben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 68-72.
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