(CLXIII.)
Das verjungte Alter.

[238] Dieser Rähtsel ist auß Cypriani Send-Schreiben deß 2. Buchs genommen / da er einen Frommen vergleichet mit einem Mann / der in seinem Alter die Eytelkeit der Welt erkennet / gleichsam auf einem Berge stehet / und betrachtet die grimmigen Löwen / die listigen Füchse / und die unflätigen Beeren / die gefressigen Schweine / die unzüchtigen Hunde / die dummen Ochsen / die blutgierigen Wölffe / und darunter etliche einfältige Schäflein; Diese alle streiten wider einander / und sind in gröster Unruhe / biß sich eines nach dem andern in den Todenfluß / der in dieses Berges Thal lauffet / stürtzet. Deßwegen er darzu setzet die Wort deß 14. Psalms: Der HErr schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder / daß er sehe / ob jemand klug seye / und nach GOtt frage: aber sie sind alle abgewichen / und allesame untüchtig; da ist keiner der gutes thue / auch nicht einer. Und auß dem Osea c. 4. Der HErr hat Ursach zu schelten die im Lande wohnen; Dann es ist keine Treue / keine Liebe / kein Wort Gottes im Lande / sondern Gotteslästern / lügen / morden / stelen / und ehebrechen hat überhand genommen / und kommet eine Blutschuld nach der andern / etc.

2. Es ist auch nicht zu verwundern / daß die Welt im Argen lieget / und in derselben so viel viehisch gesinnte Leute sind / weil ihr Herr und Fürst ist die alte Schlange / der Höllen Drach / der Löw so herum gehet uns zu verschlingen etc. Deßwegen preise ich die Todten / sagte dort Esra / weil denen wol / die ihren Weg durch diese Welt genommen / und wie der thörig thut / der einen Berg erstiegen / und ihm wünschet wiederum unten anzutretten; also ist auch ein Alter nicht zuverdencken / wann er vielmehr den Tod / als die Tage seiner Jugend verlanget. Von Verlängerung der Jahre und wieder erjungten Alter wollen wir etliche Exempel aufmercken.

3. Bensanier ein Frantzösischer Edelmann schreibt in seiner[239] Florida / daß die Frantzosen in der Insel besagten Namens / einen alten Mann angetroffen / für welchem sie sich geneiget und ihm Ehre erwiesen / die ihm sehr angenehm gewesen / wie sie auß dem Denckzeichen abgenommen. Dieser zeigte ihnen noch einen ältern Mann / der nichts als Haut und Bein an sich / ohne Gehör und Gesicht / daß er kaum unnd mit Mühe reden kunte; bedeutend / daß dieser sein Vatter / und ruffte zu sich 5. Hauffen Indianer / welche alle seiner Kinder-Kindes Kind und Nachkommen / in 5. Geschlechte außgetheilet / die er mit so viel Handschlagen auf seine Knüe zu verstehen gegeben. Unter diesen zweyen Alten ist der jüngste 250. Jahr alt gewesen.

4. Valasque gedencket einer Abbtessin in dem Kloster Monviedre / welche das hunderste Jahr erreichet / doch haben die natürlichen Kräfften bey ihr sich so verjunget / daß es ihr wieder gegangen nach der Weiber Weise / und neue Zähne eingeschossen / so die alten herauß gestossen. Die Runtzeln in dem Angesicht haben sich wegen deß neu unterwachsen Fleisches verzogen / daß sie einem dreissigjährigen Weib gleich gesehen / und hat viel Jahre darnach gelebt. A. Torquemada in der ersten Tagraise.

5. Zu Taranta ist auch ein alter Mann gewesen / welcher in seinem hunderten Jahre sich / wie erstgedachte Abtessin / verjungt / und als die Schlangen die alte Haut fahren lassen / und eine neue angezogen / daß man ihn nicht mehr erkant. 50. Jahre hernach ist er wieder veraltet / und außgedorret / als wann er von Baumen-Rinden zusammen gesetzet worden were. Torquemad.

6. Ferdinand Lopez Castagneda erzehlt in seinen 8. Buch von Portugall daß 1536. Zu den Königl. Stadthalter in Ost-Indien Nugnez Eugne / ein Mann geführet worden / welcher 340. Jahr alt worden / und sich erinnert / daß seine Stadt noch nit bewohnet gewesen. Dieser hatte sich vielmals verjunget / daß ihm andre Haare und andre Zähne gewachsen. Damals hatte er schwartze Haare / und einen schwartzen Bart. Er war bürtig von Beniala / und hatte / wie er sagte 700. Weiber[240] gehabt / deren viel gestorben / und viel von ihme hinweg geschaffet worden. Dieses wurde nach Portugall berichtet / und wolte der König jährlich Zeitung haben von diesem Wunderalten / welche er auch erlanget / biß in seinem 370. Jahr gestorben.

7. Eben dieser Geschichtschreiber erzehlet auch von einem Mohren Namens Xequpir, welcher gleichfals das dreyhunderte Jahr erreichet / und hat sehr sparsam gelebt / daß er auch für einen Heiligen gehalten worden / wie solches viel glaubwürdige Personen / von welchen er es gehöret / einstimmig bezeuget.

8. Alexander Benedict erzehlet / daß einen Weib Victoria genannt / in dem 80. Jahre die Zähne wieder gewachsen / ob sie wol keine Haare mehr auf dem Haubt gehabt. Pareus.

9. R. Solenander in seinem 5. Buch am 15. Cap. erzehlet von einem Weib / die in dem hunderten Jahr ihre monatliche Zeit wieder bekommen / und sich dardurch sehr erleichtert befunden / welche sie ordentlicher gehabt als in ihrer Jugend / biß in das 103. Jahre / in welchem sie gestorben.

10. Deßgleichen schreibt er auch von der Mareschallin von Plettenburg / einer gebornen Ketlerin auß Westphalen / daß sie nach ihrem siebentzigsten Jahren / dergleichen monatliche Reinigung empfunden / und dardurch gleichsam zu völligen Kräfften gelanget / welches gewäret biß in ihr 82te Jahr / da solches wieder aufgehöret / sie aber hat das neuntzigste Jahr erreicht.

11. Zum Beschluß dieser Erzehlungen / welche der / so sie ihm mißfallen / übergehen kan / wollen wir fragen: an welchem Ort in der Welt man am längsten lebet? Daß die Länder theils gar kalt / theils gar warm / ist weltkündig. Welche Länder nun beedes noch zu wenig / noch zu viel haben / sind am meinsten bewohnet / und haben vermuthlich auch die ältesten Leute / weil der Orten der Lufft am reinsten / und die Erdenfrüchte am gesundesten. Hierbey sind auch zu beobachten die Winde / unter welchen die Sudwinde am schädlichsten / und die Städte / welche gegen Mittag einen Berg[241] haben / der den Wind aufhält / sind sehr gesund. Die Winde von der Sonnen Außgang / sind die vorträglichsten zu der Gesundheit. In den Insuln Sumatra und Bornaio leben die Leute ins gemein 130. Jahre.

12. Andre vermeinen / daß die Sonne mit ihrer Hitze / die natürliche Lebensfeuchte außtrockne / und daß die Länder gegen Mitternacht stärckere Leute und ein längers Leben verursachen; Es widerstreitet aber die Erfahrung solche Meinung / und were unser Leben lang genug / wann wir solches durch ein unordentliches Leben nit selbsten abkürtzen / daß auch Seneca zu seiner Zeit geklagt / sagend: Wir empfangen kein kurzes Leben / sondern wir machen es kurtz / und redet hier von auch sehr wol Verulam / daß wir Menschen uns nicht können lassen wol seyn / weil wir unsre Kräfften nicht erhalten / sondern selbe durch Geilheit / oder Trunckenheit zu schwächen gewohnet sind.


Rähtsel.


Es ist fast jedem Mann ein Engel zu gegeben /

der ihn mit Raht und That soll führen durch das Leben.

Es ist ein guter Geist / der von ihm geliebt?

auch wol ein böser Geist / der seinen Sinn betrübt /

Biß daß die Mutterschoß sie beede machet scheiden /

da sich der Würmer Heer von diesem Engel weiden;

Wer diese Rähtsel weiß / den wünsch' ich biß ins Grab.

Daß er so Tags so Nachts den guten Engel hab.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 238-242.
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