(CLXXXVIII.)
Die unversöhnliche Mutter.

[326] Gott hat unter andern Wolthaten auch den Nachruhm / daß er den jungen Raben ihre Speise gebe / solchen Vögeln / welche zu der lieblichen Musica ihre Federn wieder geben / und berichten die Naturkündiger / daß die jungen Raben von den Alten verlassen / (deßwegen man auch Raben-Eltern nennet / die deßgleichen thun) sich von deß Himmelsthau[326] / und aus kleinen Würmlein / die von ihren Koht wachsen / nehren / welches aus sondrer Versehung Gottes geschihet / wie wir auch hier einer solchen Rabenmutter / und eines von Gott versorgten Kindes / in nachgehender Erzehlung handlen wollen.

2. Fulvia ein adeliches Italianisches Fräulein / war vermählet mit einem vornehmen Herrn / welchen wir Poemon nennen wollen. Unter diesen beeden enthielte sich eine grosse Ungleichheit / in dem der junge Mann sein Holtz / wie man zu reden pfleget / in eine andre Kuchen truge / und das Fräulein eines widerwilligen zancksüchtigen Sinnes / solches nit wolte geschehen lassen / darüber entstunde ein täglicher Haußkrieg / und ob zwar die Freunde beederseits einen Vertrag / wegen solches Abtrags aufrichteten / daurte doch solcher nit lang / weil die Ursach erneuet / und den ehebrecherischen Poemon der Haußaspect gar zu langweilig war.

3. Diese Fulvia war ihres theils an Geld sehr reich / an Gedult aber sehr arm / daß sie also sich von ihrem vieler Weiber Manne zu scheiden willens / auf ihr Schloß sich begiebet / und alldar in der Einsamkeit / wider verhoffen sich schwanger befande; weil ihr Mann nach besagten Vergleich sich zu ihr gefunden / und wie die Karten bey Tage miteinander streiten / und hey Nacht beysammen liegen / also fügte sich auch die Vollziehung solcher neugespielten Ehe.

4. Die Kinder sind der Hertzen Bande und Liebespfande unter frommen Eheleuten: diese aber hatte einen Eckel für ihrer Leibesfrucht / und bemühete sich eine Mörderin / an dem unschuldigen Kinde zu werden / gebrauchte deßwegen allerhand Mittel / solches in ihrem Leibe zu tödten / aber GOtt hat solches nicht zugegeben / daß das Kind zu rechter Zeit auf die Welt gekommen. Ausser Zweiffel hätte die Medea aus ihren Mutterhänden / Mörderhände gemachet / wann sie / wegen der Geburts Schmertzen / die Kräfften / wie den Willen / gehabt.

5. Weil sie nun solchen Kindermord nicht vollbringen konte / befihlt sie einer von ihren Dienerinnen / sie soll das[327] Kind erwürgen / und begraben. Diese widersprache solches Vorhaben / auf inständiges Gebieten aber lässet sie solches bey einem armen Weib auferziehen / der Hoffnung / es solte hierdurch eine friedliche Ehe mit der Zeit gestifftet werden / wann Paemon verraiset / und ein bessers Leben anfangen würde. Inzwischen trennen sich diese Eheleute mit Leib und Gut.

6. Paemon verzehret sein Gelt mit andern Dirnen / mit spielen und Gastereyen / daß bey im waar wurde das Sprichwort: Die Wolluft hat eine Tochter / die heist verkauff dein Hauß / und die Tochter hat einen Sohn / der heist gibs wolfeil. Fulvia hingegen liebte Euthaltam / welche sie für ihres Kindes Mörderin hielte / und thäte ihr viel gutes / daß sie ja den Geheiß solcher That nit verschwetzen solte / und diese Gewissenhaffte Frau / dardurch Mittel erlangte / den jungen Narvi / also liesse sie das Kind tauffen / ziehen zu lassen.

7. Paemon fuhre in seine wüsten und wilde Leben fort / und kürtzte ihm also seine Tage ab / daß er in seinen blühenden Jahren versturbe / als Narvi / ungefähr 12. Jahr alt war / sich aber noch der Zeit für einen Erben nit dargeben kunte / Paemons Vermögen hatte zwar Schiffbruch gelitten / doch schwame noch etliches sonderlich von Lehengütern an das Land / und wurde von seinen Freunden / die bessere Haußhalter / als er / zusammen geraffet / und zuraht gehalten / daß aus wenigen wider viel worden / hierauß wider die Vorsehung dessen zu beobachten / der den jungen Raben ihre Speise giebet.

8. Das Geheimnis von Narvi Eltern wuste ein Weib / das ist eine Person / welche nit schweigen konte / und verhoffte Fulviam zu erfreuen / daß ihr lieber Sohn den gehaßten Vatter überlebet; erfähret aber gantz das Widerspiel / und daß ihr Grimm gegen ihren Mann / und seinen Erben / (dann für den ihrigen wolte sie ihn nicht erkennen) unsterblich war. Es fehlet nicht viel / daß diese unartige Mutter die Euthaliam für das Bottenbrod / nicht aus dem Hauß geschlagen / und erwürget / wann sie nicht entloffen.

9. Euthalia hätte sich vergebens entschuldiget / wo kein[328] Gehör / und kein Verstand / wie bey dieser Rabenmutter. Euthalia liebte Narvi / als ihren eignen Sohn / und führet mit allen ihren Vermögen die Rechtfertigung wider Paemons nächste Freunde / die seine Verlassenschafft inhädig hatten / und brachte die Sache endlich dahin / daß Narvi für Paemons rechtmässigen Erben erkläret / (massen er ihme auch in dem Angesicht gantz gleichte) und daß ihme seines Vatters Haab / mit aller Abnutzung eingeraumet werden muste.

10. Dieser Fulvia sprechen Geistliche und Weltliche zu / daß sie doch ihr eigen Fleisch und Blut nicht hassen solte / und Narvi fůr ihren Sohn erkennen; Sie war aber unversöhnlich / und haßte den unschuldigen / welcher doch ihres Mannes / und seines Vatters Namen und Wappen führte / dessen sie nicht abredig seyn können. So weit erstrecket sich die Sache eines eigensinnigen Weibs / unnd lässet sich gleich dem wilden Wasser mit keinem Gewalt aufhalten / noch mit guten Worten ableiten.

11. Sie thut / was sie kan / ihr Vermögen andern in die Hände zu spielen / und ihren Sohn / der Fleisch von ihrem Fleisch / und Bein von ihren Bein / solche zu entziehen. Als sie nun gewillet / ihren letzten Willen zu Pappier bringen zu lassen / und noch die Thränen / noch das flehentliche Bitten deß jungen Narvi keine statt geben / straffte Gott dieses böse Weib / daß sie der Schlag rühret / unnd sie in wenig Stunden den Geist aufgegeben / zuvor aber gantz rasend worden / und ist also keines Trostes fähig / wie ein Vieh dahin gefahren.

12. Das Urtheil / welches Narvi in der ersten Sache / wider seine Gesippte erhalten / dienet ihm / sich in seiner Mutter Verlassenschafft zu schwingen / und hat er sich gegen seiner Afftermutter / die wolthätige Euthaliam / danckbar und gehorsamerwiesen. Also hat das Ubel seine Straffe / die Wolthat seine Belohnung / und Unschuld endliche Rettung erhalten.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 326-329.
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