(CXCII.)
Der erwůrgte Bůrg.

[340] Mein Kind / sagt Salomon / Sprüchen 5/6. wirst du Bürg / so hast du deine Hand bey einem Fremden verheftet; du bist verknüpft mit der Rede deines Mundes / und gefangen mit der Rede deines Mundes. In diesen Worten bestehet eine schöne Gleichnis / in dem die Wort mit einem Bande verglichen werden / das gleichsam den Bürgen / wie die Fessel gefangen hält / und die Freyheit mit den seinigen zu thun und zu lassen / was er wil / benimmet. Nach der siebentzig Dolmetscher Ubersetzung / heist es: Die Lippen eines Mannes werden ihm zu einem Netze / in welchen er nemlich / gleich einem Fisch gefangen werde. Sprůch. 22/26/27.

2. Also warnet auch besagter Weise König: sey nicht bey denen (und einer unter denen) die ihre Hand (leichtsinnig) verhefften und für Schulden Bürge werden / dann / wo du[340] es nicht hast zu bezahlen / so wird man dir dein Bett unter dir wegnehmen. Hiermit stimmet überein Sirach / * am 29/24/22. sagend: Bürge werden / hat viel reiche Leute verderbet / und hin und wider geworffen / wie die Wellen im Meer (in grosse Gefahr gesetzet) Ein Gottloser / so er Bürge ist worden / und gehet mit Rancken um / daß er sich (durch Zancken und Rechtfertigen außwickle) der wird der Straffe nit entgehen / und kurtz zuvor sagt er: Ein Gottloser (treuloser und Ehrvergeßner Mann) bringt seinen Bürgen in Schaden / dann nach dem alten Sprichwort heist es: Bürgen soll man würgen / wie in seinem eigentlichen Verstand solches zu ersehen / und nachgehender Erzehlung.

3. Zu Lübeck in der berühmten Handelsstadt / hat sich zugetragen / daß in Andreas Beverdes Behausung / auf dem Klingenberg (da jetzo Bert Reuters Erben wohnen) eine Kagel mit Perlen gestecket verlohren worden. Der Verlust wurde hoch gewürdiget; der Argwahn war mehr auf einheimische / als fremde Diebe / und ist der jenige / so den Verlust hat / begierig zuwissen / und zu erforschen / wer ihm solches entwendet / deßwegen auch ihrer viel zu Zauberern gehen / und das verlohrne wieder zu gewinnen / ihre Seele und Gewissen verletzen / in dem sie dem Satan Glauben zustellen.

4. Es arbeitet in besagtem Hause / ein Handwercks Mann / der den Herrn Beverd zu Gevattern gebetten / und auf diesen kam der Verdacht. Er wurde darüber zu Rede gesetzet; und befragt ob er nicht der Haußdieb / welcher die verlornen Perlen entwendet: Die unerwarte Frage kame dem unschuldigen Mann fremd vor / und erblaste / ja verstumte gleichsam darob / welches der verlustige Theil für eine stillschweigende Bekantnis angenommen / ihn in Verhafft bringen / und alldar an die Marterbanck werffen lassen.

5. Die Rechte haben nicht ohne gute Ursachen verordnet / daß man nicht hastig mit dergleichen Ubelthaten verfahren / und die Erheblichkeit deß Verdachts genugsam erwegen solle / damit niemand / aus Furcht / oder Schmertzen bekenne /[341] was nicht ist; wie allhier dieser vermeinte Ubelthäter gethan / der die That gestanden / flehendlich um sein Leben bittend / weil er deß Herrn Richters Gevatter. Darauß dieses Mannes Einfalt abzunehmen.

6. Der Richter / welcher zugleich Ankläger war / auch sagte / daß er keinen Dieb für seinen Gevattern erkenne / und daß solche Freundschafft ein Ende / er müsse hencken / und da helffe keine Gevatterschafft / etc. Hierüber betrübte sich der Geängstigte sehr / und sagte / daß er unschuldig / und seinem Gevattern nichts veruntreuet habe. Solche Bekantnis war zu spat / und bereit sein Urtheil verfasset / welches sich durch solches Einwenden nicht hindertreiben liesse.

7. Als nun dieses sein Urtheil für Gericht ihm vorgelesen worden / und keine Menschliche Rettung seines Lebens vorhanden / hat er mit diesen Worten dem Richter zugesprochen: Herr Gevatter / weil ich ja sterben soll und muß / so fordere ich euch in vierzehen Tagen / für dem gestrengen Gericht Gottes zu erscheinen / da solt ihr mir / wegen dieses meines unschuldigen Todes zu recht stehen. Hiermit wurde er fort geführet / und mit dem Strang vom Leben zum Tod verurtheilet.

8. Wenig Tage hernach hat man die verlorne Kagel hinter einer Banck gefunden / um welcher willen der unschuldige sterben müssen. Hierüber ist dem Burgermeister das Unrecht zu Hertzen gegangen / und hat sich sehr betrübet / wegen der herzu nahenden Zeit / daß er für den Richterstul Gottes zu erscheinen geladen worden. In dieser Traurigkeit findet ihn sein Diener / der etliche Schulden einzubringen / verraist gewesen / und von diesem Handel nichts gewust; dieser fragte seinen Herrn / was er für ein Anliegen / und ob er ihn wieder frölich machen könte.

9. Ach nein / sagte der Herr / mit tieffgeholtem Seufftzen / dukanst mir nicht helffen / dann ich bin für GOttes Gericht / von einem Dieb geladen worden / da muß ich selber kommen / und schwere Rechenschafft geben. Der Diener hielte das für[342] eine Einbildung / und sagte / daß er ihn wolte schadloß halten / sich selbst zum Bürgen setzen / und die Gefahr / gegen einem nenen Kleid von Leidischem Tuche / auf sich nehmen. Wol / sagte der Herr / gehe hin / nimm von dem besten / so in meinem Hause vorhanden ist / dann dieser Bürgermeister mit Tuch gehandelt / und du solt für mich erscheinen.

10. Wie diefer Vertrag gemachet / liesse Herr Geverds seine Befreunde und Nachbarn zu Gaste laden / sich zu freuen / daß er einen Anwald gefunden / der ihn in einem so gefährlichen Stande vertretten wolte. Der Diener ist lustig mit gewesen / und nach geendigter Mahlzeit ist er gleich andern / zu Ruhe gegangen / und hat sich seiner Bürgschafft wenig erinnert. Um Mitternacht aber ist ein grosses Gepolter und Gerümpel in besagten Dieners Kammer gehöret worden / daß alle Schlaffende darvon erwachet / keiner aber aus Furcht sich erkühnet / zu sehen was da were.

11. Mit anbrechendem Tage haben sich etliche herzu gemacht / und die verschlossne Kammer eröffnet / da sie dann den Diener auf der Erden / mit umgedrehtem Halse / und zerquetschten Gliedern / erwürgt gefunden / darüber sie / und sonderlich der Herr erschrocken / und haben mit Schnuptüchern / das an die Mauren gesprützte Blut abwischen wollen / aber nicht können / weil es sich nicht herauß wollen wischen lassen.

12. Lange Jahre hernach hat in solchem Hause gewohnt Andreas Tünte / der auch in selben geboren / dessen Mutter in ihrem Wittibstand das angesprützte Blut mit weissem Kalck überdingen lassen; aber das Blut ist wieder durchgeschlagen / und hat sich nicht wollen weissen lassen / massen auch noch 1608. Gert Reuter darinnen gewohnt / da es noch zu sehen gewesen. Ist also das Sprichwort (Bürgen soll man würgen) an diesem Handels-Diener redlich wahr worden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 340-343.
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