11. Beständige Vertheidigung eines [380] perfecten Ignoraten.

Hochverständige Herren und wehrte Freunde.

Meine Sache kan für niemand füglicher als für euch ausgetragen werden / weil ihr / als aller Esel Befreundte / unter meine Anklage belanget / und ein günstiges Urtheil zu fällen erhebliche Ursache habt. Mir wird meine Unwissenheit aufgetruckt; ich kan derselben nit abredig seyn / und muß bekennen / daß ich täglich lerne / nichts zu wissen und zu verstehen; weil ich sehe / wie vielen Sorgen / Gefahr / und Beunruhigung die Gelährtsten Leute dieser letzten Zeit unterworffen / daß der weise Mann recht sagt; Viel wissen bringet Schmertzen / und der Apostel Paulus: Viel wissen blehet auf / das ist / machet stoltze Leute / der Stoltz aber und der Geitz sind die Wurtzeln alles Ubels / wie bekannt.

Hat nit die Begierd der Wissenschafft gutes und böses zu unterscheiden / unsre ersten Eltern aus dem Paradeis vertrieben: Hat nit das Verlangen zu wissen / wie es mit Sodoma und Gomorra ergangen / deß Loths Weib zu einer Saltzscheiben gemacht? Hat nicht Saul / zu wissen / wie der Streit ablauffen möchte / die Zauberin gefragt / und sich an GOtt versündiget? Unser Geist ist eine leere Tafel / der Grund der unschuldigen Unwissenhett / welcher zwar alles guten und bösen fähig ist / aber doch / wegen unsrer verderbten Natur auch das gute in böses verwandelt / und ist also die Unwissenheit älter und edler / als die nachgehende Wissenschafft / welche von der Verwunderung / der Großmutter alles Unverstandes / herstammet. Betrachtet man alle Künste in der Welt / so wird man finden / daß der Mißbrauch grösser ist / als der rechte Gebrauch / und weil der Frommen sehr wenig / welche sich solcher Gewissenschafft verdienen / ebrauchen sich die Bösen[380] ihrer Klugheit / zu ihrer eignen / und ihres Nächsten höchsten Schaden / wie nemlich ein Kind mit einem spitzigen und zweyschneidigen Messer / sich / oder andre verletzet / welches sie nit thun könten / wann sie rechte Eselartige Ignoranten weren. Wie dorten Job den Tag seiner Geburt verflucht / weil er viel Unglück erfahren müssen; also solten die Weisen alle Wissenschafft verfluchen / weil sie dardurch in alles Ungemach / ja oft in Seelengefahr gebracht werden. Was ist aber alle Wissenschafft? Eine Kunst / mit vielen Ursachen zu zweiffeln; welches daher zu beweisen / weil sich die Gelährten in keiner Sache vergleichen können / und wann sie gestritten / so gehet es auf glauben / wähnen und weinen hinaus / weilen die Ursachen / darinnen das Wissen bestehet / in allen natürlichen Sachen verborgen / und durch ihre Würckungen kaum von ferne bekannt sind. Wann die aller Hochverständigsten die Warheit sagen wollen / so müssen sie geständig seyn / daß sie Nichts wissen / gegen dem zu rechnen / was sie noch erlernen könten. Die Wissenschafft der Laster ist viel schädlicher gewesen / als die Unwissenheit der vermeinten Tugenden. Woher kommet doch alles Unheil in der Welt? Gewißlich von der Wissenschafft der Ketzer / von Streit und Zwist der Hochgelährten / von den Ehrgeitz und Stoltz der Klügling. Hingegen sind die Ignoranten die Patriarchen deß Friedens / die in Glauben sonder Wissen und Einfalt ein gutes Gewissen haben / ihr Leben in Unschuld und stiller Ruhe zubringen / nit erfahrend den Last / welchen die Wissenschafft aufzubürden pfleget. Diesem nach verhoffe ich / ihr werdet mich bey meiner Unwissenheit schützen und handhaben / welche sich auch so weit erstrecket / daß ich nicht weiß / ob ich bin


Euer

zuversichtiger Diener.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 380-381.
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