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[40] Am Ostermontag früh – es war bald drei –

kam der Student, der heut im Kreis der Freunde

das Fest beim Gläserklang gefeiert hatte,

vergnügt und aufgeräumt nach Hause.


Tastend

sucht er das Feuerzeug auf seinem Nachttisch.

Er streicht ein Zündholz an – Was?


Und sofort

lässt er es wieder fallen. Was war das? –

S ist wieder dunkel. – Bin ich denn bezecht?

Und wiederum streicht er ein Zündholz an.

Es zittert seine Hand dabei. Er sieht

nicht auf das Bett, bevor die Kerze nicht

brennt – Himmel!


Auf dem offnen Bette liegt

in festem Schlafe Gretchen: noch geschmückt,

wie man es Gott zu ehren that. Das Kleid

ist aufgeknöpft – in ihrem Schoosse liegt

noch der verwelkte Strauss, und heitrer Friede

ruht auf dem blassen Antlitz. Halb geöffnet

sind ihre Kinderlippen, und ein Traum

spielt wie ein Blüthenduft um ihre Lippen.
[41]

Minutenlang betrachtet er dies Bild,

starr, ohne Denken. Glühend heiss fühlt er

das Blut in seinen Adern, wieder dann

spürt er ein eiskalt Schauern bis ins Mark.

Doch dann besinnt er sich und fährt sich über

die Stirne mit der Hand und sucht zu lachen.


Gretchen! Sie lächelt still im Traume. Gretchen!

Sie fährt empor. Der Friede ist gewichen,

und Schreck und Scham malt sich auf ihren Wangen.

Mein liebes Kind, wie kommst du denn hierher?

Hast du im Zimmer dich geirrt? – Sie hält verwirrt

ihr Kleid zusammen, senkt das Köpfchen. Nein,

sagt sie, die Mutter schickte mich hierher.

Ich sollte Sie erwarten .. Ihnen danken ..

Sie hättens so gewünscht –


Ich?! – Doch, jawohl ...

Ich .. wollte dich noch sehn in deinem Kleide,

ich dachte nicht .. es ist so spät geworden.

Ja, und .. der Pastor gab euch jedem doch

ein Bibelwort, nicht wahr? Wie hiess denn deins?


Sie knöpft an ihrem Kleide: Selig sind,

die reines Herzens sind. Sie sitzt und knöpft

an ihrem Kleide.
[42]

Komm, nun geh hinüber.

Und schlafe weiter: bist gewiss recht müde.

Er führt sie an der Hand zur Thür. Da tritt

die Alte ein.


Sie lacht – verächtlich fast:

Sie wolln sie nicht? Auch gut. Es kommt ein andrer.

Der Andere, der immer kommt. Gut Nacht!

Wir wollten uns nicht lumpen lassen ... Komm! –


Und hinter ihnen fällt die Thür ins Schloss.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 40-43.
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