[Die Wolken lasten auf der Wintererde]

[145] Die Wolken lasten auf der Wintererde.


Es dämmert, und die Flocken wirbeln mir

ums Haupt. – Hinschreit ich auf bekannten Strassen,

die ich nach langen Tagen wiederfinde.


Soll ich die alten Wege wieder wandeln,

vorübergehn an deinem stummen Hause?


Ein scheuer Dieb, im Dunkel will ich schleichen,

verstohlen nur hinauf zum Fenster spähn.


– In Maien hat es einst getagt!

Es hat der Flieder seine Locken

geschüttelt in des Windes Hauch –

da hat mein Herz sich aufgewagt!


Die Sonne hat an einem frühen Morgen

mit starker Hand die Wolken jäh zerrissen.

Aus feuchten Zweigen haben tausend Stimmen

den dumpfen Schlaf gebannt und alle Sorgen!


Die Wolken lasten auf der Wintererde.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 145-146.
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