Fünftes Kapitel

[376] Einleitende Bemerkungen


Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in den Salons der großen und kleinen Residenzen, in den Ressourcen und Kasinos der Mittelstädte, in den Tabagien und Kneipen der kleinen spricht man von Memoiren, urteilt nach Memoiren und erzählt nach Memoiren, ja es könnte scheinen, es sei seit zwölf Jahren nichts Merkwürdiges mehr auf der Erde, als ihre Memoiren. Männer und Frauen ergreifen die Feder, um den Menschen schriftlich darzutun, daß auch sie in einer merkwürdigen Zeit gelebt, daß auch sie sich einst in einer Sonnennähe bewegt haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosen Person einen Nimbus von Bedeutsamkeit verliehen.

Gekrönte Häupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frühern Grandezza, wo sie, wie in der Bilderbibel, mit der Krone auf dem Haupt zu Bette gingen, erhoben zu haben; nicht zufrieden damit, daß sie auf Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum andern durchfliegen, um sich gegenseitig von ihrer Freundschaft versichern, schreiben Memoiren für ihre Völker, erzählen ihnen ihre Schicksale, ihre Reisen. Die Mitwelt ist zur Nachwelt gemacht worden, man hat ihr einen neuen Maßstab, wornach sie die Handlungen richte, in die Hände gegeben es sind die Memoiren.

Große Generale, berühmte Marschälle, weit entfernt, das Beispiel jenes Römers nachzuahmen, der in der Muße des Friedens[376] die Taten der Legionen unter seiner Führung der Nachwelt würdig zu überliefern glaubte, wenn er von sich nur immer in der dritten Person spräche, haben den bescheideneren Weg eingeschlagen, sprechen von sich, wie es Männern von solchem Gewichte ziemt als ich, bauen aus ihren Memoiren ein Odeon in verjüngtem Maßstabe, und treten herzhaft vorne auf der Bühne auf. Mit Schlachtstücken im großen Stil dekorieren sie die Kulissen, Staatsmänner und berühmte Damen, die große Armee und ihre lorbeerbekränzten Adler, die ganze Mitwelt stellen sie im Hintergrund als Figuranten auf, sie selbst aber spielen ihre Sulla oder Brutus würdig des unsterblichen Talma.

Mundus vult decipi, d.i. die Leute lesen Memoiren; was hält mich ab, denselben auch ein solches Gericht »Gerngesehen« vorzusetzen?

Man wendet vielleicht ein, »der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der Satan hat sich nicht mit Memoirenschreiben abzugeben«. Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan doch einen Beruf hätte, Memoiren in die Welt zu streuen, wenn er doch so viel oder noch mehr gesehen hätte, als jene kriegerischen Diplomaten oder diplomatischen Krieger, welche die Welt mit ihrem literarischen Ruhme anfüllen, nachdem die Bulletins ihrer Siege zu erwähnen aufgehört haben; wenn nun dieser arme Teufel einen Drang in sich fühlte, auch für einen homo literatus zu gelten?

Ja, ich gestehe es mit Erröten, je länger ich mich in meinem lieben Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reißt es mich hin, zu schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist, die Finger mit Dinte zu beschmutzen, so wird es doch dem Teufel auch noch erlaubt sein?

Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt vielleicht gegen meine schriftstellerischen Versuche, ich sei kein Literatus, kein Mann vom Gewerbe etc. Aber fürs erste habe ich soeben die Damen, welche, wenn sie noch so gelehrt, doch keine Gelehrte von Profession sind, anzuführen die Ehre gehabt; so dann berufe ich mich auf jene Söhne des Lagers, die unter Gefahren groß geworden, unter Strapazen ergraut, keine Zeit hatten, Humaniora zu studieren, und dennoch so glänzende Memoiren schreiben; ich behaupte drittens, daß das Vorurteil, ich sei ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist, denn ich bin in optima forma Doktor der Philosophie geworden, wie aus meinen Memoiren zu ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiß aufweisen.[377]

Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan meine Memoiren auszuarbeiten bekannt machte, warnte mich mit bedenklicher Miene vor den sogenannten Rezensenten. Er gab mir zu verstehen, daß ich übel wegkommen könnte, indem solche niemand schonen, ja sogar neuerdings selbst Doktoren der Theologie in Berlin, Halle und Leipzig hart mitgenommen haben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit, daß das Sprichwort »clericus clericum non decimat« füglich auch auf mein Verhältnis zu den Rezensenten angewandt werden könne; werde ich ja doch schon im Alten Testament satán adversarius, das ist Widersacher genannt, was ganz auch auf jene passe; den schlagendsten Beweis nehme ich aber aus dem Neuen Testament; dort werde ich διαβολος oder Verleumder genannt, da nun διαβαλλειν soviel sei als acerbe recensere, so müsse er, wenn er nur ein wenig Logik habe, den Schluß von selbst ziehen können.

Der Erzengel bekam, wie natürlich, nicht wenig Respekt vor meiner Gelehrsamkeit in Sprachen, und meinte selbst, daß es mir auf diese Art nicht fehlen könne.

Man wird bei Durchlesung dieser Mitteilungen aus meinen Memoiren vielleicht nicht jenes systematische, ruhige Fortschreiten der Rede finden, das den Werken tiefdenkender Geister so eigen zu sein pflegt. Man wird kürzere und längere Bruchstücke aus meinem Walten und Treiben auf der Erde finden, und den innern Zusammenhang vermissen.

Man tadle mich nicht deswegen; es war ja meine Absicht nicht, ein Gemälde dieser Zeit zu entwerfen, man trifft deren genug in allen soliden Buchhandlungen Deutschlands.

Der Memoirenschreiber hat seinen Zweck erreicht, wenn er sich und seine Stellung zu der Zeit, welcher er angehört, darstellt und darüber reflektiert, wenn er Begebenheiten entwickelt, die entweder auf ihn oder die Mitwelt nähere oder entferntere Beziehungen haben, wenn er berühmte Zeitgenossen und seine Verhältnisse zu ihnen dem Auge vorführt. Und diese Forderungen glaube ich in meinen Memoiren erfüllt zu haben, sie sind es wenigstens, die mich bei meiner Arbeit leiteten, die meine Kühnheit vor mir rechtfertigen, vor einem gelehrten Publikum als Schriftsteller aufzutreten.1[378]

Über Persönlichkeit, über berühmte Abstammung oder glänzende Verhältnisse hat der Teufel nichts zu sagen. Was etwa darüber zu sagen sein könnte, habe ich in dem Abschnitt »Besuch bei Goethe« ausgesprochen, und verweise daher den Leser dahin.

Fleißige Leser, d.i. solche, die Bogen für Bogen in einer Viertelstunde durchfliegen, mögen daher doch diesen Abschnitt nicht überschlagen, da er sehr zu besserem Verständnis der übrigen eingerichtet ist; sittsamen und ordentlichen Lesern habe ich hierüber nichts zu sagen, als sie sollen das Buch weglegen, wenn sie sich langweilen.


Ehe sein Diener mit dem zweiten Bogen aus der Messe zurückkommt, hat der Unterzeichnete noch Zeit, einige Bemerkungen einzuflicken. Es scheint ihm nämlich, der Satan besitze eine ziemliche Dosis Eitelkeit; man bemerke nur, wie wichtig er von jenem Abschnitt spricht, worin er über sich einige Bemerkungen macht; es wäre genug gewesen, wenn er nur angedeutet hätte, daß dies oder jenes darin zu finden sei, aber dem Leser zu empfehlen, er möchte doch den Abschnitt, in welchem jene enthalten sind, nicht überschlagen, ist sehr anmaßend.

Sodann die Unordnung, in welcher er alles vorbringt! Ein anderer, wie z.B. der Herausgeber hätte doch, wenn auch nicht mit dem Taufschein, was nun freilich beim Teufel nicht wohl möglich ist, doch wenigstens mit der Begebenheit angefangen, die der Chronologie nach die erste ist. Ich habe das Manuskript flüchtig durchblättert (zu lesen, ehe jeder Bogen hinlänglich geweiht, nehme ich mich wohl in acht), und fand, daß er mit Ereignissen anfängt, die der ganz neuen Zeit angehören, und nachher in buntem Gemische Menschen und ihre Taten von zehn, zwanzig Jahren her auftreten läßt; man sieht wohl, daß er keine gute Schule gehabt haben muß.

Zu größerer Deutlichkeit, und daß der geneigte Leser trotz dem Teufel wählen kann was er will, habe ich den Inhalt jedem einzelnen Kapitel vorangesetzt.

Der Herausgeber[379]

1

Was der Satan hier ernsthaft und gelehrt spricht, er gebärdet sich beinahe wie ein junger Kandidat der Theologie, der seine erste Predigt drucken läßt!

Anm. d. Herausgebers.

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 1, München 1970, S. 376-380.
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