4. Das gebildete Judenfräulein

[568] Wie war sie graziös, das heißt geziert, wie war sie artig, nämlich kokett, wie war sie naiv, andere hätten es lüstern genannt.

»Ich liebe die Tiplomattiker«, sagte sie unter anderem mit feinem Lächeln und vielsagendem Blick; »es is so etwas Feines, Jewandtes in ihren Manieren; man sieht ihnen den Mann von jutem Jeschmack schon von die Ferne an, und wie angenehm riechen sie nach Eau de Portugal!«

»O gewiß, auch nach Fleur d'Orange und dergleichen. Wie nehmen sich denn die hiesigen Diplomaten? kommen sie viel unter die Leute?«

»Nun, sehen Sie, wie das nun jeht, die älteren Herren haben sechs bis sieben Monate Ferien und reisen umher. Die jüngeren aber, die indessen hierbleiben und die Geschäfte treiben, sie müssen Pässe visieren, sie müssen Zeitungen lesen, ob nichts Verfängliches drein is, sie müssen das Papier ordentlich zusammenlegen für die Sitzungen; nun, was nun solche junge Herren Tiblomen sind, das sein janz scharmante Leute, wohnen in die Chambres garnies, essen an die Tables d'hôte, jehen auf die Promenade schön ausstaffiert comme il faut, haben zwar jewöhnlich kein Jeld nich, aber desto mehr Ansehen.«

»Da haben Sie einen herrlichen Shawl umgelegt, mein Fräulein, ist er wohl echt?«

»Ah, jehen Sie doch! meinen Sie, ich werde etwas anderes anziehen, als was nicht janz echt ist? Der Shawl hat mir jekostet achthundert Gulden, die ich in die Rothschildischen Los gewunnen. Und sehen Sie, dieses Kollier hier kostet sechzehnhundert Gulden, und dieser Ring zweitausend; ja, man jeht sehr echt[568] in Frankfort, das heißt, Leute von den jutem Ton wie unsereine.«

»Ach, was haben Sie doch für eine schöne, gebildete Sprache, mein Fräulein! wurden Sie etwa in Berlin erzogen?«

»Finden Sie das och?« erwiderte sie anmutig lächelnd, »ja, man hat mir schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie, ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde auf diese Art meinen Jeist und mein Orkan aus.«

»Was lesen Sie? wenn man fragen darf.«

»Nu, Bellettres, Bücher von die schöne Jeister; ich bin abbonniert bei Herrn Döring in der Sandjasse, nächst der Weißen Schlange, und der verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher.«

»Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?«

»Nee, das tu ich nicht. Diese Herren machen schlechte Jeschäfte in Frankfort; es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nich natürlich jenug. Nee, den Jöthe lese ich nie wieder! das is was Langweiliges. Und seine Wohlverwandtschaften! Ich werde rot, wenn ich nur daran denke; wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu die Baronin – ach man kann's jar nicht sagen, und jedes stellt sich vor –«

»Ich erinnere mich, ich erinnere mich; aber es liegt gerade in diesem Gedanken eine erstaunliche Tiefe – ein Chaos von Möglichkeiten –«

»Nu, kurz den mag ich nich; aber wer mein Liebling ist, das is der Clauren. Nee, dieses Leben, diese Farben, dieses Studium des Herzens und namentlich des weiblichen Jemüts, ach, es is etwas Herrliches. Und dabei so natürlich! Wenn mir die andern alle vorkommen, wie schwere vierhändige Sonaten mit tiefen Baßpartien, mit zierlichen Solos, mit Trillern, die kein Mensch nicht verstehen und spielen kann, so wie der Mozart, der Haydn, so kommt mir der Clauren akkurat so vor, wie ein anjenehmer Walzer, wie ein Hopswalzer oder Galopp. Ach, das Tanzen kommt einem in die Beene, wenn man ihn liest; es ist etwas Herrliches!«

»Fahren Sie fort, wie gerne höre ich Ihnen zu. Auch ich liebe diesen Schriftsteller über alles. Diese andern, besonders ein Schiller, wie wenig hat er für das Vergnügen der Menschheit getan. Man sollte meinen, er wolle moralische Vorlesungen halten; er ist, um mich eines anderen Gleichnisses zu bedienen, schwerer,[569] dicker Burgunder, der mehr melancholisch als heiter macht. Aber dieser Clauren! er kommt mir vor wie Champagner, und zwar wie unechter, den man aus Birnen zubereitet; der echte verdunstet gleich, aber dieser unechte, setzt er auch im Grunde viele Hefen an, so ›brüsselt‹ er doch mit allerliebsten tanzenden Bläschen auf und ab eine Stunde lang, er berauscht, er macht die Sinne rege, er ist der wahre Lebenswein.«

»O sehen Sie, da kann ich Ihnen ja gleich unseren Clauren vormachen mit Bornheimer Champagner. Man nimmt fremden Wein, so etwa die Hälfte, jießt Mineralwasser dazu, und nun jeben Sie acht; ich werfe Zucker in das Janze, und unser Clauren ist fertig. Sehen Sie, wie es siedet, wie es sprudelt und brüsselt, wie anjenehm schmeckt es nicht, und ist ein wohlfeiles Jetränke. Nee, ich muß sagen, er ist mein Liebling. Und das Anjenehmste is das, man kann ihn so lesen ohne viel dabei zu denken, man erlebt es eigentlich, es is, meine ich, mehr der Körper, der ins Buch schaut, als der Jeist. Und wie angenehm läßt es sich dabei einschlafen!«

»Ich glaube gar, ihr seid in einem gelehrten Gespräch begriffen«, rief lachend der alte Jude, indem er, den Desaster an der Hand, zu uns trat; »nicht wahr, Herr Legationsrat, ich habe da ein gelehrtes Ding zur Tochter? Sie spricht auch wie ein Buch und liest den ganzen Tag.«

»Nun, und Sie, Papa, und Herr Zwerner, haben wohl tiefe Handelsjeheimnisse abjemacht? Darf man auch davon hören, wie werden sie in der nächsten Woche stehen, die Metalliques? recht hoch? hab ich es erraten?«

»Stille Kind, stille! kein Wort davon! muß alles geheimgehalten werden! Muß einen großen Schlag geben. Ist ein Goldmännchen der Herr von Zwerner. Setzen Sie sich zu ihr hin und klären ihr alles auf. Sie ist auf diesem Punkt ein verständiges Kind und weiß zu rechnen, die Rebekkchen.«

Was schlich denn jetzt durch das Gras? was hüpfte auf zierlichen Beinchen heran? was lächelte schon von weitem so freundlich nach der Kalle des Herrn Simon? war es nicht das Gräfchen Rebs, das alte, freundliche Kaninchen, das in alle Damen, verliebt ist, und alle bezaubert? Er war es, er kam herangeschwänzelt.

Er schnaufte und ächzte als er heran war, und doch konnte er auch in dem Zustand höchster Erschöpfung, in welchem er zu sein schien, sein liebliches, süßes Lächeln nicht unterdrücken. Er[570] warf sich ermattet neben Rebekka in einen Sessel, streckte die dünnen Beinchen, so mit zierlichen Spörnchen zum Spazierengehen beschlagen, heftete den matten, sterbenden Blick auf die schöne Jüdin und sprach: »Habe die Ehre, vergnügten Abend zu wünschen; ich sterbe, mit mir geht's aus!«

»Mein Jott! Herr Israels! Graf Rebs was haben Sie doch? Ihre Wangen sind janz einjeschnurrt, Ihre Augen bleiben stehen; er antwortet nicht! Herr Tipplomat, Eau de Cologne! haben Sie keines bei sich in die Tasche?«

So rief das schöne Judenkind und beschäftigte sich um den Ohnmächtigen mit zarter Sorgfalt. Da ich kein Eau de Cologne bei mir trug, so begann sie etwas weniges verzweifeln zu wollen, und verlangte von dem Dessauer, er solle ihm Tabaksrauch in die Nase blasen. Doch der Vater wußte besseren Rat: »Da geht einer«, rief er freudig, »da geht ein charmanter junger Herr, ist in Kondition nicht weit von uns, der trägt beständig etzliches Kölnerwasser in seiner Rocktasche!«

Wie ein Pfeil schoß er auf den jungen Mann zu und war, als er ihm mit schrecklichen Gebärden das Eau-de-Cologne-Fläschchen abforderte, anzusehen wie Sir John Falstaff, als er die Krämer beraubt. Maria Farinas Lebenstropfen brachten das arme Kaninchen bald wieder zu sich; er schlug die Augen auf, seufzete tief und lächelte, »mich gehorsamst zu bedanken«, lispelte er mit zitternder Stimme, »für die gütigst geleistete Hilfe. War mir aber recht elend zumut; fast als hätte ich mehr Bier getrunken als dienlich.«

»Sind Sie oft solchen Zufällen unterworfen?« fragte Rebekka, ihn etwas mißfällig betrachtend.

»Mitnichten und im Gegenteil«, erwiderte er, indem er den Rücken zierlich wendete und drehte, mit den Schultern über die Brust herausfuhr, und mannhaft mit den Spörnchen klirrte; »mitnichten, habe sonsten eine überaus starke Konstitution. Aber der dicke Pfarrer, der dicke Pfarrer...«

Die Juden schwiegen, und Rebekka schlug die Augen nieder, wie immer wenn von christlichen Pfarrern oder Zeremonien, oder auch von Schweinfleisch in ihrer Nähe gesprochen wurde. Der Seufzer aber, dem die Erscheinung des Grafen etwas lästig schien, fragte ihn ziemlich boshaft, ob er etwa im Goldenen Brunnen gewesen, sich allda etwas betrunken, und nachher mit dem ehrsamen Pastor Münster Streit und kirchlichen Skandal angefangen, nach seiner Gewohnheit?[571]

»Nach meiner Gewohnheit!« rief das Kaninchen erschrocken, »ich ein Unruhstifter oder Säufer, ich in dem Goldenen Brunnen, ich, der ich nur die allernobelsten Hotels, den Pariser und den Englischen Hof, den Weidenbusch, in welchem ich logiere, und den Weißen Schwanen mit meinem Besuch beehre? Nein! er ist mir begegnet der Pfarrer, und als er an mir vorbeiging, sah er mich mit schrecklichen Augen an und sagte: ›Das ist auch so ein Stein des Anstoßes, auch so ein Mystiker.‹ ›Herr Pfarrer‹, sagte ich, ›guten Abend, aber ein Mystiker bin ich nicht und will auch für keinen gelten, am wenigsten öffentlich, auf der Chaussee nach Bornheim.‹ ›So, Sie wollen keiner sein?‹ antwortete er, indem er näher auf mich zutrat, so daß sein Bauch und das Cachet seiner Uhr mir gerade auf die Brust zu sitzen kamen und mich heftig drückten; ›wollen keiner sein? Warum kommen Sie denn nicht mehr ins Museum? Warum haben Sie an öffentlichen Wirtstafeln, im Pariser, Weiden und anderen Höfen geschimpft über mich, daß ich ein gewisses Gedicht von Langbein in besagter Gesellschaft vorgelesen?‹ Es ist wahr, ich hatte mich ziemlich stark darüber ausgeprochen, aber nicht aus Mystizismus, sondern weil ich glaubte, es könne zarte Damenohren und weiche Gemüter unangenehm berühren, jenes Gedicht. Aber er nahm keine Entschuldigung an; ich schlüpfte ihm unter dem Bauch weg und wollte schnell weitergehen, aber er setzte mir mit weiten Schritten nach, ging neben mir her und beschuldigte mich, seinem Gegenpart, dem mystischen Pfarrer, zu einer reichen Frau verholfen zu haben, er behauptete auch, daß ich mich jeden Morgen, statt des Frühstücks, magnetisieren lasse, und dergleichen; und erst hier an der Gartentüre ließ er mit einer mürrischen Reverenz von mir ab.«

»Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?« fragte ich; »halten denn die Pfarrer hier auf der Landstraße Kirche, wie es Sitte war zur Zeit der Apostel?«

»In Frankfurt«, belehrte mich der Kaufmann aus Dessau, »in Frankfurt ist gegenwärtig ein großer Krieg zwischen den Pfarrern, und ihre Partien befehden sich ebenfalls. Mystiker und Rationalisten schelten sie sich hin und her, der eine wirft dem andern vor, er predige nur Moral, der andere entgegnet, sein Gegner rede tiefen Unsinn. Nicht nur in den Kirchen, auf den Kanzeln, sondern auch in den Weinhäusern und Trinkstuben, auf Chausseen und Kasinos, wird gekämpft, und so konnte es leicht geschehen, daß der Herr Graf einem Eiferer der Vernunft in die[572] Hände fiel. – Doch wie? Herr Graf, wenn ich nicht irre so fährt dort der Lord und seine Nichte; nicht so? und sie halten vor dem Garten, sie steigen aus?«

»Ah, sie hat mich bemerkt«, rief das Kaninchen sehr freundlich, »sie schaut schon herüber und wedelt, wenn ich nicht irre, mit dem Taschentuch mir zu. Verzeihen allerseits, daß ich mich entferne; Miß Mary hat ein Auge auf mich geworfen, und Sie wissen selbst, bei solchen Affären –«

Er schlüpfte unter diesen Worten aus dem Zelt und eilte mit zierlichen Sprünglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die junge Dame auf den glacierten Handschuh küßte. Es mochte ihr übrigens dieses Zeichen seiner Verehrung überaus komisch vorkommen, denn ihr Lachen drang bis zu uns herüber, und mit tiefem Baß begleitete sie der Lord, indem er dem Kaninchen das Pfötchen schüttelte.

Das Gewölk, die Tante Simon, kam jetzt zurück und beklagte sich, daß es schon etwas kühl werde. Der Jude ließ daher seinen schönen Wagen vorfahren und verließ mit den Seinigen den Garten. Der Seufzer hatte das Glück, Rebekkchen in den Wagen heben zu dürfen, und kam mit ganz verklärtem Gesicht zurück. Sie hatte ihm unter der Türe noch die Hand gedrückt und gestanden, daß sie sich diesen Nachmittag »janz fürtrefflich amüsiert habe«, und der Alte hatte ihn eingeladen, morgen und alle Tage den Abend in seinem Hause zuzubringen.

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 1, München 1970, S. 568-573.
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