Erste Szene

[69] MUTTER BUNTSCHUH mit Nachthaube überm weißen Haar, in dürftiger Nachtjacke und Kattunrock, kommt mit einer brennenden Kerze in der Hand durch die rechte, vordere Tür. Ihr auf den Fersen immer trippelnd der Vater Buntschuh. Ach ... es war eine solche Unruhe wieder in der Nacht ... die Automobile fuhren ein paarmal ... dann war ein Rennen im Hausflur ... Herr und Heiland ... was ist denn nur aller Erfolg und alles Gepreise, wenn man damit nicht die Seele stillt ... was ist denn der ganze beneidete Scharfsinn, wenn das Menschenherz immer gejagt bleibt dabei ...


Sie ist sogleich nach dem Garten zur Flügeltür gegangen, hat sie geöffnet und horcht hinaus.


VATER BUNTSCHUH. Mutterle ... nein ... ach ... du brauchst dich nicht ärgern ... ich stehe dir doch bei ... was willst du denn draußen ...

MUTTER BUNTSCHUH tritt ein paar Schritte hinaus. Warte du nur hübsch drinne, Vater ... bleib und warte ... ich muß einen Blick in den Garten tun ... ich hab eben etwas Schauderhaftes geträumt ... es war im Garten draußen ... Tobias ... unser Tobias lag da ...

VATER BUNTSCHUH. Mutterle ... geh immer Schritt um Schritt ... du und ich ... wir finden vollends den Weg noch ... ja ...

MUTTER BUNTSCHUH hat nun wieder in den Garten gespäht. Zögert. Kehrt zurück und steht unschlüssig in der Tür. Ach Gott ... nein ... es war doch bloß ein Traum ... geh du nur lieber wieder ins Bette zurück, Vater ... es ist frisch draußen ... du erkältest dich ...[69]

VATER BUNTSCHUH. Ach ... Pfiffig lachend. niemals ... wo werden wir zweie der Welt erst noch groß die Stirne bieten, wenn gerade die ewige Lampe durchs Schlüsseloch scheint ...

MUTTER BUNTSCHUH geht jetzt sogleich auf die rechte tiefere Zimmertür zu. Sitzt er denn ... Jesus ... er sitzt doch wenigstens wieder über seinen Ideen ... da hat mich doch der Alb bloß aus dem Bette gescheucht ... aber seit der Zeit gestern abend, wo ich den Sohn als großen Herrn nur kratzig durchs Treppenhaus schwenken sah ... wo er mich einfach stehen ließ ... ansah und doch einfach stehen ließ, Vaterle ... Sie streichelt ihn. die Mutter stehen ließ, als wäre sie bloß eine hölzerne Treppenfigur ... unser Sorgensohn ... nein nein ... da sitzt er ... Ganz behutsam. Lächelnd. und wenn er mich jetzt wieder gehörig anfaucht, als wenn er eine blinde Katze im Korbe wäre ... soll ich klinken ...

VATER BUNTSCHUH. Und wenn auch der König aus dem Mohrenlande die goldenen Eier wieder bebrütet ... Mutterle ... ich gehe immer einen Schritt hinter dir ...

MUTTER BUNTSCHUH. Ich klinke ruhig ...


Sie hat die Tür geöffnet. Man sieht strahlendes Licht herausleuchten. Sie trippelt hinein. Dicht hinter ihr der Vater Buntschuh. Und beide verschwinden eine Weile.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 69-70.
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