Neunte Szene.

[155] Ottilie Kopriva tritt am Arme Lionel Manders, beide in hocheleganter Promenadenkleidung, in den Saal. Ottilie Kopriva ganz von oben herab lächelnd nickend. Lionel Mander sieht gleich scharf in den Tanz. Dazu den Takt mit dem Fuße und lautlosen Gebärden der Hände schlagend. Dann Windfellner zulächelnd. Dann sagt er zu Fräulein Kopriva etwas leise.


MANDER klopft Windfellner auf die Schulter, während sich Michel Mander noch von rechts leise hereindrückt. Gut ... gut ... lieber Windfellner ...


Windfellner verbeugt sich während des Taktierens.

Fräulein Kopriva nickt herablassend dazu. Mander die rechte Hand jetzt zu Windfellner hochhaltend, während er auf die Tänzerinnen einen Schritt zutritt. Windfellner klopft sogleich ab.

[155] In diesem Momente stürmen.


ALLE TÄNZERINNEN vor und umringen Mander. Guten Morgen, Lionel Mander ... guten Morgen, Maestro ... geliebter Meister ... geliebter Meister ...

MANDER spröde und herrisch. Was ... was heißt das ... was heißt das ... was soll das bedeuten ...


Alle Tänzerinnen stocken plötzlich scheu.


MANDER. Es ist doch hier keine Armenküche ... daß ich nicht wüßte ... ich trage doch keine Terrine mit Suppe hoch, daß Sie mich alle derart bestürmen ... ich verstehe gar nicht ... wo bleibt denn der Takt ... Sie haben wohl das Gesetz der Distanz ganz vergessen ... Er winkt sie noch weiter zurück. hier ist keine Familienszene ... Er ermannt sich. also bitte ... hören Sie her ... ich habe heute die allererlesenste Ehre, Sie hier einem ganz erlauchten Stern ... einem wahren Kometen der Kunst vorzustellen ... Sie wissen ja, was Kometen sind ... daß Kometen nur äußerst selten sind ... nur durch glücklichen Zufall und göttlichen Einfall in unsere niedrige Sphäre geraten ... ja ... und meine Gedanken über Musik kennen Sie auch ... Sie praktizieren sie ja selber in Ihrem Blute und Ihren Beinen ... und hoffentlich auch mit der Seele ... und wissen es also ... vor der Musik sind alle Künste nur Sklaven ... und diese wunderbare, vor Ihnen stehende Frau ist ein solcher göttlicher Quell der Musik ... andächtig also ... ihr entströmt die reinste Seelenmusik ... Sie kennen alle längst ihren Namen ... es kann ja doch gar keine andere sein ... es gibt nur die Eine ... es ist die Kopriva ...


Alle Tänzerinnen machen das tiefste Kompliment,

ganz nach der Schnur.

Einige haben in Gedanken ihre Rose von der Brust genommen. Andere haben bei ihrem Kompliment ihre Rose fallen lassen.


MANDER erregt. Windfellner ... was für eine Unart ... man trampelt da schon auf Rosen herum ... nehmen Sie doch die Rosen gefälligst wieder vom Boden auf,[156] wenn sie Ihnen durch Ungeschick wirklich entgleiten ... natürlich cachiert durch Ihre Grandezza ... aber rasch ... oder wollen Sie gleich auf Rosen tanzen, ehe es Zeit ist ... bei diesem Ihrem blöden Gestümper ...


Windfellner schlägt mit dem Stocke. Die Tänzerinnen ordnen sich alle zu einem Reigen.


MANDER. Neieiein ... die Mäntel, bitte ... einen Tanz von Gräberfrauen möchte ich sehen ... meine Gnädigste ... nur ein flüchtiger Einfall natürlich ... Er flüstert. weil ich wahrhaftig meine ganze Vergangenheit heute vor Ihnen begraben möchte ... Wieder laut. hahahaha ... gewissermaßen nur im Konzept ... nun aber, bitte, etwas Erfindung ... aus eigenem Gefühl ... machen Sie mir einmal wirklich Ehre ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Oh ... gerade so etwas im Augenblicke Erfundenes und Freies freut mich besonders ...


Die Tänzerinnen haben sich in ihre Mäntel gehüllt. Windfellner klopft mit dem Stocke auf. Zu einer düsteren schwermütigen Melodie bewegen sich die Mädchen tragisch.


MANDER dazwischen rufend. Nein ... die Rosen nicht unter den Mantel bergen ... heraus damit ... wir müssen fühlen, daß Sie die Rosa mystica halten ... ach ... Sie haben nicht alle Rosen ... Er greift vom Tische die Rosen und wirft sie ihnen zu. hier sind noch Rosen ...


Die Tänzerinnen tanzen einen Schwermutsreigen.


MANDER. Nee ... nee ... nee ... nee ... das ist ja nur blöder Verdruß der Leiber ... das klebt ja wie Leim ... das kriecht ja wie Schnecken ... so was soll doch nicht etwa von der tragischen Muse augehaucht sein ... neieiein ... ich kann ja das immer weniger sehen ... es wird immer schlimmer ... haaalt ... haaalt ... wir blamieren uns tödlich ...[157]

WINDFELLNER hat widerwillig abgeklopft, selber in einiger Verwirrung. War etwas verfehlt, Herr Mander.


Er gibt neu das Tanzzeichen.

Die Musiker spielen. Die Tänzerinnen tanzen neu.


MANDER immer zorniger. Ich ertrage das nicht ... solche Leistungen reizen heute mein Blut ... das ist ja aus Erde ... das ist ja frivol ...


Die Mädchen erstarren. Zum Fliehen erschrocken.


MANDER hin und her. Das ist ja nicht Kunst ... das ist ja Mache ... das ist ja seelenlos und gemein ...

FRÄULEIN KOPRIVA. Was ist, lieber Mander ...

MANDER. Da ist nicht zum Ansehen ... das ist ja unmöglich ... nur fort fort fort fort ... ja ... ich sag das nicht zweimal ...


Die Tänzerinnen verlassen eilig den Saal durch die Tapetentür, einige lassen die Sträuße wieder fallen.


MANDER. Die Rosen, zum Henker ... das wird ja zum täppischen Blumenspielzeug ... in diesen kindischen, unreifen Händen ...


Die betreffenden Tänzerinnen kommen hastig zurück, um die roten Rosen aufzuheben und sofort zu fliehen. Die Tapetentür ist hinter ihnen geschlossen. Mander geht erregt auf und ab.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 155-158.
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