Erste Szene


[265] Gerichtsstube. Richter Kilian. Jörg.


KILIAN. Es bleibt dabei, Jörg. Ihr schickt Euren Jungen regelmäßig zur Schule, oder –

JÖRG. Oder –

KILIAN. Oder es gibt was!

JÖRG. Ich tu es aber doch nicht!

KILIAN. Jörg, ich verwundre mich. Ihr seid in allen Dingen so folgsam, daß Ihr für einen durchs Feuer lauft, und Euch nicht einmal die Sohlen bezahlen laßt. Und gerade hierin so halsstarrig! Wenn Euer Junge Euch bei der Arbeit helfen könnte, so wollt ichs noch begreifen und ein Auge zudrücken, aber den ganzen Tag liegt der Maulaff an der Landstraße, und neckt sich, da es an andern Spielkameraden fehlt, mit den Hunden, die vorüberlaufen. Es ist eine Schande!

JÖRG. Herr Richter Kilian, es ist aber doch ein heimlicher Menschenverstand dabei!

KILIAN. Den mögt ich kennenlernen!

JÖRG. Ei was! Der Junge soll nicht klüger werden, als sein Vater ist. Er ist mir schon jetzt zu klug. An keinem Bäcker- oder Schuhmacher-Schild kann ich mit ihm vorübergehen, er liest herunter, was darauf steht, als obs nichts wäre, und macht mich schamrot. Laß ich ihn noch weiter kommen, so verliert er zuletzt allen Respekt vor mir.

KILIAN. Dummheit! Es bleibt bei dem, was ich sagte!

JÖRG. Und auch bei dem, was ich sagte. Das Schulgeld bezahl ich, nach, wie vor, und esse nur alle vierzehn Tage Fleisch, um es zusammenzubringen. Aber haben will ich nichts dafür, dazu hab ich den Jungen nicht gezeugt, daß ich mich vor ihm schämen will. Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 265.
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