Fünfte Szene


[294] Königliches Schloß.

Morgen. Vorzimmer der Prinzessin. Hof-Damen und Kavaliere.


ERSTE DAME zu der zweiten, die aus dem innern Gemach kommt. Wie stehts mit Ihrer Hoheit, der Prinzessin?

ZWEITE DAME. Sie ruht noch im tiefen Schlaf auf dem Divan, angekleidet, wie immer.

DRITTE DAME. Heute ist nun ihr Geburtstag!

ERSTE DAME. Ja, der Himmel gebe seinen Segen zu diesem Tage. Wir sollen sie heute, sobald sie erwacht, ganz so behandeln, wie im vorigen Jahr, als ob inzwischen gar keine Veränderung vorgegangen, als ob sie Leise. gar nicht von Sinnen gewesen wäre. Die Geschenke liegen, wie damals, bereit, die Musiker harren des Zeichens, wie damals, um, sobald sie sich regt, ihre Lieblingsmelodie zu spielen, Ihre Majestät werden, wie damals, erscheinen, sowie die Musik verklingt. Wir vor allen sollen uns leicht und unbefangen gegen sie betragen, ich weiß nicht, wie das zu machen ist.

DRITTE DAME. Mögte der Versuch glücken! Ist doch jetzt an unserm Hof alle Freude ausgelöscht! Atmen wir doch, wie unterm Leichentuch.

ERSTE DAME. Jedenfalls ist es der entscheidende. Der Arzt hat erklärt, daß mit dem heutigen Tage seine Hoffnung steht oder für immer fällt.

ZWEITE DAME. Ich erwarte doch etwas von dem Versuch. Denn seit gestern abend, wo ich ihr, wie es mir befohlen war, die Krankheit ihrer Mutter mitteilte, ist sie anders geworden. Ich will nicht gerade sagen, daß der Wahn, der sie befangen hält, sie ganz verlassen hätte. Das nicht. Aber sie ward tief nachdenklich und seufzte, ihr Herz war getroffen, und sie kann[294] unmöglich fortträumen, daß sie tot ist und der Erde entrückt, wenn sie sich von dem Stachel des Lebens, des Schmerzes, in ihrem Innersten durchbohrt fühlt. Muß doch einer, der sich für unverwundbar hält, durch die erste wirkliche Wunde von seinem Irrtum geheilt werden!

ERSTE DAME. Sprach sie etwas? Antwortete sie Ihnen?

ZWEITE DAME. Nein! Gesprochen hat sie seit jenem Abend, wo sie die Königin, wie den Schemen ihrer selbst anredete, nicht wieder.

ERSTE DAME. Dann ist auch nichts gewonnen.

DRITTE DAME. Wenn nur der Diamant gefunden würde!

ZWEITE DAME. Davon, glaube ich, hängt alles ab. Mich wundert, daß die Ärzte einen so bedenklichen Versuch anzustellen wagen, bevor sie den Stein in Händen haben.

ERSTE DAME. Sie fürchten vielleicht, daß er sich niemals wieder finden wird. Unbegreiflich ist es auf jeden Fall, daß man ihm noch immer nicht auf die Spur gekommen ist. Eine halbe Million und völlige Amnestie ist ein so hoher Preis, daß, wie mich dünkt, kein Mensch, nur – ein Geist ihn verschmähen kann. Fast sollte man annehmen, daß – Sie unterbricht sich.

DRITTE DAME. Daß die Prinzessin nicht geträumt, sondern daß eine höhere, eine geheimnisvolle Macht ihr den Diamant wirklich abgefordert hat. Ich hab es auch schon gedacht.

ZWEITE DAME. Das Volk, die Geringeren, lassen sich diesen Gedanken wenigstens nicht nehmen. Man bringt, wie ich höre, im ganzen Land den Verlust des Steins mit dem Kometen, der sich eben jetzt zu sehr unrechter Zeit am Himmel zeigt, in Verbindung.

ERSTE DAME. Gut wäre es immer gewesen, wenn die Sache sich mehr hätte verheimlichen lassen. Das ging vielleicht nicht an.

ERSTER KAVALIER zum zweiten. In der Tat, niemand kann die Gelegenheit zu Auszeichnungen, wie sie ein Krieg darbietet, mehr wünschen wie ich. Aber fatal, äußerst fatal ist es doch, daß der Nachbarstaat uns gerade jetzt Krieg ankündigt.

ZWEITER KAVALIER. Auch der General ist dieser Meinung. Ich hörte ihn gestern mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit erklären, daß die Soldaten ohne Mut und Vertrauen fechten würden, weil sie den Sieg für unmöglich hielten. Ich bin vielleicht[295] der einzige, der eine Ausnahme macht, setzte er hinzu, und man nenne mich abergläubisch oder nicht, auch ich wollte, der Diamant wäre wieder da, bevor wir ausrücken.


Musik.


ERSTE DAME zu der zweiten. Sie ist erwacht! Es gilt! Zu der dritten. Fräulein, es liegt noch zuviel Angst in Ihren Zügen!

DRITTE DAME. Ich gestehs, ich liebe die Prinzessin.

ERSTE DAME. Meine Gnädige, sind Sie so unglücklich, jemand zu kennen, doch er sie nicht liebt?


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 294-296.
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