Fünfte Szene

[361] LAIENSCHWESTER tritt ein.

Hochwürdge,

Der Patriarch!

HIOB folgt sogleich.

Gelobt sei Jesus Christ!

ÄBTISSIN.

In Ewigkeit.

HIOB.

Ich grüß dich, Schwester Marfa.

MARFA.

Was bringst du mir? Denn nehmen kannst du nichts.

HIOB.

Ich bringe dir die Gnade deines Zaren.

MARFA.

Er ist dein Gott, doch nicht der meinige.

ÄBTISSIN macht ein Zeichen des Unwillens.

MARFA.

Halt mirs zu gut! Vor diesem Priester kehrt

Das Herz sich in der Brust mir um. Er steht

Hier vor mir, wie die Zeit, er gibt und nimmt

Und bleibt, als wär er nicht auch selbst ein Mensch,

In allem Wechsel, was er ist. Ein Ring

Aus alten Tagen, ein verblichnes Kleid

Entpreßt mir Tränen, soll ich jetzt nicht schaudern,

Nun ich die Hand so plötzlich vor mir sehe,[361]

Die mich gekrönt und auch begraben hat?

HIOB.

Wenn du genommen hättest, wie ich gab,

So hättst du auch gegeben, wie ich nahm,

Und wärst so unveränderlich, wie ich!

Ich wußte: tausend Patriarchen standen

Vor dir auf diesem Platz und tausend werden

Hier nach dir stehn und was ich immer tat,

Ich tat es so, als tät ichs nur im Traum.

Hättst du dir auch gesagt: die Krone ist

Auf einer ewgen Wanderschaft begriffen,

So hättst du nicht gejubelt, als sie kam,

Und nicht gejammert, als sie wieder ging.

MARFA.

Du sprachst ein wahres Wort, und wenns dir wirklich

Von Herzen kommt, so sprachst dus auch mit Recht.

Das wird sich zeigen, wenn die Stunde naht,

Wo Gott dich prüft; sie bleibt für keinen aus!

Du sollst mir sein statt aller Heiligen,

Wenn dus, den Fuß der eisernen Gewalt

Im Nacken und das neue Glück vor Augen,

Das dich geplündert hat, noch wiederholst

Und leidest, wie du handeln willst, im Traum!

Dies von der Zarin für den weisen Priester,

Der jeden Sturm bestand und stets gewann,

Wo andre stürzten oder doch verloren,

Nun fragt die Magd: was will der Patriarch?

HIOB.

Du nennst das Kloster immer noch ein Grab:

Ich bringe dir Erlösung aus dem Grabe

Du kannst mir folgen, Moskau steht dir offen,

Und gnädig nimmt der Zar dich wieder auf!

MARFA.

Das nähme ich für Hohn, wenn dus nicht sagtest!

Doch dank ich dir, wofern dus redlich meinst,

Für deinen guten Willen, und ich danke

Auch deinem Zar, so schwer das Wort mir fällt,

Allein wir Toten stehen noch nicht auf.

HIOB.

Besinne dich, bevor du das verwirfst,

Was du so viele Jahre heiß erflehtest:

Hat Moskau keine Stätte, die du liebst?

Befrage deine Träume! Wenn sie dich[362]

Auch nicht mehr in den Kremel führen mögen,

Wo du, in Perlen und Kleinodien

Das halbe Rußland in den Haaren, prangtest,

Und eine Welt zu deinen Füßen sahst,

Trägt keiner dich an einen stillern Ort?

MARFA.

Du triffst es, Hiob! Auf den Thron der Zaren

Stieg ich nicht mehr, seit du Iwanen kröntest,

Doch hab ich oft in ihrer Gruft gekniet.

Und mit Erröten muß ich widerrufen:

Ja, ja, ich hab noch einen Wunsch auf Erden,

Ich mögte einmal an dem Sarge beten,

Der meines Sohnes heilge Asche birgt.

HIOB.

Der Wunsch ist dir gewährt! Und feierlich

Sollst du geleitet und empfangen werden,

Das ganze Rußland soll dir Zeuge sein!

MARFA.

Das wünsch ich nicht!

HIOB.

So hat der Zar befohlen!

Denn, wie er Iwan ehrt bis diesen Tag,

So will er auch die Witwe Iwans ehren,

Und als die Witwe Iwans nimmst dus an.


Mit feierlicher Gebärde gegen den Himmel.


Herr, Herr, wie groß bist du! Wie unerforschlich

Sind deine Wege, und wie wunderbar

Führst dus hinaus!

MARFA.

Was hast du?

HIOB.

Frage nicht!

Zieh hin, du bist gebenedeit vor vielen!

Du darfst des Herzens letzten stillen Wunsch

Befriedigen und, ohne daß dus ahnst,

Zugleich die Welt mit Heil so überschütten,

Daß dirs der Enkel spätester noch dankt.

MARFA.

Indem ich tu, was jede Mutter täte?

HIOB.

Indem du tust, was jede Mutter täte,

Indem du an dem Sarg des Sohnes betest,

Geht diese Fülle Segens von dir aus!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 361-363.
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