Zwölfte Szene


[397] Küster erscheint mit einer Fackel im Portal.


ÄBTISSIN.

Noch eines, eh du vor die Toten trittst!

Ist Boris Godunow mit eingeschlossen,

Wenn du den Feinden ihre Schuld vergibst,

Und hegst du keinen Haß mehr gegen ihn?

MARFA.

Jetzt wär die Antwort leicht. Ich bin gerächt,

Er ruht in einem ruhmlos schlechten Grabe

Und seine armen Kinder neben ihm.

Doch, so gewiß ich selig werden will,

Ich habe diese Rache nie erfleht,

Und kälter kann die Asche selbst nicht sein,

In die mein Herz dereinst zerfallen muß,

Als dieses Herz schon jetzt ist, wenn ich seiner

Gedenke: Wunden brennen, Narben nicht!

ÄBTISSIN.

So geh denn ein ins sündenlose Reich,

Und wenn der Herr sich dir nicht offenbart,

So hat er längst sein letztes Wort gesprochen

Und öffnet erst am jüngsten Tag den Mund.


Beide in den Dom.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 397-398.
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