Neunte Szene

[425] DEMETRIUS.

Doch nein, sie will mir etwas anvertraun.

Was ich schon weiß, um sich im Preis zu steigern,

Pfui, pfui, ich hätt es nicht in ihr gesucht! –

Nun?

BARBARA.

Gott, wie sprech ich nur!

DEMETRIUS.

Ich irre nicht,

So ists, die Scham hält sie nur noch zurück.

Heraus damit, heraus! Nicht wahr, ich stehe

In deiner Schuld?

BARBARA.

Mein Zar –

DEMETRIUS.

Du hast zu fordern,

Und was ich dir auch immer geben mag –

Du hast noch mehr verdient!

BARBARA.

Du ahnst? Du weißt?[425]

Da wag ichs! Laß nur einmal dich umarmen,

Dann bin ich glücklich für die Ewigkeit.

DEMETRIUS tritt zurück.

Ich ahne, ja ich weiß, und es ist viel,

Sehr viel, was du getan, doch das belohnt

Man nicht mit Küssen und Umarmungen,

Nein, dafür hat man Silber oder Gold!

BARBARA.

Du hast mir doch schon deine Hand gereicht.

DEMETRIUS.

Dir? Nicht doch! Nicht doch! Einer alten Frau,

Hilflos, gebrechlich, die ich in Gefahr

Erblickte! Einer jeden wär ich ganz

So willig beigesprungen! Dir allein

Vielleicht nicht, hätt ich dich gekannt, wie jetzt.

BARBARA.

Du tust mir weh!

DEMETRIUS.

Das wollt ich nicht! Bei Gott,

Das wollt ich nicht! Dazu hab ich kein Recht.

Doch sei auch ehrlich gegen mich! Es war

Kein Zufall, daß du ins Gedräng gerietst,

Und – Ja, wie sag ich, ohne dich zu kränken?

Nun, auch kein Zufall, daß du meinen Mantel

Ergriffst und küßtest!

BARBARA.

Nein, das wars auch nicht!

DEMETRIUS.

Brav, Alte, brav! – Du nahmst die Stunde wahr,

Um dich bemerkt zu machen, fielst vielleicht

Absichtlich – Nein, das nicht, ich sahs ja schon,

Die Krücke glitschte aus! Doch, wenns auch wäre,

Der Zar ist fern und Gott im Himmel hoch!

Du tatest wohl, sehr wohl! Die Kinder greifen

Nach eines Kaisers Hand, um nachts zu prüfen,

Ob ihre Finger nun vergoldet sind

Und leuchten, wie der Mond. Mit sechzig Jahren

Versteht mans besser.

BARBARA.

Ich ertrags nicht mehr!

DEMETRIUS.

Du weinst? Warum? Ich dank dir ja dafür!

Ei, ei, das Atmen ist ein süßes Ding

Und unentbehrlich zu noch süßerem!

Die erste Jagd – das erste Trinkgelag –

Und noch so manches Erste, das allein

Verlohnt sich schon des Lebens, trotz der Schläge,[426]

Die auch wohl kommen, und ein jeder hats!

Und ich nun gar – Heut noch, ich weiß nicht was,

Und morgen Zar – das ist ja wie ein Wunder

Und geht, noch besser, doch natürlich zu.

Und wem bin ich das schuldig? Dir allein!

So sei nicht blöd, und fordre deinen Lohn.

BARBARA.

Mein Zar, sieh mich mal an.

DEMETRIUS.

Ein Mütterchen,

Wie's jedermann gefällt, die Augen blau,

Die Haare blond, das Ganze fast zu weich

Für deinen starken Sinn –

BARBARA.

Entdeckst du nichts

Von Tränen-Furchen? Siehst du keine Runzeln,

Wie nur der Schmerz und nicht die Zeit sie gräbt?

So frag dich, was mir deine Schätze sind,

Und ob mich die Begierde zu dir trieb,

Auf meinem kurzen Weg von heut zum Grabe

Ein fettres Brot zu essen!

DEMETRIUS.

Sonderbar!

Höchst sonderbar! – Du hast vielleicht ein Kind,

Für das du – Aber nein, das kann nicht sein,

Du hast kein zweites Kind!

BARBARA.

Allmächtger Gott,

Verdien ich das dafür, daß ich mein Herz

In dieser Stunde noch zusammendrücke,

In dieser einzgen, die's noch gibt für mich?

Mein Fürst und Zar, du kannst mir nicht gewähren,

Was ich erbat, denn du verachtest mich,

Gestatte denn nur noch, daß ich dich segne,

Dann scheiden wir auf Nimmerwiedersehn.

DEMETRIUS.

Ich tat dir unrecht! Eine Mutter, die

Ihr Kind verkaufte, bleibt für mich ein Greuel

Und ob ich selbst die Welt durch sie gewann,

Und immerdar schwebt mir der Sarg vor Augen,

In dem das arme junge Opfer modert,

Und ruft mir zu: Du selbst gehörst hinein!

Doch diese Schuld drückt deine Seele nicht,

Das seh ich jetzt, die Träne zeugt für dich,[427]

Und eine Mutter, die man um ihr Kind

Betörte und betrog, die, als sies gab,

Es in des Glückes Schoß zu legen glaubte

Und nimmer an des Todes kalte Brust,

Solch eine Mutter kann ich wohl umarmen,

Vergib mir denn und nimm dir deinen Lohn!


Umarmung.


Wir wollen beide um das Opfer weinen,

Und ich ersetz es dir, soweit ich kann!

BARBARA.

Herr Gott im Himmel, Dank für diese Stunde!

Nun nimm mich hin, denn meine Frist ist um.

DEMETRIUS.

Nein, Mütterchen, ich brauch noch etwas Zeit,

Um dir zu zeigen, daß ich dankbar bin,

Auch mußt du mir noch einen Dienst erweisen,

Den mir kein Mensch erweisen kann, als du.

BARBARA.

Ich – O –

DEMETRIUS.

Man sagt, ich sei nicht Iwans Sohn.

BARBARA.

Du bists! Bei Gott im Himmel kann ichs schwören,

Bei meiner Seele, meiner Seligkeit!

DEMETRIUS.

So komm!

BARBARA.

Wohin?

DEMETRIUS.

Zu meiner Mutter! Gleich!

BARBARA.

Zur Zarin Marfa?

DEMETRIUS.

Ja, auch diese zweifelt,

Ich fühls, ich fühls, wenn sies auch tief verbirgt.

BARBARA.

Sie zweifelt?

DEMETRIUS.

Ja! Obgleich sies leugnen würde,

Drum schwörs in ihre Hand, ich sei ihr Kind.

BARBARA.

In ihre Hand!

DEMETRIUS.

Du kannst sie glücklich machen

Und säumst?

BARBARA.

Wenn ich das könnte, tät ichs gern.

DEMETRIUS.

Du schwurst ja schon. –

BARBARA.

Das will ich wieder schwören!

DEMETRIUS.

Daß Iwan –

BARBARA.

Ja!

DEMETRIUS.

Und Marfa –

BARBARA schweigt.[428]

DEMETRIUS.

Marfa nicht?

BARBARA schweigt.

DEMETRIUS.

Iwan Wasiljewitsch, der Zar, mein Vater,

Und Marfa Nagoy meine Mutter nicht?

Eins folgt doch aus dem andern!


Schlägt sich vor die Stirn.


Großer Gott!

BARBARA.

Wie hab ich mich verstrickt! Wars denn zu viel,

Daß ich für all die Jahre bittrer Trennung

Ein einzges Mal – O, könnt ich noch zurück!

DEMETRIUS.

Ei wohl, ei wohl! Was ist da wunderbar?

Man kann der echte Sohn des Zaren sein,

Und doch ein Hund, ein Bastard nebenbei.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 425-429.
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