4.

[86] Heut brennt der rote Mohn mir auf dem Tische

Und mahnt an manche feurig schöne Nacht,

Voll königlicher Lust und Urweltfrische

Im Arm der schlanken Freundin zugebracht.

O wenn ich Freud und Leid erinnernd mische,

Welch Glück für welchen Gram mir zugedacht,

Statt Schemen solch ein Weib ans Herz zu drücken,

Braust mir durchs Mark ein schauerndes Entzücken.


Wie sich zum Kelche schmiegend weich zusammen

Die Blätter legen, los am spröden Stiel,

Wie neigen hingegeben sich die Flammen

Der Sommerküsse schmeichlerischem Spiel!

Den holden Schlafgott kann ich nicht verdammen,

Der einst mit Mohn zu schmücken sich gefiel –

Wie dehnen dankbar die gelösten Glieder

Sich selig rauscherschlafft zur Ruhe nieder!


Morpheus verzeiht, wenn ich ihn zärtlich deute,

Vermeinend, Amor sei mit ihm im Bund,

Weil Schlummer Balsam ist für Liebesleute,

Die von der Venus süßen Pfeilen wund.

Ich bin der reizendsten Erregung Beute –

Da stopft die Muse schleunigst mir den Mund;

Sie sagt: nicht aus konventionellen Gründen,

Doch weil kaum drei der Unschuld Wort verstünden.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 86-87.
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