9.

[94] Wie dieser Himmel, dessen Blau verloren

Von schwarzen Wolkenballen rings bedeckt,

Sank schweres Leiden auf den armen Toren,

Von Angst und Grauen ward mein Sinn erschreckt.

Da hab ich mit dem Ruck, der eingeboren

Als rätselhafte Macht uns, mich gereckt

Und niederstampfend der Vernichtung Schauer,

Erstürmt der Lebensfreistatt Wall und Mauer.


Erlitten hatt' ich tiefste Niederlage,

Des geistigen Todes glaubt' ich mich gewiß,

Da mir wie eine jäh geträumte Sage

Das Sein zerrann in Dunst und Finsternis.

Das Leben ward mir zur verwünschten Plage –

Was fehlte viel, daß ich den Schein zerriß? ...

Nun das Genick ich zog aus seiner Schlinge,

Schätz' ich das Leben hoch und – doch geringe.
[94]

Ich glaube fast, das Ding will mir sich schmiegen,

Seit ich's mal recht verächtlich angeschaut,

Und konnt ich's lange Zeit nicht unterkriegen,

Nun gibt's von selbst sich, tut mir sehr vertraut.

Als dank' es mir, läßt es wie Stahl sich biegen,

Daß ich's nicht weggeworfen nachtumgraut ...

Ich kann es ohne Last der finstern Schemen

Mit Sinnen auf die leichte Schulter nehmen.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 94-95.
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