17.

[110] Heut in der Stadt schnell im Vorübergehen –

Die Luft trotz schwachen Regens drückend schwül! –

Hab ich ein kleines Straßenbild gesehen,

Erquickt mein übermenschliches Gefühl.

Ein Polizist hieß einen Kutscher drehen,

Der falsch getrabt, in gröbstem Zürcher Stil.

Dem Rosselenker schwoll die Zornesader,

Wort gab das Wort, in Flammen stand der Hader.


Und blitzschnell, eh ein Augenblick verronnen,

Die Peitsche traf die hohe Polizei,

Öl goß ins Feuer gleich in ganzen Tonnen

Maßlose Wut, wahnwitzige Raserei.

Fast hat die Hermandad den Bock gewonnen,

Sie hält sich mutig – rings herum Geschrei!

Die Stöße prasseln – wildes Armgerenke!

Der Ordnungswächter packt die Handgelenke.
[110]

Schon wieder frei. Da von der andern Seite

Ein Knirps von Postmensch klettert hinterrücks –

Gesetzeshelfer in dem blutigen Streite –

Und trifft die Wucht des riesigen Genicks

Und bleut mit feiger Faust des Nackens Breite,

Ein Augenpuff beraubt den Mann des Blicks –

Der Polizist legt rasch die Eisenschellen

Ihm an und reißt vom Thron den Staatsrebellen.


Ein Angebinde noch von Gafferfäusten

Dem wehrlos Hingeschleiften ins Gesicht:

»Der chaibe Hund! Wie konnt' er sich erdreusten!«

Zur Wache fort und fort zum Weltgericht!

Die Szene liest sich morgen in den »Neuesten«

Ganz hübsch. Der Metzger zur Frau Metzgern spricht:

»Mietskutscherblut floß in der Storchengasse.

Geschieht ihm recht. So'n Polizist hat Rasse.«


Und weiter nichts? Welch winzig Zwischenfällchen!

Ist so was überhaupt der Rede wert?

Entrüstungsrößlein, bleib in deinem Ställchen!

Zornbübchen, setz dich nicht aufs hohe Pferd!

Das fehlte! Doch aus winzigen Schneebällchen

Wächst lautlos die Lawine, die verheert

Und jäh verschlingt, die weiße Schneehyäne,

Den Hirten samt Schalmei ... La bête humaine!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 110-111.
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