25.

[129] Der Mond, der Träume Meister, schwebt im Blauen,

Auf Strahlenbrücken gleitet leise hin,

Versunken in ein selbstverlornes Schauen,

Der nachtgelöste, weltallkühle Sinn.

Ich fühle feuchten Glanz herniedertauen

Mit silbermaschig perlendem Gespinn,

Die Bäume tropfen von verklärtem Lichte,

Und durch die Seele rieseln Sterngedichte.
[129]

Gefangen von des Schimmers Zaubernetze,

Schaukl' ich im Schoße der Unendlichkeit ...

Und meines Geistes reinste Sehnsucht letze

Vollkommen ich, von Wünschen unentweiht.

Wie selbstentrückt genieß' ich die Gesetze,

Vom Wahne meines engen Ich befreit,

Das sich am Tage bannt in nächste Kreise

Und wirkt nach seines Triebs beschränkter Weise.


Hier geh' ich auf, hier geb ich mich der Größe

Und ihrem unverbrüchlich sichern Gang,

Kein Himmelsstürmer mit Pygmäenblöße,

Der aufbegehrt gen übermächtigen Zwang.

Ich wittre weltweit Ätherwellenstöße,

Der feinsten Elemente Fluß und Drang,

Der mondesaugigen Gottheit Atemzüge

Atm' ich im Gleichtakt, fern der Lebenslüge.


Und meiner Eigensuchten Bürde sinken

Fühl' ich wie Ballast auf der Erde Grund,

Aus leichtern Sphären Allgefühl zu trinken,

Heb' ich den Himmelsbecher an den Mund.

Unendlich Schlürfen! Mondesfeen winken

Und schließen mich in ihren Schwebebund,

In ihrem zartgewobnen Strahlenreigen

Seh ich mit mir die Liebste sternwärts steigen.
[130]

In keuscher Formenklarheit offenbaren

Sich irdischer Bilder Umriß und Gestalt,

So rein, wie wir sie Tages nie gewahren,

Wo von den Dingen grell der Lichtpfeil prallt.

Der Menschen Wohnungen wir neu gewahren

Wie marmorweiß – mit magischer Gewalt

Umgießt ein Abglanz überirdischer Helle

Der Villen Gärten und des Sees Welle.


Nun sind die Stunden, wo die Zeit vergangen

Und alles zittert unermeßlich tief,

Durchsichtige Silberschleier niederhangen

Vom Haupt der Mondfrau, die geblendet schlief –

Nun hält in allumfassendem Verlangen

Die Nacht in weißer Hand den goldnen Brief,

Drin sie die Welt verschwenderisch begnadet,

Zum Traum in blaue Sternensäle ladet ...

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 129-131.
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