Erster Auftritt.

[167] Durch die Mittelthür kommen: Ehrenthal und Dörthe.


DÖRTHE. Nein, die Freude, zur Fastnacht! Hätt' ich mir doch eher des Himmels Einsturz vermuthet, als Sie heute zu sehen.

EHRENTHAL. Ja, da bin ich! – Seit wie lange war ich nicht hier?

DÖRTHE. Zu einem Jahre wird nichts fehlen. Sie waren das letzte Mal hier, da Sie mich hereinbrachten. – Mir ist so bange nach Ihnen gewesen. Küßt ihm die Hand.

EHRENTHAL. Dachte, Du solltest mich im Geräusch der großen Stadt bald vergessen?

DÖRTHE. Das müßte ein schrecklicher Spektakel sein, eh' ich meinen Wohlthäter vergäße. Wo wär' ich denn, wenn Sie sich nicht der kleinen Dörthe erbarmt hätten? Das arme Wurm! Vater todt, Mutter todt, keine menschliche Seele, kein Hahn, der nach mir krähte, – na, ich sage doch! – Da kamen Sie und ließen mich aufpäppeln, und[167] zogen mich groß, und waren immer so gut zu mir, und ich hatte so schöne Tage –

EHRENTHAL. Hier, dacht' ich, solltest Du sie besser haben, im Hause meines Sohnes?

DÖRTHE. Ne, davon hab' ich noch nichts gemorken.

EHRENTHAL. Wie?

DÖRTHE. Sie müßen verzeih'n und nicht böse sein, wenn ich mir nun einmal Luft mache. Seit einem Jahre hat sich's auf dem Herzen zusammengedrängelt, nun will's 'raus. Warum ich mich nach Berlin sehnte, das wissen Sie; ich wollte 'was Rechtschaffnes lernen, sehen, wie's in einer großen Wirthschaft zugeht, der Köchin die Künste ein Bischen ablauern, kurz und gut, daß ich ein tüchtiges »Mädchen für Alles« vorstellen könnte, wie sie immer in den Blättern verlangt werden. Aber sehen Sie, Herr Ehrenthal, ich bin bei Ihnen verwöhnt worden. Da bekam ich nur freundliche Worte, und hier bekomm ich nur Scheltworte; Madame –

EHRENTHAL. Was? Du wirst schlecht behandelt? Wo ist Gustav? Wo ist mein Sohn? Er muß mir sagen, warum?

DÖRTHE. Ne, ne, lassen Sie, das hilft nichts. Erstens, der Herr ist mir selbst nicht recht grün, und hernach, wenn er auch wollte mir beistehen, das ist so viel wie nichts. Madame thut, was sie will, und hört nicht so viel nach ihm. Leise. Herr Ehrenthal, da ist keine glückliche Ehe.

EHRENTHAL fährt mit der Hand über die Stirn und wendet sich ab. Nach einer Pause. Wo ist mein Sohn?[168]

DÖRTHE. Er schläft. Sie schlafen Alle im Hause. Die andern Dienstboten wohl auch. Sie machen ihr Nachmittagsschläfchen. Heute können sie's auch brauchen, denn die Nacht geht's auf Redoute, da wird denn doch kein Auge zugethan.

EHRENTHAL. Und Du bist die Einzige –

DÖRTHE. Ja, ich muß immer auf den Beinen sein. Na, warum nicht? Ich bin jung, lustig, gesund, also wenn sie von mir verlangen, ich soll frischauf sein, da muß ich sie Beifall geben. Was die Herrschaft von mir verlangt, das thu' ich auch gern und willig. Wenn man der kleine Junge nicht wäre, der Justchen, der ist der Verzug von alle mit einander. Vatern und Muttern wollt' ich's noch vergeben, denn warum, es ist ihr Kind. Aber das eklige, stolze Frauenzimmer, die Phippine, die hat sich mit dem kleinen Balg, blos daß sie sich einschmeicheln und insinuiren will. Der Bediente, der August, der erst seit acht Tagen im Hause ist, hält's nu schon mit der Philippine, – und das ist ein schlechter Mensch, Leise in's Ohr. der stiehlt, ich hab's gesehen. Lachend. Erst wollt' er mir die Cour schneiden, wie sie's hier nennen, aber da hat er sich geschnitten, ich hab' ihn lassen ablaufen. Nun weiß er nicht, was er mir Alles in den Weg legen soll vor Rache. Die Köchin wär' soweit nicht übel, wenn sie nicht so faul wäre. Aber Alles schiebt sie mir in die Schuhe, immer muß ich laufen und rennen und zusammenschleppen, was sie vergessen hat, denn sie ist vergeßlich, weil sie manchmal – Pantomime des Trinkens.[169] Nu ist das ein Elend hier mit unsre Wohnung. Es heißt wohl, wir wohnen in der Stadt! Ja, mein Himmel, 'ne Mauer geht d'rum h'rum, aber wer uns hier in den Gärten stehen sieht, der merkt doch nichts von Stadt. Eine Ewigkeit ist's hinein bis auf die Märkte. Nu lauf' ich, nu renn' ich, – im Sommer geht's noch an, wegen die Natur und die Blumen, – aber im Winter, da wird Einem ja des Abends ganz graulich; – na, kaum daß ich nu weg bin, so schrein sie nach mir, da soll ich Holz einlegen, Klumpen heiß machen, Kind anziehen, Wasser schleppen, – da heißt's: Dörthe! Dörthe! Wo steckt die Dörthe! Ja, sehn Sie, die Dörthe schiebt in der Stadt 'rum und holt ein. – Na, nu komm' ich nach Hause, nu sagt die Köchin: daß Du nicht klatscht, daß ich Dir geschickt habe! – Wer mir nun zuerst begegnet, der schnauzt mich an, – und die Madame giebt mir 'nen Knuff – und dumme Dörthe! ungeschickte Dörthe! Bauertrine Landmiliz! das ist so mein tägliches Aufgebot. Wenn ich ein Staarmatz wäre, das könnt' ich Alles schon nachsprechen.

EHRENTHAL. Da begreif' ich doch aber nicht, warum Du nicht längst –

DÖRTHE. Warum ich nicht auf und davon gegangen bin, und gekommen 'raus zu Ihnen? Ja, seh'n Sie, da wußt' ich doch nicht, ob Sie das würden gut finden? Denn erstlich ist Er doch Ihr Sohn, und seine Frau ist Ihre Schwiegertochter, das Kind Ihr Enkel – wenn ich auch manchmal schelte, weil's ungezogen ist, am Ende kann doch das Kind nicht dafür, daß es ein Verzug von den Eltern wird. Und mich hat's auch lieb, denn so klein wie's[170] ist, sieht's doch ein, daß ich's gut mit ihm meine. Und zweitens –

EHRENTHAL. Nun zweitens? Ist etwa gar Dein Herz mit im Spiele?

DÖRTHE schlägt die Augen nieder und nickt.

EHRENTHAL besorgt. Doch nicht ein junger Taugenichts, der Dich betröge?

DÖRTHE. Ach, wo denken Sie hin? so dumm ist die Dörthe auch nicht. Der Herr Richard, der Madame ihr Liebhaber, der spricht wohl freundlich mit mir – und auch mancher Andere, der hier aus und eingeht, aber da geb' ich ihnen immer eine Antwort, daß sie gleich ihre erste Frage wieder vergessen. Nein, mein Liebhaber, das ist ein ehemaliger Soldat –

EHRENTHAL. Soldat?

DÖRTHE nickt. Er ist nicht von hier gebürtig. Er ist aus Dings da – oben am Rhein – ein Ausländer. Da hat er Feldzüge mitgemacht und ist immer brav gewesen, hat die Zuviel-Medaille, und hält 'was auf sich, wenn er schon nur ein Tagelöhner ist. Er ist immer mit bei, wenn's hier zu thun giebt. Da hab' ich ihn näher kennen gelernt, das heißt: von entfernt. Aber Niemand weiß was, Sie sind der Erste. Ich bin ihm schrecklich gut, und er ist ganz solide, ein stiller Mensch: sehr stolz. Man, daß er einen Fehler hat, so eifersüchtig ist er, und gleich so heftig, ordentlich wüthend; das macht mir manchmal Noth. Es ist noch von's Soldatenleben her, und er hat auch überhaupt so 'nen dustern Korakter. Aber sonst ist es ein braver Mann. Wollen Sie'n sehn? Kommen Sie 'mal hier an's Fenster.[171] Sehn Sie die Holzleute da unten vor unsrer Thür? der Blasse, das ist er.

EHRENTHAL. Hm! der Mensch hat kein gewöhnliches Aussehn.

DÖRTHE. Nicht wahr, er sieht nach 'was aus?

EHRENTHAL. Vielleicht wäre – denkt Ihr an eine Verbindung?

DÖRTHE. Ja, d'ran denken thu' ich freilich, und er wohl auch, das ist gewiß. Aber von nichts wird nichts: Frau Tagelöhnern so auf's Ungewisse mag ich nicht werden. Und dienen läßt er mich denn auch nicht mehr, das weiß ich schon! Er hat seinen Nagel: er ist ein Förstersohn.

EHRENTHAL. Ein Förstersohn! – Was mir da einfällt! Ich brauche einen Waldbelaufer, einen kräftigen Menschen, auf den ich mich verlassen kann. Das wäre etwas für ihn – und für Dich auch. Wieder auf's Land hinaus zu kommen? Meiner Alten fehlst Du ohnedies überall.

DÖRTHE. Herr Ehrenthal! Herr Ehrenthal! Ist das Ihr Ernst?

EHRENTHAL. Mein völliger! Hab' ich Dir nicht immer versprochen, einmal für Dich zu sorgen?

DÖRTHE umherspringend. Herr Ehrenthal, ich soll Franzen kriegen! Ich soll auf's Dorf 'naus! Ich soll Waldlaufer werden, und meine Wirthschaft haben, und brauche mich nicht mehr knuffen zu lassen von der Madame, und nicht mehr anschnauzen von Philippine und August und der Köchin – und Franzen soll ich kriegen! – Ach, Sie englischer Herr Ehrenthal, ach, Sie mein zweiter, mein[172] doppelter Vater! das ist eine Fastnacht! J, da muß ja gleich! – Indem sie abläuft, rennt sie an den eintretenden Gustav an; ab.


Quelle:
Karl von Holtei: Theater. Ausgabe letzter Hand in sechs Bänden, Band 1, Breslau 1867, S. 167-173.
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