Zweiter Auftritt.


[76] Öde Felsgegend mit Schnee bedeckt, oberhalb Passeier vor der Hütte Kellerlahn. Es ist noch Nacht.


SPECKBACHERS STIMME draußen. Hier geht der Weg!

HASPINGERS STIMME draußen. Nein Joseph, hier geht er.

HOFER auftretend. Die Geister meiner Freunde suchen mich.


Speckbacher und Haspinger treten auf.


SPECKBACHER. Da steht ein Mann![76]

HASPINGER. Ich glaub', es ist der Hofer.

HOFER. Seid Menschen ihr mit Fleisch und Blut?

BEIDE. Wir sind's!

HOFER.

Ihr seid's! Ihr seid's! O welch ein Freudentag

Wird noch auf dieser Welt dem armen Hofer!


Es ist Tag geworden.


HASPINGER. Sein Bart ist grau!

SPECKBACHER. Die Kniee zittern ihm.

HOFER.

Ich hab' ein elend Leben hier geführt.

Nun, ihr seht auch nach Feiertag nicht aus,

Und eure hellen Augen sind erloschen.

HASPINGER.

Wir stehn hier, eine stille Jammerkirche,

Und singen neue Weisen tiefer Schmerzen.

Wie folgen unsre Augen helle sein?

Das Vaterland weint sich die Augen aus!

Es ziemet sich, daß unsre Kniee schwanken,

Das Vaterland erliegt an seiner Last!

Und da ihm seine Jugend ward erschlagen,

So müssen wir wohl graue Haare tragen!

HOFER.

Die grauen Haare deuten Weisheit an,

So wird das Vaterland die Weisheit finden,

Mit schwachen Knien erreicht man auch sein Ziel,

So schwankend wird das Vaterland es finden,

Vor Tränen kann das Auge nicht weit sehn;

Blind schleicht das Land zu seinem Wohlergehn.

SPECKBACHER.

Ich freu mich deiner herzlichen Gesinnung!

Geächtet sind wir und auf rascher Flucht;

Wir aber mochten nicht das Land verlassen,

Eh' wir nicht dich gerettet! Komm mit uns,

Ich bringe dich nach Östreich, glaub' ich, durch.

HOFER.

Ihr Herzgeliebten! Wackre, teure Männer!

Es wärmt mein Innerstes die goldne Treue.

Die ich von euch erfahre! Zürnt mir nicht!

Ich flüchte mich mit dir, mein Joseph, nicht.[77]

HASPINGER.

Willst du mit Joseph nicht, so komm mit mir.

Hin nach Graubündens finstern Felsengründen,

Ins stille Klösterlein zu Münstertal.

HOFER.

Du Guter, was soll ich wohl zu Graubünden?

SPECKBACHER.

O Vater Hofer, gib den Freunden nach!

HOFER.

Bin ich denn eigensinnig, liebe Brüder?

Ihr kennt mich doch, und wißt von meiner Art.

Wie eine Alpenpflanze wuchs ich fest

An unsren Felsen, und das viele Blut,

So ich vergießen lassen, hat mich ja

Noch mehr verkittet.

Reißt ihr mit meiner Wurzel mich vom Grund,

So muß der alte Hofer bald verdorren!

Gott segne eure Flucht! Ich bleibe hier.

SPECKBACHER.

Als Held wirst du in Osterreich geehrt.

HOFER.

Ich bin kein Held, was sollte mir die Ehre?

SPECKBACHER.

Dein Kaiser wird dich väterlich beschützen.

HOFER.

Ich esse keines Kaisers Gnadenbrot.

HASPINGER.

Das stille Kloster in dem Münstertal

Gibt Frieden dir!

HOFER.

Das Kloster ist das Haus

Des Mönchs, der reu'gen Sünder milde Freistatt!

Ich bin kein Sünder, und kein Mönch bin ich.

SPECKBACHER.

Was aber willst du hier?

HOFER.

Mein Los erfüllen.

HASPINGER.

Verzweiflung ist's. Faß Mut, entherzter Mann!

HOFER.

Nein, Ruhe ist es, die nichts stören kann.

HASPINGER.

Ein eitles Opfer liebt die Gottheit nicht!

SPECKBACHER.

Dem Vaterland zu leben, das ist Pflicht.

HOFER.

Ich leb' und sterbe vor des Herrn Gesicht!

Erduldet hab' ich, was zu grimm'ger Torheit

Mich trieb – da war es schwarz! Nun ist es hell,

Doch auch das Liebste: unsrer Sache Glück,

Mich würd' es nicht erfreuen mehr. Drum geht![78]

Gefährlich ist's, hier lange zu verweilen.


Zu Speckbacher.


Du sinne, Kühner, für des Landes Heil!


Zu Haspinger.


Du bete, Treuer, für des Landes Heil!

Ich will, was Gott schickt, für das Land erdulden.

SPECKBACHER.

O Himmel! soll ich dich dem Feinde lassen!

HASPINGER.

Mir bricht das Herz, ich weiß mich nicht zu fassen!

HOFER.

Die Gnade Gottes lächle euren Straßen!


Zu Speckbacher.


Wenn dir der Kaiser Audienz erteilt,

Sag' ihm, Andreas Hofer sei getreu

Bis auf das Letzte seinem Herrn verblieben.

Unnütz sei jüngsthin noch viel Blut geflossen,

Ich aber bitte Seine Majestät,

Sie wolle mir nicht zürnen um den Fehler,

Weil Liebe ihn begangen! –

Der ganzen Welt nicht, nur dem Kaiser habe

Der blöde Hofer Glauben schenken wollen,

Und sei des Kaisers Wort ihm ausgeblieben.


Speckbacher und Haspinger wenden sich, heftig erschüttert.


Und laßt mein weiß Gebein vergessen liegen,

Bis Östreichs Adler kehrt zum alten Horst;

Dann ist es Zeit, den Hügel mir zu rüsten,

Dann setzt ein schwarzes Kreuzlein mir darauf,

Und schreibt ans Kreuz: Hier liegt der Sandwirt Hofer.


Er umarmt sie und drückt sie sanft von sich. Sie gehen nach verschiedenen Seiten ab.


Mein Heiland und mein Herr, beschütze sie!


Quelle:
Karl Immermann: Andreas Hofer der Sandwirt von Passeier. Bielefeld und Leipzig 1912, S. 76-79.
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