13. Hans Wunderlich.

[75] Es war einmal ein König, der lebte mit seiner Frau glücklich und zufrieden. Da starb ihm die Königin und liess ihm ein kleines Prinzesschen zurück, das war so schön, dass der König seine Herzensfreude daran hatte. Um so mehr that ihm leid, dass das Kind ohne Mutter gross werden sollte; er heiratete darum zum zweiten Male. Doch der Stiefmutter war die kleine Prinzessin ein rechter Dorn im Auge, und zumeist ärgerte sie sich, dass der König so grosse Stücke auf das Kind hielt; denn so durfte sie ihm niemals etwas anhaben. Als das Mädchen nun sechszehn Jahre alt geworden und der König gerade im Kriege war, konnte sie es nimmer aushalten und rief alle Hexenmeister und Hexen des ganzen Königreiches zu sich auf das Schloss, und sie berieten mit einander, wie sie die Prinzessin verderben könnten. Der eine sagte dies, der andere das, am meisten gefiel aber der Königin der Rat eines alten Jägers, welcher der grösste Hexenmeister im Lande war. Der ging in den Wald und fing dort von jeder Art Tiere eins und nahm jedem drei Blutstropfen aus dem Leibe und gab ihnen dann die Freiheit zurück. Die Blutstropfen that er in ein Fläschchen und brachte das der Königin und hiess sie, es der Stieftochter am andern Morgen in die Suppe schütten. Und so that die Königin auch.

Nachdem drei Monate vergangen waren, mochte die Prinzessin nicht mehr singen und springen, wie sie früher gethan hatte, sondern blieb zu Hause und spann; die alte Königin aber schrieb ihrem Manne ins Feld: »Was soll ich mit deiner Tochter machen? Sie ist liederlich geworden und treibt sich mit leichtfertigem Gesindel herum.« – »Das schreibt sie, weil es nicht ihr Kind ist,« dachte der König und liess ihr durch einen Boten melden, sie möge hübsch acht geben auf seine Tochter; wenn er zurückkäme, wolle er sie bestrafen. Da verstrichen wieder drei Monate, und die Prinzessin wurde ganz still und weinte nur manchmal leise vor sich hin; die Königin aber schrieb einen neuen Brief an den König, darin stand: »Willst du vor deinem Lande zum Gespötte werden! Deine Tochter ist die liederlichste Dirne im[75] ganzen Reich.« Als der König das Schreiben gelesen hatte, rief er seinen treusten Diener herbei, gab ihm einen versiegelten Brief und sprach: »Eile, mein Sohn, und geh auf das Schloss, und wenn es wahr ist, dass die Prinzessin, meine Tochter, mir Schande macht vor aller Welt, so gieb der Königin diesen Brief; ist es aber nicht wahr, so behalte den Brief und bring ihn mir eilends zurück.« Der Bote that, wie ihm der König befohlen hatte, und als er auf dem Schlosse war, sah er, dass die Königin recht geschrieben hatte, gab ihr den Brief und eilte wieder davon. Die Königin aber erbrach das Siegel, öffnete den Brief und las: »Mach mit meiner Tochter, was du willst, und bestrafe sie, wie sie es verdient hat.« Da lachte der alten Hexe das Herz im Leibe, und sie rief ihren Hofjäger herbei und befahl ihm, die Prinzessin im Walde zu erschiessen, und als Wahrzeichen, dass er den Befehl vollführt habe, solle er ihr das Herz und die Augen ausschneiden und mit auf das Schloss bringen.

Der Jäger nahm die Prinzessin bei der Hand und führte sie in den Wald hinaus. Als sie ein Endchen gegangen waren, sprach er: »Jetzt steh still!« und legte die Büchse an, um das arme Kind zu erschiessen. »Ach, lieber Jäger, was hab ich denn gethan, dass du mich töten willst?« schrie die Königstochter. »Das weiss ich nicht,« antwortete der Jäger, »die Königin hat es mir so befohlen.« Da bat ihn die Prinzessin vom Himmel zur Erde, und endlich sagte der Jäger: »Wenn ich dich verschone, so komme ich um mein Leben, denn ich soll der Königin, deiner Mutter, deine Augen und das Herz als Wahrzeichen bringen, dass ich dich erschossen habe.« – »Erschiess doch den Hund und nimm von ihm Augen und Herz,« bat die Prinzessin, »und ich schwöre dir einen teuren Eid, dass ich nie wieder meines Vaters Reich betreten werde.« Das war der Jäger zufrieden, und nachdem ihm die Prinzessin geschworen hatte, tötete er seinen Hund, schnitt ihm die Augen und das Herz aus und brachte beides der Königin. Da freute sich die alte Hexe; denn nun wusste sie ja, dass ihre Stieftochter gestorben war.

Die Prinzessin war aber nicht tot, sondern lief im wilden Walde herum; und als es Abend geworden war, fand sie ein Erdloch, aus dem der Sturmwind einen grossen Eichbaum gerissen hatte. Dahinein trug sie trockenes Laub und Moos und machte sich ein warmes Lager zurecht, dass sie die Nacht über nicht frieren durfte. Am andern Morgen suchte sie Wurzeln und Kräuter, pflückte Erdbeeren und Himbeeren, und des Abends kroch sie wieder in das weiche Nestchen hinein. So lebte sie drei Monde lang. Eines Nachts war ihr im Schlafe so recht warm geworden, und als sie mit Sonnenaufgang nach ihrer Gewohnheit aufstehen wollte, sprang ein bunter Junge vor ihr herum, der hatte Federn und Haare, schwarz und weiss, gries und grau, rot und grün, gelb und blau. »Mutter,« rief der närrische Schelm, »du hast lange genug im Walde Kräuter gegessen; jetzt komm mit mir an des Königs Hof.« Der Prinzessin kam es wunderlich vor, dass der bunte Junge sie Mutter nannte; aber da er so sagte, glaubte[76] sie ihm auch und folgte ihm nach, wohin er sie führte. Es dauerte nicht lange, so waren sie aus dem Walde heraus, und noch ein klein Weilchen, so standen sie vor einem prächtigen Königsschloss. »Mutter! hier ist die Stelle der Küchenmagd frei,« sagte der bunte Junge, »da vermiete dich nur. Das gute Essen wird dir besser munden, als das Kräuter- und Beerenwesen im Walde.« – »Wo bleibst aber du?« fragte die Prinzessin. »Das lass meine Sorge sein, Mutter,« antwortete der bunte Junge und sprang davon. Die Königstochter aber that, wie ihr der bunte Junge geheissen hatte, und wurde auch sogleich als Küchenmagd angenommen.

Indes spielte der bunte Junge mit den Kindern der Stadt vor dem Thore und balgte sich mit ihnen herum, wie Knaben zu thun pflegen. Da kam des Königs Sohn von der Jagd zurück, und als er den bunten Jungen sah mit Federn und Haaren, schwarz und weiss, gries und grau, rot und grün, gelb und blau, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und rief: »Bunter Junge, wo kommst denn du her?« – »Das weiss ich nicht.« – »Wer ist denn dein Vater?« – »Das glaubst du mir doch nicht.« – »Wer ist deine Mutter?« – »Das sage ich nicht.« – »Wo wohnst du denn?« – »Wo ich will.« – »Höre einmal, bunter Junge,« sagte darauf der Prinz, dem der Schelm gefiel, »ich will dich in meine Dienste nehmen.« – »Wenn du mir gut thust, gehe ich darauf ein,« antwortete er, »du darfst mich aber niemals wieder bunter Junge rufen.« – »Wie heisst du denn?« fragte der Königssohn. – »Ich heisse Hans Wunderlich!« – »Nun, so komm mit mir, Hans Wunderlich,« sprach der Prinz, und der bunte Junge lief neben dem Rosse her, schneller, als ein Windspiel zu laufen vermag. Auf dem Schlosse bekam er von der Speise, welche dem Prinzen aufgetragen wurde, und wo dieser war, war er auch, und des Nachts kroch er unter die Bettstelle und schlief dort, bis der Königssohn erwachte.

Eines Tages sagte der Königssohn: »Hans Wunderlich, ich habe eine grosse Reise vor, da darfst du nicht mitkommen!« – »Wo du bist, bleibe ich auch,« versetzte der bunte Junge. »Wenn ich dich nun aber nicht in den Wagen nehme.« – »Dann setze ich mich zu dem Kutscher auf den Bock!« – »Und wenn ich dich dort nicht sitzen lasse.« – »So laufe ich nebenher.« – »Und wenn ich dich zurücktreiben lasse!« – »So bin ich doch bei dir; denn wo du bist, bleibe ich auch.« Sprach der Prinz: »Wenn es so steht, will ich dich doch nur mitnehmen.« – »Ist auch besser,« sagte Hans Wunderlich; und er durfte in den Wagen hinein, als der Königssohn von seines Vaters Schloss fuhr. Der Prinz wollte aber einen König besuchen, dessen eine Tochter für ihn zur Gemahlin bestimmt war. Die Sache war schon längst abgemacht, nur wusste der König nicht, welche Tochter er weggeben sollte. Da musste nun der Prinz selber kommen und die Prinzessin aussuchen, die ihm am meisten gefiel.

Auf der Reise kamen sie durch einen grossen Wald, und als es Abend wurde, sahen sie ein Wirtshaus vor sich, das war hell erleuchtet[77] und schien voller Menschen. Dort musste der Kutscher halten, und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, liess sich der Prinz ein Zimmer geben und ging mit Hans Wunderlich hinauf. »Prinz,« sagte der bunte Junge, als der Königssohn sich entkleidet hatte, »heute kannst du einmal unter dem Bette schlafen, ich habe es lange genug gethan.« – »Nicht doch, Hans Wunderlich,« antwortete der Prinz, »so haben wir nicht gewettet: Der Herr gehört ins Bett und der Diener darunter.« – Hans Wunderlich blieb aber dabei, und endlich kroch der Prinz um des lieben Friedens willen unter die Bettstelle und lag auf der Diele, während sich der bunte Junge in dem weichen Bette streckte. Als Mitternacht vorüber war, that sich mit einem Male die Thüre auf, und zwölf Kerle kamen mit langen, scharfen Messern herein geschlichen, fielen über das Bett her und stachen hinein. In dem Augenblick war aber auch Hans Wunderlich schon aufgesprungen, hatte den ersten bei den Beinen gepackt und schlug mit ihm auf die elf andern ein, bis er sie samt und sonders getötet hatte. Dann warf er die Leichen zum Fenster hinaus und sagte zu dem Prinzen: »Jetzt leg du dich wieder in das Bett und lass mich unter die Bettstelle kriechen.« Der Prinz bedankte sich bei dem bunten Jungen; denn nun merkte er, warum er durchaus mit auf die Reise gewollt hatte. Darauf legte er sich in das Bett und schlief bis an den lichten Morgen; dann stiegen sie wieder in den Wagen und fuhren in des Königs Stadt, mit dessen Tochter der Prinz Hochzeit machen sollte.

Ehe der Prinz aber auf das Schloss ging, nahm ihn Hans Wunderlich bei Seite und sprach zu ihm: »Höre, Prinz, vergiss mein nicht, sonst werde ich dein auch vergessen. Bring mir jeden Mittag Speis und Trank in den Garten und stell es mir unter einen Baum, dass ich davon leben kann.« Der Prinz versprach dem bunten Jungen, dass er ihn nicht vergessen würde, und ging auf das Schloss. Der alte König freute sich sehr, dass sein Schwiegersohn gekommen sei, und befahl seinen beiden Töchtern, dass sie vor ihn treten sollten, damit er sich diejenige auswählte, welche ihm am besten gefiele. Die Prinzessinnen waren beide von schöner Gestalt, aber die jüngste gefiel ihm doch besser, als die älteste, und er erbat sich dieselbe vom König zur Frau. Der war damit einverstanden, und es wurde Verlobung und Hochzeit gefeiert; und der Prinz vergass über dein Festesjubel ganz und gar seines Hans Wunderlich und brachte ihm kein Essen in den Garten hinab. Als nun am Abend das junge Paar zu Bette ging, litt es die älteste Prinzessin nicht länger vor Wut und Neid, dass ihre jüngere Schwester vor ihr einen Mann bekommen, sie ergriff ein langes, scharfes Messer, schlich sich damit in die Schlafkammer hinein und stach es ihrer Schwester durch's Herz, dass sie lautlos und, ohne dass der Prinz darüber erwachte, ihren Geist aufgab. Das blutige Messer aber legte sie zur Seite des Prinzen nieder. Doch einer war dabei, der die Mordthat mit angesehen, das war Hans Wunderlich; und als die älteste Prinzessin in ihre Schlafkammer[78] zurückkehrte und einschlief, schrieb er ihr mit Kohle auf die blosse Brust: »Ich bin Schuld an meiner Schwester!« dann lief er wieder in den Garten zurück.

Am andern Morgen wollte der alte König wissen, wie den jungen Leuten die Hochzeit bekommen sei; als er aber die Thüre aufthat, schwamm sein jüngstes Töchterlein in ihrem Blute, und der Prinz lag ruhig neben ihr und hatte das Dolchmesser noch an seiner Seite. »Mörder! Mörder!« schrie der alte König und rang die Hände, und als der Prinz von dem Schreien erwachte, hatten ihn schon des Königs Diener gepackt und warfen ihn in den tiefsten Kerker, und am vierten Tage sollte er gerichtet werden. Da sass er nun im äussersten Keller und rang die Hände und wusste nicht wo aus noch ein. Nur ein ganz kleines Guckfensterchen war hoch oben in der Mauer, damit etwas frische Luft hinein käme und er nicht in dem Gefängnis erstickte. Wie er nun seine Blicke zu dem Guckloch erhob, sah er den bunten Jungen vor dem Fenster lustig auf- und abspringen, als ginge es zur Hochzeit. »Hans Wunderlich, Hans Wunderlich!« rief der Prinz, »hilf mir oder ich sterbe.« – »Du hast mein vergessen, so werde ich dein vergessen,« antwortete der bunte Junge und sprang davon. Den zweiten Tag sprang er wiederum vor dem Kerkerfenster herum, bis der Prinz seiner gewahr wurde und rief: »Hans Wunderlich, Hans Wunderlich, rette mich aus der Not!« Der bunte Junge gab ihm jedoch dieselbe Antwort, wie tags zuvor, und war verschwunden. Am dritten Tage war der Prinz schon ganz am Leben verzagt, und als er diesmal den bunten Jungen erblickte, flehte und bat er so kläglich, dass Hans Wunderlich mitleidig wurde und zu ihm sprach: »Nun gut, ich werde dir helfen, wenn du dafür meine Mutter heiraten willst.« – »Das will ich gerne thun,« antwortete der Prinz, »rette mir nur das Leben.« – »Ich habe dein Wort, dass du meine Mutter heiratest,« erwiderte Hans Wunderlich, »und du hast meins, dass sie dir kein Haar krümmen. Warte nur ab, wie alles geschehen wird!«

Am andern Tage stand der Prinz schon auf der Leiter, und der König und die älteste Prinzessin und die Herren vom Hofe und viel Volks stand um den Galgen herum, dass sie sähen, wie der Mann sein Leben verliert, der seine Frau in der ersten Nacht erstach. Als nun der Henker dem Prinzen eben die Schlinge um den Nacken legen wollte, kam der bunte Junge herbeigelaufen und rief: »Herr König, vergiesst nicht unschuldig Blut und schaut nach, was eurer Tochter auf der blossen Brust geschrieben steht!« Da schrie auch der Prinz von der Leiter herab: »Ich wünsche mir als letzte Gnade, dass es so geschieht, wie Hans Wunderlich gesagt hat.« Die letzte Bitte durfte der König dem Prinzen nicht abschlagen; er nahm darum die Prinzessin beiseite, öffnete ihr das Kleid, und da las er denn auf der blossen Brust: »Ich bin Schuld an meiner Schwester!« – »Wer hat das darauf geschrieben?« fragte er zornig. »Das habe ich gethan,« versetzte Hans Wunderlich und erzählte genau, wie alles gekommen sei. Da konnte auch die Prinzessin nicht mehr läugnen, und sie[79] gestand, dass sie es nicht habe ertragen können, dass ihre jüngere Schwester vor ihr einen Mann bekommen. Sobald der König das vernahm, musste der Prinz von der Leiter herab, und an seiner Statt stieg die Prinzessin hinauf, und der Henker legte ihr die Schlinge um den Hals; dann zog er die Leiter fort, und da hing sie am hell lichten Galgen, den Krähen und Raben zur Speise.

Der Prinz aber stieg mit Hans Wunderlich in den Wagen, und sie fuhren in ihr Königreich zurück. Als sie im Walde waren, sprang der bunte Junge aus dem Wagen heraus und kam bald darauf mit einem grossen Wolfe an. »Prinz,« rief er, »hier ist meine Mutter!« – »Wenn es deine Mutter ist,« antwortete der Königs sohn, »so will ich den Wolf heiraten, und er soll meine Frau werden.« – »Nein, es ist meine Mutter nicht,« lachte Hans Wunderlich, »meine Mutter schaut anders aus, ich wollte dich nur versuchen.« Es dauerte gar nicht lange, so schleppte er einen alten Zottelbär herbei. »Prinz, hier ist meine Mutter!« – »Wenn der Zottelbär deine Mutter ist, so will ich ihn heiraten, und er soll meine liebe Frau werden,« antwortete der Prinz wieder. »Nein, auch der Zottelbär ist meine Mutter nicht,« lachte der bunte Junge, »meine Mutter schaut anders aus,« und er kam mit einem wilden Löwen angesprungen. Dem Prinzen stiegen die Haare zu Berge vor Furcht; aber als Hans Wunderlich sprach: »Hier, dies ist meine Mutter!« antwortete er dennoch, wie zuvor: »Wenn der Löwe deine Mutter ist, soll er auch meine Frau werden.« – »Auch der Löwe ist meine Mutter nicht,« lachte der bunte Junge, »wie sollte ich wohl solch eine Mutter haben!«; dann liess er den Löwen laufen, sprang wieder zu dem Prinzen in den Wagen hinein, und sie fuhren zusammen auf das königliche Schloss. Dort stand gerade die Prinzessin am Brunnen, um Wasser für den Koch in die Küche zu tragen. »Das ist meine Mutter,« rief Hans Wunderlich, sprang aus dem Wagen, ergriff die Prinzessin am Arme und führte sie dem Königssohne zu. »Ach, die hat mir schon längst gefallen!« rief der Prinz, und als Hans Wunderlich ihm die Hand darauf gegeben hatte, dass er diesmal die Wahrheit sage, gab der Prinz des bunten Jungen Mutter einen Kuss, und sie verlobten sich mit einander. Den Abend wurde die Hochzeit gefeiert, und so war die Prinzessin wieder zu königlichen Ehren gelangt, wie sie auch nicht anders verdient hatte.

Als sie am andern Morgen aufgestanden waren, sprach der Prinz: »Ist denn Hans Wunderlich wirklich dein Sohn?« – »Er sagt es ja,« antwortete die Prinzessin, »es muss aber durch Zauberei geschehen sein, mit rechten Dingen ist es nicht zugegangen.« Wie sie noch so miteinander sprachen, that sich die Thüre des Schlafkämmerleins auf, und der bunte Junge kam herein gesprungen. »Vater,« rief er und zupfte den Prinzen am Rocke, »komm mit mir in den Garten hinab; aber vergiss nicht, dein Schwert umzugürten.« Der Prinz that so, wie ihm Hans Wunderlich gesagt hatte, und als sie unten im Garten waren, sprach der bunte Junge zu ihm: »Jetzt zücke dein Schwert und schlage mir das Haupt ab!« – »Das werde ich nicht thun,«[80] versetzte der Prinz; »wie werde ich dem das Haupt abschlagen, der mir zweimal mein Leben gerettet.« – »Gehorche mir oder es geht dir schlecht!« rief der bunte Junge; da bekam der Prinz Furcht, denn er wusste, was Hans Wunderlich vermochte, wenn er böse war. Er zog darum das Schwert aus der Scheide, holte weit aus und, ratsch, hatte das scharfe Eisen den Kopf abgeschnitten, dass er zu Boden fiel. Kaum hatte das Haupt jedoch den Erdboden berührt, so sprang es wieder in die Höhe, und ehe der Prinz es sich versah, sass es wieder zwischen den Schultern, und aus Hans Wunderlich war ein stattlicher Königssohn geworden, wie man ihn sich nicht schöner denken konnte. »Nun bin ich erlöst,« rief er freudig, und nachdem er dem Prinzen alles erzählt hatte, wie es mit seiner Mutter gekommen sei, kehrten sie beide auf das Schloss zurück. Da war die Freude einmal gross, als die Prinzessin sah, was aus ihrem bunten Jungen für ein stolzer Prinz geworden war. Sie lebten darauf alle drei noch viele Jahre lang in Glück und in Frieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 75-81.
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