Einundzwanzigster oder Michaelis-Sektor

[179] Neuer Vertrag zwischen dem Leser und Biographen – Gustavs Brief


»Ziehe hin, Geliebter,« (sagt' ich) »den das Welt-Meer mitnimmt; das Sonnenbild deines verborgen fühlenden Herzens lächle aus dem Meergrund und schwimme mit dir! Dein junges Herz bringest du nicht mehr nach Auenthal! – O daß doch die Früchte am Menschen ein andres Wetter haben müssen als seine Blüten – statt des Hauches des Lenzes den Stich des Augusts und den Sturm des Herbstes!« Ich dachte dies, solange sein Wagen in meinen Augen blieb; nachher ging ich in die Gartenhöhle hinunter zu den zwei Mönchen; und als ich dachte: in euerer kalten Stein-Brust wohnt kein Wunsch, kein Sehnen, kein Schmerz, kein – Herz: »Eben darum«, sagt' ich in anderem Sinn.

Heute ist Michaelis, und heute – ich kann mich nicht länger verstellen – bejährt sich seine Abreise. Heute fängt zwischen mir und dem Leser ein ganz neues Leben an, und wir wollen ruhig alles miteinander vorher ausmachen.

Erstlich bin ich zwar ein Jahr hinter Gustavs Leben zurück; aber in acht Wochen gedenk' ich solches erschrieben zu haben. Ich verhoffte freilich schon vor einem halben Jahre, nun käm' ich ihm nach; aber ein Leben ist leichter zu führen als zu schildern, zumal gut stilisiert. Überhaupt kann ein Autor – ein guter – leichter[179] die Sterne des Himmels zählen als seine zukünftigen Bogen, die auch Sterne sind. Schlüßlich erwartet man, daß die Literatur-Zeitung wenigstens so viel bedenke, daß ich ein Rechtsfreund bin und unmöglich für sie so viel zu schreiben vermag wie für ganze Kollegien, Fakultäten und höchste Reichsgerichte. Kennt die Literatur-Zeitung meine entsetzlichen Arbeiten? Man muß meinen Speiseschrank voll Manualakten gesehen haben, in denen noch dazu kein Wort steht, weil ich sie erst aus der Papiermühle holen ließ, oder man muß in meiner Gerichthalterei in Schwenz, worin die 12 Untertanen und der Lehn- und Gerichtherr selber Bauern sind, gewesen sein, um von mir nicht mehr zu fordern als jährlich ein Buch. Wer ist um ganz Scheerau derjenige Sachwalter, der in einem Prozesse dient, welcher mit nächstem – der Teufel müßte sein Spiel haben – zum Wetzlaer Tor unter die Sessiontische des Reichskammergerichts, das von gutem Stil weiß, dürfte hingetrieben werden? Und doch diente der Prozeß, wie Peter der Große, von unten auf und bestieg, wie die Styliten-Sekte, immer höhere Stühle.

Zweitens – oder das ist noch erstlich: ich kann folglich, gleich den Juden, nur am Sabbat oder Sonntag auf die Plastik meines Seelen-Fötus denken, an Wochentagen wird nichts geschrieben – als zwar auch Biographien, aber nur von Schelmen, man meint Protokolle und Klaglibelle.

Zweitens oder drittens bin ich der Insaß eines Schulmeistertums. – Der gute Rittmeister wollte mich, da sein Sohn zur Tür hinaus war, mit Personalarrest belegen, der bei mir zugleich Realarrest ist, weil mein Mobiliar-Vermögen in meinem Körper und mein Immobiliar-Vermögen in meiner Seele besteht; ich sollte auf seinem Schlosse so lange advozieren und satirisieren, als ich wollte. Es wäre zu wünschen, sein alter Gerichthalter verbliche: so würde ich der neue; denn abdanken kann sein gutes Herz – dem doch mein spitzbübisches, an Hoffeinheiten verwöhntes den Mangel der letzten nicht allemal vergeben mag – keinen Menschen. Behalte deinen gesunden Nord-Ost-Atem, behalte deine Hände mit dem prügelnden Stab Wehe und deine Zunge mit ihrem Paar Donnerwettern und tausend Teufeln, mein Falkenberg![180]

Ich blieb auch bei ihm im Winter; aber heuer im Frühjahr zog ich an den Ort herab, wo ich dieses schreibe – in die obere Stube des Auenthaler Schulmeister Sebastian Wutz1. Ich hatte vielleicht die drei vernünftigsten Gründe von der Welt dazu; ich schwind' erstlich nirgends mehr ein als in einem Vatikan voll öder Klüfte, in Sara-Wüsten von leeren Zimmern; ein Eßsaal mit seiner Möblen-Armut ist für mich ein Patmos, und bloß in kleinen Stübchen wird man größer. Der Mensch sollte von Jahr zu Jahr in immer kleinere Zellen kriechen, bis er in die kleinste schlüpfte, d.h. ins engste Loch dieses gequetschten Silberdrahts. – Der zweite Grund war Herr Fortius (in Morhof. Polyhist. L. II. c. 8.), welcher Gelehrten anrät, alle halbe Jahre die Städte zu wechseln, damit sie besser schrieben – und in der Tat schreibt man besser nach jeder Veränderung, und wäre es eine des Schreibepults. Ohne solche auffrischende Luft schreibt sich die Seele so tief in ihren Hohlweg hinein, daß sie darin steckt, ohne Himmel und Erde zu sehen. Aus gegenwärtigem Werke könnte vielleicht etwas werden; aber jeden Monat und jeden Sektor muß ich in einer andern Kajüte schreiben. –

Der dritte und vernünftigste Grund ist meine Schwester: sie ist wieder von der Residentin von Bouse zurück, erstlich, weil sie ihre Stelle einer schönen Bücherpatientin leer zu machen hatte, der guten Beata nämlich, welche der Vater, der Doktor, der Liebhaber – der dumme Oefel (er wird aber gar nicht begünstigt) – endlich mitten in diese Zusammenströmung aller Freuden und Visiten hinberedeten; – zweitens ist meine Schwester da, weil ichs so haben wollte, aber Schwester, Schwester, warum hab' ich dich nicht eher aus diesem übersinternden Mineral-Strudel gerissen? Warum hast du dich so verändert? Wer kann dich zurück verändern? Wer will dir aus dem Herzen scheuern deine Gedanken an fremde Blicke, deine Gier, bewundert, aber nicht geliebt zu werden, deine Gefallsucht, welche Liebe nur erregen, nicht[181] erwidern will, und alles das, was dein Herz unterscheidet von deinem vorigen Herzen und von Beatens ewigem? – – Mit meiner Schwester wollt' ich also nicht gern das Schloß verengern, auf dem sie übrigens alle Tage ein paar Stunden versitzet.

Jetzt hab' ich dem Leser beigebracht, woran er ist: wir wenden uns wieder zu Gustavs Wagen und sind alle zufrieden, Leser, Setzer und Schreiber.

Gustav fuhr in einer Trunkenheit des Schmerzes, die der schöne Himmel in Tränen auflösete, nach Scheerau und hielt jede Schwalbe und Biene, die unserem Schlosse zuflogen, für glücklich; die nächsten zehn Jahre hingen als zehn Vorhänge vor ihm düster nieder, »und liegen«, fragt' er sich, »Totengerippe, Raubtiere oder Paradiese hinter den Vorhängen?« – Was ohne Vorhang vor ihm saß und dozierte, sah er auch nicht, den Professor. Zwei Stunden vor Scheerau schrieb er mir mit jener flammenden Dankbarkeit, die aus dem Menschen nur in seinem zweiten Jahrzehend so strahlend bricht. Wie bei allen Seelen, die sich mehr von innen heraus als von außen hinein verändern, stand in ihm der Barometer seines Herzens oft unbeweglich auf demselben Grade. Die Regenwolken und den Regenbogen in seinem innern Himmel brachte er nach Scheerau mit; er trug sein überhülltes Herz in das weite widerhallende Kadettenhaus und in dessen Jahrmarktlärm auf den Treppen und in das Kadetten-Feldgeschrei wie unter die Schläge einer Kupferschmiede und Walkmühle hinein – er wurde noch trauriger, aber mit mehr Schmerzen.

Das Merkwürdige im Zimmer, das er betrat und bewohnte, waren nicht drei Kadetten – denn sie waren Kurrent-Menschen, Scheidemünze und prosaische Seelen, d.h. lustig, witzig, ohne Gefühl, ohne Interesse für höhere Bedürfnisse und von mäßigen Leidenschaften –, sondern der Stuben-Ephorus, Herr von Oefel, der mit dem Degen wie eine gespießte Fliege mit der Nadel lief. Oefel fing ihn sogleich zu beobachten an, um ihn abends zu beschreiben; – in Gesellschaften aber beobachtete er jeden, nicht um fremde Pfiffe zu erlauschen, sondern um seine vorzuweisen. So lobte er auch, ohne zu achten, und schwärzte an, ohne zu hassen: glänzen wollt' er bloß.

Unter diesen Verhältnissen, ehe Gustav den schweren Gang[182] über Schmerzen zu Geschäften tat, kam der Trost in der Gestalt der Erinnerung zu ihm, und Gustav sah, was er nicht hätte vergessen sollen – seinen Amandus, seinen Kindheitfreund. Aber der gute Jüngling trat vor ihn nicht in der ersten Gestalt eines Blinden, sondern in der letzten eines Sterbenden; er hatte die Nervenschwindsucht, die alles sein Mark aus der noch stehenden Rinde ausgezogen hatte – an der Rinde grünte nichts mehr als hängende Zweige mit fahlem gesenkten Laub. Er bereitete sich auf kein Amt und kein Leben vor, sondern erwartete und wollte empfangen an der Schwelle des Erbbegräbnisses den Tod, der die Treppe heraufstieg. – Aber daß seine Seele in einer lebendigen Wunde lag, daran kann uns nichts wundern als das Geschlecht; denn die schönsten weiblichen Seelen wohnen selten anders; aber die Männer schonen diese Wunde nicht; es erweicht sie gegen ein so weiches Geschlecht der Anblick nicht, daß die meisten nicht von einem Tage zum andern, sondern von einem Schmerze zum andern leben und von einer Träne zur andern ....

In Gustav wohnte das zweite Ich (der Freund) fast mit dem ersten unter einem Dache, unter der Hirnschale und Hirnhaut; ich meine, er liebte am andern weniger, was er sah, als was er sich dachte; seine Gefühle waren überhaupt näher und dichter um seine Ideen als um seine Sinne; daher wurde oft die Freundschaft-Flamme, die so hoch vor dem Bilde des Freundes emporging, durch den Körper desselben gebogen und abgetrieben. Daher empfing er seinen Amandus, weil überhaupt eine Ankunft weniger erwärmt als ein Abschied, mit einer Wärme, die aus seinem Innern nicht völlig bis zu seinem Äußern reichte – aber Oefel, der beobachtete, hatte mit sechs Blicken heraus, der neue Kadett sei adelstolz.

Unter allen Kriegs-Katechumenen hatte Gustav die meiste Not. Aus einer stillen Kartause war er in ein Polter-Zimmer verbannt, wo die drei Kadetten ihm den ganzen Tag die Ohren mit Rapierstößen, Kartenschlägen und Flüchen beschossen – aus einer Dorfburg war er in ein Louvre geworfen, wo die Trommel das Sprachorgan und die Sprachmaschine war, wodurch das Scholarchat mit den Schülern sprach, wie die Heuschrecke allen ihren Lärm mit einer angebornen Trommel am Bauche macht. Zum Essen, zum[183] Schlafen, zum Wachen wurden sie wie das Parterre eines Dorfkomödianten zusammengetrommelt. Im Marschschritt und hinter dem Kommandowort erstieg diese Miliz den Speisesaal als ihren Wall und nahm von der Festung nichts weg als die Mundportion auf einen halben Tag. Der Kommandozuck riß sie von ihren Stühlen auf und lenkte sie zur Zitadell wieder hinaus. Man konnte nachts die Schritte eines einzigen Kadetten zählen, und man wußte die aller übrigen, weil der kommandierende Luftstoß diese Räder auf einmal trieb. – Eben deswegen, ich meine, weil der Dank vor dem Essen ordentlich kommandiert wurde, hatte das ganze Korps die gleiche Andacht; keine Sekunde sprach einer länger mit Gott als der andre. Ich weiß nicht, in welchem scheerauischen Regimente der Kerl stand, der einmal bei der Kirchenparade, wo der Offizier die Seelen einmal zu Gott kommandierte, die er sonst zum Teufel gehen hieß, so sehr wider vernünftige Subordination verstieß, daß er wenigstens vier Minuten länger dem Himmel auf seinem frommen Knie dankte als der Flügelmann – ich sag' es deswegen, weil ich nachher, als der Beter darüber Fuchtel bekam, öffentlich die Frage tat, ob nicht eben auf diese Weise den Kompagnien die Logik beizubringen wäre, die ihnen so nötig ist wie die Schnurrbärte und noch nützlicher, da man diese, aber nicht jene zu wichsen braucht. Könnte man nicht kommandieren und das Wörtchen »macht« weglassen: »Macht den Vordersatz – macht den Hintersatz – macht den Schluß«? So wär' ich nicht zu tadeln, wenn ich mir eine Kompagnie kaufte und sie die drei Teile der Buße etwa so durchmachen ließe: bereuet – glaubt – bessert – nämlich euch, oder sonst soll das liebe .... in euch fahren, wie jüngere Offiziere beisetzen.

Der östreichsche Soldat hatte bis Anno 1756 zweiundsiebzig Handgriffe zu lernen, nicht um damit den Feind zu schlagen, sondern den – Satan.

In dieser Stimmung, worin Gustav gegen Krieg und seine Kameraden war, schrieb er mir einen Brief, dessen Anfang hier wegbleibt, weil unser Briefsteller dabei allemal so kalt wie beim Empfang zu sein pflegte.


*[184]


– – – »Das Exerzieren und Studieren machen mich zu einem ganz andern Menschen, aber zu keinem glücklichern. Ich ärgere mich oft selber über meine Weichheit, über meine Augen, aus denen ich die Spuren ingeheim wegzuwaschen suche, und über mein Herz, das bei Beleidigungen, die ich jetzo häufig, aber gewiß ohne Absicht der Beleidiger erfahre, nicht hart aufschwillt, sondern sich zusammenpreßt, wie zu einer großen Träne über die unheilige Welt. Meine Stubenkameraden, unter denen ich nichts höre als Rapiere und Flüche, lachen mich über alles aus. Sogar dieses Blatt schreib' ich nicht unter ihnen, sondern unter freiem Himmel im stillen Lande2 zu den Füßen und auf dem Fußgestell einer Blumengöttin, von welcher Arm und Blumenkorb abgebrochen sind. Der gute Herr von Oefel ist unterdessen im alten Schlosse bei der Residentin.

Sobald ich nicht arbeite, drückt jedes Zimmer, jedes Haus, jedes Gesicht auf mich herein – Und doch, wenn ichs wieder tue – zwar wenn trübes Wetter ist, wie in voriger Woche, mach' ich mein mathematisches Reißzeug so gern wie ein Schmuckkästchen auf; aber wenn ein Flammenmorgen unter dem Geschrei aller Vögel, sogar der gefangenen, von den Dächern in unsere Gassen niedersinkt, wenn der Postillon mich mit seinem Horn erinnert, daß er aus den eckigen, spitzigen, verwitternden, unorganisch zusammengeleimten Schutthaufen der getöteten Natur, die eine Stadt heißen, nun hinauskomme in das pulsierende, drängende, knospende Gewühl der nicht ermordeten Natur, wo eine Wurzel die andre umklammert, wo alles mit- und ineinander wächset und alle kleinere Leben sich zu einem großen unendlichen Leben ineinander schlingen: da tritt jeder Bluttropfen meines Herzens zurück vor den Pechkränzen, Trancheekatzen und vor den Wischkolben, womit die Artillerie unsere blauen Morgenstunden ausstopfet. – Dennoch vergess' ich die grünende Natur und die Kontraminen, womit wir[185] sie in die Luft aufschleudern lernen, und sehe bloß die langen Flöre, die an den Stangen aus dem Hause eines Färbers gegenüber in die Höhe fliegen, schon wie Nächte über den Gesichtern armer Mütter hängen, damit der Tau des Jammers im Dunkeln hinter den Leichen falle, die wir am Morgen machen lernen. – – Ach! seitdem es keinen Tod mehr für, sondern nur wider das Vaterland gibt; seitdem ich, wenn ich mein Leben preisgebe, keines errette, sondern nur eines binde: seitdem muß ich wünschen, daß man mir, wenn mich der Krieg einmal ins Töten hineintrommelt, vorher die Augen mit Pulver blindbrenne, damit ich in die Brust nicht steche, die ich sehe, und die schöne Gestalt nicht bedaure, die ich zerschnitze, und nur sterbe, aber nicht töte ..... O da ich noch aus Kartausen, noch aus Ihrem Studierzimmer in die Welt hinaussah, da breitete sie vor mir sich schöner und größer aus mit wogenden Wäldern und flammenden Seen und tausendfach gemalten Auen – jetzo steh' ich auf ihr und sehe das kahle Nadelholz mit kotigen Wurzeln, den schwarzen Teich voll Sumpf und die einmähige Wiese voll gelbes Gras und Abzuggräben. –

Vielleicht könnt' ich aber doch meine Träume, den Menschen zu nutzen, mehr verwirklichen, wenn ich eine andre Laufbahn einschlüge und statt des Schlachtfeldes den Sessiontisch wählen und den Zweck der Aufopferung veredeln dürfte3..... Die rote Sonne steht vor meiner Feder und bewirft mein Papier mit laufenden Schatten: o du wirkst stehend, Himmeldiamant, und machst licht wie der Blitz, aber ohne seinen mörderischen Knall! Die ganze Natur ist stumm, wenn sie erschafft, und laut, wenn sie zerreißet. Große, im Abendfeuer stehende Natur! der Mensch sollte nur deine Stille nachahmen und bloß dein schwaches Kind sein, das deine Wohltaten dem Dürftigen hinausträgt!

Wenn Sie heute von Auenthal zu den im Sonnengolde wogenden[186] Fenstern unsers Schlosses aufsehen: so schauet jetzt meine Seele auch hinüber, aber mit einem Seufzer mehr.« etc.


Die Offiziere sehen ein, daß Gustav keiner werden will; aber er hat seinen ganzen Vater wider sich, der bloß den stürmenden Krieger liebt und ruhigere Geschäftmänner ebenso verschmähst, wie diese den noch ruhigern geschäftlosen Gelehrten verachten. –

1

Den ganzen Lebenslauf seines Vaters, Maria Wutz, hab' ich dem Ende des zweiten Bandes beigegeben. Allein ob er gleich eine Episode ist, die mit dem ganzen Werke durch nichts zusammenzuhängen ist als durch die Heftnadel und den Kleister des Buchbinders: so sollte mir doch die Welt den Gefallen erweisen und ihn sogleich lesen nach dieser Note.

2

So hieß der englische Garten um Marienhof, den die Gemahlin des verstorbenen Fürsten mit einem romantischen, gefühlvollen, über Kunstregeln hinausreichenden Geiste angelegt. Der Kummer gab ihr den Namen und die Anlage des stillen Landes ein. Jetzt ist ihrer sterbenden Seele selbst dieses Land zu laut, und sie lebt verschlossen. Diejenigen Leser, die nicht da waren, will ich mir durch eine Beschreibung des Gartens verbinden.

3

Ich kann nichts dafür, daß mein Held so dumm ist und zu nützen hofft. Ich bins nicht, sondern ich zeige unten, daß das Medizinieren eines kakochymischen Staatskörpers (z.B. bessere Polizei-, Schul- und andre Anstalten, einzelne Dekrete etc.) dem Arzneieinnehmen des Nerven-Schwächlings gleiche, der gegen die Symptome und nicht gegen die Krankheitmaterie arbeitet und der sein Übel bald wegschwitzen, bald wegbrechen oder weglaxieren oder wegbaden will.

Quelle:
Jean Paul: Die unsichtbare Loge, in: Jean Paul: Werke. Band 1, München 1970, S. 179-187.
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