§ 49
Der bildliche Witz, dessen Quelle

[182] Wie an dem unbildlichen Witze der Verstand, so hat am bildlichen die Phantasie den überwiegenden Anteil; der Trug der Geschwindigkeit und Sprache stehet jenem bei, eine Zauberei von ganz anderer Art diesem. Dieselbe unbekannte Gewalt, welche mit Flammen zwei so spröde Wesen, wie Leib und Geist, in ein Leben verschmelzte, wiederholt in und außer uns dieses Veredeln und Vermischen; indem sie uns nötigt, ohne Schluß und Übergang aus der schweren Materie das leichte Feuer des Geistes zu entbinden, aus dem Laut den Gedanken, aus Teilen und Zügen des Gesichts Kräfte und Bewegungen eines Geistes und so überall aus äußerer Bewegung innere.

Wie das Innere unseres Leibes das Innerste unsers geistigen Innern, Zorn und Liebe, nachbildet, und die Leidenschaften Krankheiten werden, so spiegelt das körperliche Äußere das geistige. Kein Volk schüttelt den Kopf zum Ja. Die Metaphern aller Völker (diese Sprachmenschwerdungen der Natur) gleichen sich, und keines nennt den Irrtum Licht und die Wahrheit Finsternis. So wie es kein absolutes Zeichen gibt – denn jedes ist auch eine Sache –, so gibt es im Endlichen keine absolute Sache, sondern[182] jede bedeutet und bezeichnet; wie im Menschen das göttliche Ebenbild, so in der Natur das menschliche.125 Der Mensch wohnt hier auf einer Geisterinsel, nichts ist leblos und unbedeutend, Stimmen ohne Gestalten, Gestalten, welche schweigen, gehören vielleicht zusammen, und wir sollen ahnen; denn alles zeigt über die Geisterinsel hinüber, in ein fremdes Meer hinaus.

Diesem Gürtel der Venus und diesem Arme der Liebe, welcher Geist an Natur wie ein ungebornes Kind an die Mutter heftet, verdanken wir nicht allein Gott, sondern auch die kleine poetische Blume, die Metapher. – Dieser Name der Metapher ist selber eine verkleinerte Wiederholung eines Beweises. Sonderbar! (man erlaube mir diesen Nebengang) auch der materielle Geschmack und der geistige Geruch liegen sich – wie verbundene Bilder der Materie und Geistigkeit – einander gleichfalls ebenso nahe und ebenso ferne. Kant nennt den Geruch einen entfernten Geschmack; aber, wie mich dünkt, betrogen vom immerwährenden Wirkung-Simultaneum beider Sinne. Die gekäuete Blume duftet eben noch unter der Auflösung. Man entziehe aber der Zunge vermittelst des Einatmens durch den bloßen Mund die Mitwirkung der Nase: so wird die Zunge (wie z.B. eben im Flußfieber) ganz zu verarmen und abzusterben scheinen in dem einsamen Genusse, indes der Geruch ihrer nicht bedarf. (Wieder ein Vorbild, nämlich von dem Gegenverhältnisse eines reinen Realisten und eines reinen Idealisten!) Der Geruch mit seiner phantastischen Weite gleicht mehr der Musik, wie der Geschmack mit seiner prosaischen Schärfe dem Gesicht; und tritt mit jener oft zu dieser, wie im Tasten die Temperatur der Körper zu ihrer Form. – Wie wenig poetisch und musikalisch wir z.B. gegen Indier sind, beweiset unsere Herabsetzung der Nase selber, welche über ihren Namen sich selber rümpft, als sei sie der Pranger des Gesichts; und besonders unsere Armut an Geruchswörtern bei unserem Reichtum der Zunge. Denn wir haben nur den abstoßenden Pol (Gestank), nicht einmal den anziehenden; denn Duft ist zu optisch, Geruch zu zweideutig, und Wohlgeruch erst eindeutig. Ja ganze deutsche Kreise riechen gar nicht an Blumen,[183] sondern »schmecken an sie« und nennen, z.B. in Nürnberg und Wien, einen Blumenstrauß eine »Schmecke«. – Nun zurück zum schönen – dem Verhältnis zwischen Körper und Geiste ähnlichen – Unterschiede zwischen Geschmack und Geruch, der jenen in Wasser126, diesen im Äther lebend setzt, für jenen die Frucht, für diesen die Blume. Daher der Sprachwechsel gerade entweder die unsichtbaren Gegenstände dieses Sinnes, oder deren nahes unsichtbares Element, verschieden wie Duft und Luft, zu Wappenbildern des Geistes macht, oder umgekehrt, z.B. Pneuma, Animus, Spiritus, Riechspiritus, sauere Geister, Spiritus rector, Salz-, Salmiak- etc. Geist. Wie schön, daß man nun Metaphern, diese Brotverwandlungen des Geistes, eben den Blumen gleich findet, welche so lieblich den Körper malen und so lieblich den Geist, gleichsam geistige Farben, blühende Geister!

125

Fixlein, 2te Auflage, S. 363.

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Ohne Auflösung durch Wasser gibt es keinen Geschmack.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 182-184.
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