[...] der ersten (oder 5ten),
Grobianismen

[415] betreffend, den Anfang. In einer Note zu Götzens von Berlichingen Leben von ihm selber fand ich die Notiz, daß es 1391 in Hessen eine adelige Gesellschaft gegeben, welche sich die von dem Pengel hießen, auch Pengler oder Fustiarii. Pengel oder Bengel hieß nämlich damals eine eiserne Streitkolbe, wovon uns aber bloß die Metapher geblieben. Nicht unschicklich können wir uns die von dem Pengel nennen, wenn wir an dem von uns herbeigeführten Wolfmonate der Literatur weniger die Kälte als die heulenden Angriffe erwägen. Kraft will man haben – nämlich[415] herkulische; – aber Herkules' Fest253 wurde durch lauter Verwünschungen gefeiert. Begeistert und dithyrambisch will man sein; aber eben in der berauschenden Weinlese ist in Italien und mehren Ländern Schimpfen auf jeden verstattete Lustsitte. An sich übrigens verachten die von dem Pengel gar nicht die Höflichkeit, sondern sie wollen sie vielmehr von ihren Gegnern ausdrücklich haben und beklagen sich bitter und grob genug über den Mangel an gegnerischer Artigkeit; so wie es auch kein Quäker an einem Un-Quäker duldet, daß er ihn mit Du oder mit dem Hut auf dem Kopf anredet. Bei einer solchen Vorliebe für fremde Höflichkeit kann vielleicht keinem Pengler der Vorschlag eigner schwer eingehen, sobald er nur bedenken will, daß er unnütz die Leidenschaften seines Feindes, anstatt für sich, gerade wider sich bewaffne durch Grobianismen, daß ein Gegner verächtlich wäre, der dem Trotz wiche anstatt der freien Milde, und daß durch ein Matrosen-Stilistikum bei zwei Parteien nichts gewonnen werde als Rächen, eignes und fremdes, und daß die dritte, das Publikum, der Mensch, wie jeder selber empfindet, der aus dem Fenster auf den zankenden Markt herabsieht, gerade unter allen Empfindungen die zankende so wenig sympathetisch teilt, obwohl so leicht eine liebende, frohe, bewundernde. Wozu spielt ihr denn überhaupt die heilige Sache der philosophischen oder poetischen Geisterwelt ins gemeine schmutzige Privatgebiet? – Wenn ihr den individuellen Verfasser, sogar den unverdorbnen, so ungern im Gedicht antrefft als eine tote Biene in ihrem Honigfladen, warum wollt ihr gar eine fremde Individualität und vollends eine angeschwärzte in die reine Untersuchung zwingen und schieben? – Und wen kann dergleichen erfreuen und bereden als den von der Pengler-Partei selber? Ruhe ist die höchste philosophische Beredsamkeit. Wie frei, weit, den dicken Wolken der Grobianismen enthoben, schauet man in Schellings Bruno wie auf einem ätherreinen Ätnagipfel in die blauen Räume hinaus, und wie schwül, dick, drückend, finster und überpolternd ist unten der Ätna-Kessel des Anti-Jacobis! Mit welchem schönen Muster geht in den Propyläen und im Meister Goethe vor und gibt das sanfte[416] Beispiel von unparteiischer Schätzung jeder Kraft, jedes Strebens, jeder Glanz-Facette der Welt, ohne darum den Blick aufs Höchste preiszugeben! – Dasselbige gilt von den wenigen Werken des scharfen, ironischen, großsinnigen Urur etc.-Enkels Platons, nämlich von Schleiermacher.254 Aber stets poltert der Schüler und Flügelmann lauter als der Lehrer und Feldherr, so wie im Winde vor uns sich der Zweig nur auf- und niederwiegt, seine Blätter aber schnell und unaufhörlich flattern.

Nichts wohl ist verwandter – in aufsteigender Linie – mit der 1. groben Kautel als die

253

Lact. inst. de falsa relig. I. 21.

254

Seine Kritik der Moralsysteme wird eine neue Epoche der Ethikbegründen: ein Werk voll lichter und heißer Brennpunkte, voll antiken Geistes, Gelehrsamkeit und großer Ansicht. Kein Glückrad zufälliger Kenntnisse wird da von einem Blinden gedreht, sondern ein Schwung- und Feuerrad eines Systems bewegt sich darin, sogar in einem Stile dieses Geistes würdig.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 415-417.
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