An die Frau von Reichmann

[86] 1761.


O du, der mich mein Herz empfohlen,

Soll ich dir sagen wer ich bin?

Ein Weib, die niemahls sich erstohlen

Durch Schmeicheley, Gunst und Gewinn.


Wüst ich mit goldner Münzen Haufen,

Ein Fürstenthum und seine Pracht

Durch eine Lüge zu erkaufen;

Und gäbe keiner auf mich acht


Als nur mein Herz mit Richterblicken:

So trüg ich für dem Herzen Scheu:

Ich liesse mich den Mangel drücken,

Und bliebe ganz der Wahrheit treu.
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Die Wahrheit spricht im Sonnenlichte:

Es ist ein Gott der alles sieht;

Der vor sein allgemein Gerichte

Auch unbekannte Lügner zieht.


Und wenn der Gott in seinem Grimme

Auch nicht der Falschheit Rächer wär;

So fiele mir doch schon die Stimme

Der Tugend, in der Seele schwer.


Der Wahrheit Stimme will ich brauchen,

Und solt ich meinen Bissen Brodt,

Mit Salz bestreut in Eßig tauchen,

So bliebe sie mein größt Geboth.


Sie hieß mir Friedrichs Siege singen;

Und wollten seine Feinde mich

Zu andern Thönen grausam zwingen,

Doch säng ich sterbend Friederich.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 86-88.
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