An Palemon,

zu seinem Geburtstage

[232] 1762.


O du! den die Natur zusammen setzte

Von Zärtlichkeit und von Verstand

Dir lächle dieser Tag, der vormahls sich ergötzte

Als er dich anzublicken fand.


Er kommt geschmückt mit goldnem Sonnenkleide,

Ist lauter Blumen-Cranz, und sieht

Dein Antlitz weggewandt von einer Welt voll Freude

Und fragt dich, wo dein Frühling blüht?


Dort an der Spree, wo sanft getriebne Wellen

Still und verschwiegen sind wie du

Blüht jugendlich dein Lenz und volle Rosen schwellen

Auf Lippen deinen Wünschen zu.
[233]

Dort wandelt sie, zu der du hingerissen

Von ewig starken Banden flogst,

Und alle die das Herz sonst auszuforschen wissen

Mit unbeflammtem Blick belogst.


Die Liebe saß verdeckt in deiner Seele,

Und, Freund! bey ihr beschwör ich dich

Wie man Empfindungen tief in der Brust verheele

Dies nachzuahmen, lehre mich!


Auch lehr ein Gott mich deine Liebe singen

Wenn Mond und Sterne niedersehn,

Wenn Hymen über dir wird seine Fackel schwingen,

Und Abend-Lüfte Kühlung wehn.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 232-234.
Lizenz:
Kategorien: