Zueignungsschrift an die Herren Verfasser und Herausgeber des Athenäum.

[167] Ihnen, meine günstigen Herren, widme ich diesen Versuch, Ihre Lehren auch in das große Publikum zu verbreiten, und sie folglich gemeinnütziger zu machen. Die dramatische Form habe ich gewählt aus reiner Freude am sprechen und sprechen lassen1. Ich bilde mir ein, ein gutes Drama gemacht zu haben, denn es ist drastisch, und Sie selbst sagen: Gute Dramen müssen drastisch sein2.

Wie dieser Gedanke, oder dieses Profil von einem Gedanken3 in mir entstand, davon will ich kürzlich Rechenschaft geben. Ich habe einen Freund, mit dem ich in einer parzialen Ehe4 lebe, den ich aber bald werde portraitiren lassen, weil ich mich schon ein wenig müde an ihm gesehen habe. Die Hauptursache dieser Müdigkeit liegt wohl darin, daß ich Sie beide, meine günstigen Herren, als die größten Genies betrachte, die auf dem Erdboden leben, Er hingegen mit seinem beschränkten Sinn die hohe Verwirrung Ihrer hohen Geister nicht zu fassen vermag. Neulich war er gar so verwegen, mir eine Stelle aus Duclos moeurs de ce siècle vorzulesen, und sie recht unverschämt auf Sie zu appliciren. Sie lautet nämlich folgendergestalt:

[167] Qui sont ceux qui jouissent du droit de pononcer? – degens, qui, à force de braver le mèpris, viennent à bout de se faire respecter et de donner le ton; qui n'ont que des opinions et jamais des sentiments; qui en changent, les quittent et les reprennent, sans le savoir ni s'en douter; ou qui sont opiniâtres sans être constans. Voilà cependant les juges des reputations; voilà ceux dont on mépise les sentimens et dont on recherche le suffrage; ceux qui procurent la Consideration, sans en avoir eux mêmes aucune. – Vous voyez des hommes dont on vante le mérite; si l'on veut examiner en quoi il consiste, on est étonné du vide; on trouve que tout se borne à un air, un d'importance et de suffsance; un peu d'impertinence n'y nuit pas; et quelques fois le maintien suffit.

In deutsch: »Wer sind denn die Herren, die das Recht zu entscheiden ausüben? – Leute, die der Verachtung so lange trotzen, bis sie es endlich dahin bringen, sich geltend zu machen, und den Ton anzugeben; die nie Grundsätze, sondern nur Meinungen haben, die sie wechseln, wegwerfen, wieder aufnehmen, ohne es selbst zu wissen, oder zu ahnen; die sich beständig glauben, weil halsstarrig sind. Sehet da die Richter über Reputation; Menschen, deren Gesinnungen man verachtet, und dennoch ihren Beifall sucht; Menschen, die Andern Ansehn verschaffen, ohne selbst welches zu besitzen. – Man rühmt ihre Verdienste, aber bei näherer Untersuchung erstaunt man über ihre Leerheit und wird bald gewahr, daß sich Alles nur auf ein gewisses Air einschränkt, einen Ton der Wichtigkeit und Selbstgenügsamkeit mit ein wenig Impertinenz gemischt, der Manche blendet.«

Da meinte nun der unverschämte Mensch, Sie erfüllten gewissenhaft Duclos Vorschriften, und der Erfolg habe Duclos Prophezeiungen entsprochen.

Um ihn zu widerlegen führte ich ihn mit triumphirender Miene in mein Bücherkabinet; ich zeigte auf Ihre Fragmente, Ihre Lucinde u.s.w. Von der Lucinde meinte er, hätten sich von den Gergesener Säuen, deren Sie pag. 84, der Fragmente[168] als sämmtlich ersäuft erwähnen, doch wohl einige gerettet, und zwar die feistesten, um da hinein zufahren. Dabei sei nichts kläglicher, als sich dem Teufel umsonst ergeben, nämlich schlüpfrige Gedichte machen, die nicht einmal vortrefflich sind5.

Ich wurde zornig, aber er kehrte sich nicht daran. Von der Lucinde kam er auf Ihre schöne poetische Wuth, schlechte Sachen anpreisen, von welcher Sie zuweilen ergriffen würden, wenn nämlich Ihre Gönner oder Freunde die Verfasser wären. Er meinte, viele Lobredner bewiesen die Größe ihres Abgottes antithetisch durch die Darlegung ihrer eigenen Kleinheit6.

Ich wollte ihm das Lästermaul stopfen ich deutete auf Ihre Fragmente. Da sagte er: die meisten wären hoher Unsinn, den Niemand, auch Sie selbst nicht einmal verstünden.

Länger konnte ich mich nicht halten, denn eben ergriff mich ein Gedanke – diesmal war es aber kein Profil, sondern eine Seele von einem Gedanken7 – und frohlockend rief ich aus, daß es diesen herrlichen Fragmenten nur an einer faßlichern Form fehle, um verstanden zu werden; daß sie nur nicht eben Igel8 sein müßten, und daß ich mich selbst anheischig mache, sie in dramatischer Form so darzustellen, daß Jedermann Lust und Freude daran haben solle. Er faßte mich beim Wort und flugs ging ich an die Arbeit.

Nun muß ich zwar bekennen, daß es mir nicht möglich gewesen ist, Ihren ganzen herrlichen fragmentarischen Unterricht in die dramatische Form zu gießen, und ich habe theils Ihre schönen, volltönigen, in der neuesten philosophischen Terminologie ausgedrückten Wundergedanken, theils Ihre herrlichen, kraftvollen Zoten weglassen müssen; denn dasjenige Publikum, für welches ich schreibe – (Sie[169] wissen, ich schreibe nur für den großen Haufen) – wurde die Erstern doch nicht verstanden, und für die Letztern zu zarte Ohren affectirt haben.

Weh', sehr weh' hat es mir freilich gethan, die köstlichsten Dinge in dieser Art mit Stillschweigen übergehen zu müssen. Wie gern hätte ich zum Beispiel den Zuschauern die interessante Situation aus den Misterien der Venus Πάνδημος mitgetheilt, welche, wie Sie sagen, eine Allegorie auf die Vollendung des männlichen und weiblichen Geschlechts zur vollen ganzen Menschheit ist9, und welches die witzigste und schönste Situation in der schönsten Welt sein soll10. Wie gern hätte ich meinem Karl in der Scene mit Malchen die Bitte in den Mund gelegt: sich doch ein Mal der Wuth ganz hinzugeben, und unersättlich zu sein11 wie schön würde in seinem Munde die Vehauptung geklungen haben: daß zwar ein Libertin verstehen möge, den Gürtel mit einer Art von Geschmack zu lösen, aber daß nur die Liebe den höheren Kunstsinn der Wollust lehre12; wie angenehm würden nicht die Zuschauer durch die lehrreiche, höchst sittliche und in dramatische Handlung gebrachte Anekdote unterhalten worden sein, wo die Thür zugeschlossen wird, und man damit anfängt sich zu küssen, daß es böse Gedanken macht, wo man alsdann das elende dumme Halstuch als ein Vorurtheil wegschiebt, und13 – doch halt! es wird zu viel. Ich schweige und bewundere nur den fessellosen Geist.

Sehen Sie, meine günstigen Herren, alle diese schönen Sächelchen habe ich weglassen müssen, ob ich gleich wohl wußte, welchen starken Effekt sie hervorgebracht haben würden. Aber die Alltags-Menschen haben keinen Sinn für die Frechheit, der Sie so vortrefflich das Wort reden14, und ich mußte mich daher auf dasjenige einschränken,[170] was auf der Bühne sagbar ist. Dem Himmel und Ihnen sei Dank! es blieb noch immer genug übrig, um meinen parzialen Ehekonsorten zu beschämen, und den Samen Ihrer weisen Lehren auch unter dem großen Haufen auszustreuen.

Freilich steht mein Karl allein da; die mit ihm Spielenden gehören eigentlich auch zum großen Haufen, haben auch keinen hinanreichenden Sinn; aber hier blieb ich nur der Natur getreu, denn wie wenige mögen sich dieses erhabenen Kunstsinnes erfreuen.

Nach allem diesem wage ich mir zu schmeicheln, daß ich, meine günstigen Herren, ein Lächeln des Beifalls von Ihnen wohl verdient habe, und daß, wenn es mir einmal widerfahren sollte, einen schlechten Roman wie William Lovell zu schreiben, in welchem die Langeweile in Mittheilung übergeht15 oder einen solchen, in welchem, nach Ihrem eigenen Geständniß, die Gesetze einer kleinlichen unechten Wahrscheinlichkeit verletzt16 und die gewöhnlichen Erwartungen von Einheit und Zusammenhang getäuscht werden17, Sie dennoch nicht ermangeln werden, Ihrem Publikum zu beweisen, daß mein Buch tief und ausführlich, klar und transparent ist, und daß den Leuten nur der echte systematische Instinkt, der Sinn für das Universum fehlt18.

So berge ich mich unter dem weißen Fittig Ihres Schwans, der Alles, was sterblich an ihm ist, in Gesänge aushaucht19, welches darum doch keine sterblichen Gesänge sind; und wenn ich vielleicht so glücklich sein sollte, daß Sie in diesen Blättern ein wenig ästhetische Bosheit fänden, so würde ich mich unendlich freuen, dieses, nach Ihrem Ausspruch, wesentliche Stück der harmonischen Ausbildung20 mir zu eigen gemacht zu haben.[171]

Uebrigens ist der reichhaltige Stoff noch lange nicht erschöpft, und ich werde mit Vergnügen, bei wiederholten Veranlassungen, meine Dankbarkeit auf eine ähnliche Art zu beweisen suchen.

Geschrieben zu Jena, mit einer Schwanenfeder aus Ihrem weißen Fittig. Im September 1799.

Der Verfasser.[172]

Fußnoten

1 Athenäum pag. 6.


2 ibid. pag. 13.


3 ibid. pag. 12.


4 ibid. pag. 106.


5 Fragmente pag. 3.


6 ibid. pag. 18.


7 bid. pag. 54.


8 ibid. pag. 54.


9 Lucinde pag. 28.


10 Ibid. pag. 28.


11 Ibid. pag. 9.


12 Ibid. pag. 61.


13 Ibid. pag. 94.


14 Ibid. pag. 40.


15 Fragmente pag. 128.


16 Ueber Göthes Meister pag. 157.


17 ibid. pag. 159.


18 ibid. pag. 159.


19 Vorrede zur Lucinde.


20 Lucinde pag. 90.



Quelle:
August von Kotzebue: Theater. Leipzig und Wien 1840, S. 173.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Hyperboreische Esel, oder Die heutige Bildung
Der Hyperboreische Esel, oder Die heutige Bildung

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon