Des Herrn von Voltaire

Kleinere historische Schriften

Vorrede des Übersetzers

Der Herr von Voltaire hat sich der Welt als einen allgemeinen Geist zeigen wollen. Nicht zufrieden, die ersten Lorbeern auf dem französischen Parnasse mit erlanget zu haben, ist er die Bahn eines Newtons gelaufen, so stark, versteht sich, als ein Dichter von seinem Fluge sie laufen kann; und durch die tiefsinnige Weltweisheit ermüdet, hat er sich durch die Geschichte mehr zu erholen, als zu beschäftigen geschienen.

Man kennt sein Leben Karls des XIIten. Einige haben es für einen schönen Roman angesehen, welcher dem Curtius den Rang streitig mache. Alle Übertreibung bei Seite, lasset uns gestehen, daß der Grund überall darinne wahr ist, nur daß der Herr von Voltaire überall die theatralische Verschönerung angebracht hat, die er nur zu wohl versteht, um die Zuschauer für einen Helden auf der Bühne einzunehmen.

Seine übrigen historischen Aufsätze sind unter uns weniger bekannt worden, und hätten es vielleicht mehr verdienet. Wir hoffen, daß es nicht unangenehm sein wird, sie hier in einer Übersetzung beisammen zu finden.

Er hat überall gesuchet, sich von dem gemeinen Haufen der Geschichtschreiber zu entfernen. Trockne Tagebücher, welche Kleinigkeiten und nichtige Vorfälle aufzeichnen, die das Gedächtnis füllen wollen, ohne den Geist zu erleuchten, und das Herz zu ordnen, die menschlichen Handlungen beschreiben, ohne die Menschen kennen zu lehren, sind niemals nach seinem Geschmacke gewesen. Man sehe seine Betrachtungen über die Geschichte davon nach, die in dieser Sammlung den ersten Platz einnehmen.

Der Versuch über das Jahrhundert Ludewigs des XIVten ist ein Plan, der Bewunderung verdiente, wenn er auch unausgeführet bliebe. Wann wir nun dem Leser sagten, daß er es nicht geblieben ist? Noch ist zwar dieses wichtige Werk[513] nicht öffentlich erschienen, es ist aber, wie wir gewiß wissen, fertig, und eine Frucht der ruhmvollen Ruhe, in welche der Verfasser nur durch einen Friedrich versetzet werden konnte.

Er hat fast immer in der großen Welt gelebet, und daher kommen ihm die unzähligen Anekdoten, die er überall einstreuet. Er scheint viele davon unter gewisse Titel gebracht zu haben, zum Exempel, der gedruckten Lügen, der Torheiten auf beiden Teilen; daß man also mit Recht diese und dergleichen Aufsätze zu den historischen hat ziehen müssen.

Man hat keine Ordnung unter denselben beobachtet. Es wäre leicht gewesen, sie zu beobachten. Allein man muß nicht alles tun, was leicht ist, saget der Herr von Voltaire. Zum Nutzen des Lesers würde eine chronologische Ordnung nichts beigetragen haben, da er die Epochen solcher wichtigen Gegenstände, wie sie der Herr von Voltaire meistens gewählet, ohnedem wissen wird; zum Vergnügen auch nichts, denn das Vergnügen wächst durch das Regellose.

An verschiedenen Orten hätte der Übersetzer Anmerkungen machen können; und wer weiß, ob man es ihm nicht übel nimmt, sie nicht gemacht zu haben? Er würde es wenigstens manchem geschwornen Anmerkungsschmierer nicht übel nehmen, wenn er seinem Exempel folgete.

Man wird einige Aufsätze hier antreffen, welche in der neuesten Ausgabe der Werke unsers Verfassers sich nicht befinden. Diese hat man hier und da zusammen gesucht.

Der Herr von Voltaire besitzt nicht allein die Kunst, schön zu schreiben, sondern auch, wie Pope saget,


The last and greatest Art, the Art to blot.


Er ist unermüdet in Ausbesserung seiner Werke. Wir haben das Glück gehabt, eines der mit der Feder verbesserten Exemplare seiner Werke zu Rate ziehen zu können, und wir können versichern, daß nichts wichtiges in diesen historischen Aufsätzen dazu gekommen, oder darinne verändert worden ist, welches wir sollten übergangen haben.

Man empfiehlt sich und diese Arbeit dem Wohlwollen der Leser.

Berlin, 1751

L.[514]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 513-515.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorreden
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 8. Gesammelte Vorreden. Beiträge zur Kenntniss der deutschen Sprache. Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter