58.

Jungfrauen

[281] Ihr Jungfern, hört mir zu; doch fasset die Geberden

Und meint durch meinen Ruhm nicht stöltzer wo zu werden!

Die Jungfern sind ein Volck, sind unter uns gestellt

Als Engel in der Zeit, als Wunder in der Welt;

Sie sind ein kurtz Begrieff von allen Zierligkeiten,

Der Menschheit höchster Schmuck, ein Vorbild jener Zeiten,

Wo alles klar wird seyn, ein Muster erster Art,

Eh uns der Sünden Schmach in Eden erblich ward.

Die Tugend hat sie lieb, läst gern um sie sich finden;

Die Ehre krön sie schön; ihr Ruhm bleibt nicht dahinden,

Geht mit dem Himmel um, rührt biß an Himmel an;

Ein ieder preist sie hoch, wer preisen immer kan.

Ich wüste nicht, wer der, und wannen er entsprossen,

Und was für wilde Milch sein erster Mund genossen,

Der ernstlich hier nur siht, der fröhlich hier nicht lacht,

Wann ihm deß Himmels Gunst die Augen würdig macht

Zu schauen diesen Glantz, zu mercken diese Sonnen,

Wodurch der Menschheit Werth den höchsten Stand gewunnen

Und so erleuchtet ist. Er ist nicht werth so gar,

Daß seine Mutter selbst ie eine Jungfer war,

Der sein Geberde nicht zur Ehrerbitung neiget,

Sein Haupt zum tieffsten bückt, den Fuß in Demut beuget[281]

Und gibt sich pflichtbar hin für einen eignen Knecht

Für ein so liebes Volck und himmlisches Geschlecht.

Iedoch merckt gleichwol drauff, ihr lieblichen Jungfrauen!

Ich meine die, wo mehr auff That als Wort zu bauen;

Und habt mir nur für gut, ich mein auch meistens die,

Wo Winter nicht verbot, daß Frühling mehr nicht blüh.

Quelle:
Friedrich von Logau: Sämmtliche Sinngedichte, Tübingen 1872, S. 281-282.
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Die tapfere Wahrheit. Sinngedichte. Insel-Bücherei Nr. 614
Sinngedichte / Von Logau, Friedrich (German Edition)