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»Willst Du glücklich sein, so sei's daheim!«

»Daheim,« 's ist doch ein traulich, schönes, liebes Wort, und wer von den Stürmen des Lebens auf lange Zeit hinausgetrieben worden ist in die Ferne oder in einer schneidigen, finsteren Wintersnacht auf freiem Felde sich verirrt und vergebens nach dem rechten Wege sucht, der fühlt die Bedeutung desselben wohl eher als Derjenige, welcher den größten Theil seiner Zeit auf dem Großvaterstuhle hinter dem Ofen verdämmert und den Frieden und die Ruhe der Heimath nie entbehrt hat.

Das Streben nach dieser Ruhe, diesem Frieden ist mit großer Weisheit einem jeden Menschenkinde in das Herz gelegt, und nur durch dasselbe entsteht die Familie, aus welcher sich die Gemeinde und der Staat entwickelt. Sie, die Familie, ist diejenige Lebensgemeinschaft, von welcher das Wohl und Wehe sowohl des Einzelnen als auch des Ganzen abhängig ist, und die Gründung eines eigenen Heerdes sollte deßhalb nie anders als nach ernster Prüfung und reiflicher Erwägung vorgenommen werden.

Und doch, wie viele Menschen springen ohne Ueberlegung in die Ehe hinein oder lassen sich gedankenlos oder gar widerwillig von den Verhältnissen zur Schließung einer Vereinigung bestimmen, von deren Bedeutung sie kaum eine nothdürftige Anschauung besitzen! Wenn man das junge Volk der Gegenwart beobachtet, so kann es Einem wirklich weh um's Herz werden über den Eifer, mit welchem man sich dem sogenannten »Genusse der Jugend« in die Arme wirft und in der Verschwendung seiner kostbaren Zeit, seiner Mittel und Kräfte. Das versäumt und vernachlässigt, was zum rechten, wahren Frieden dient.

»Seid fröhlich mit den Fröhlichen« ist ein sehr berechtigtes Wort, und es ist ein köstlich Ding um die rechte,[54] wahre Herzensfröhlichkeit; aber das Haschen nach dem Vergnügen, wobei die ernsten Zwecke des Lebens aus dem Auge verloren werden, hat mit dieser Fröhlichkeit Nichts gemein. Jedem Rausche folgt ein Katzenjammer; es ist hier nicht blos der angetrunkene Rausch gemeint, und gar Mancher hat für die ganze Zeit seines Lebens an dem Niederschlage zu leidenwelcher einer der Sinnenlust gewidmeten Jugend zu folgen pflegt. Und doch, wie Viele, Viele wissen das nicht zu beherzigen. –

Die erste Lebensaufgabe des Erdenbürgers ist, sich einen festen Punkt zu suchen, um daselbst seine Lanze in die Erde zu stecken und das Zelt zu errichten, unter welchem er in fröhlicher Arbeit »ruhig und sicher wohne im Lande des Lebens.« Wer in seinen jungen Jahren versäumt, diese Aufgabe zu lösen, dem wird ihre Lösung je später, desto schwieriger, und deßhalb haben wir so viele Familien zu beklagen, welchen es an einer »bleibenden Stätte« fehlt, und an einem Orte, an welchem sie »ihr Haupt zur Ruhe legen« können.

Schaffe daher ein Jeder mit Ernst und weiser Sparsamkeit an dem Baue eines eigenen Heerdes und bemühe sich, vorsichtig zu sein in der Wahl Derjenigen, denen er sich für die Zeit der irdischen Wanderschaft, anzuschließen hat; denn »Wohl dem Hause, welches fest steht auf seinem Grunde und Liebe und Eintracht wohnen unter seinem Dache. Der Mann ist glücklich, der es hat!«[55]

Quelle:
Haus- und Familienreden. 1. »Willst Du glücklich sein, so sei's daheim!« (Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. 1. Jg. Nr. 7. S. 54–55. – Dresden (1875), S. 54-56.
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