3. Berg und Thal

»Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hülfe kommt.«

Ps. 121, 1.


Selbst für den nüchternsten Realisten liegt in diesen Worten der frommen alttestamentlichen Poesie eine Aufforderung zum Nachdenken.

Es giebt keine Erscheinung der irdischen Natur, welche nicht unter dem bestimmenden und leitenden Einflusse jenes großen, erhabenen Geistes stände, nach welchem »der Zweifler« fragt:


»Waltet er im Glanz des Weltenstromes

Und im Bach, der durch die Felsen hüpft?

Lebt ein Gott im Menschen und im Wurme?

Hör ich ihn hier in dem Donnersturme,

Dort im Säufeln, das durch Mythen schlüpft?«


»Führe ich gen Himmel, siehe, so bist Du da; bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist Du auch da; nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meere, so würde doch Deine Hand daselbst mich führen und Deine Rechte mich halten!« Er klopft im Pulse des Menschenherzens wie im wogenden Busen des Meeres, er blitzt im Leuchten des Wetters und fährt durch die Himmel auf grollendem Donner, er waltet im Keime des Senfkornes und rauscht durch die riesigen Blätter des heiligen Zamang, er zuckt in der kleinsten Molluske und dampft aus den Nüstern des Wales, er rollt auf dem klingenden Wüstensande und braust um die stürzende Lawine, er leitet die kleinste Bewegung und beherrscht das riesigste Leben, ja, selbst die leblose Creatur ruht in seiner Hand: er sammelt in Adern das schimmernde Metall, macht aus Erde den leuchtenden Krystall, hebt die Giganten des Gebirges empor und schleudert die Flamme der Unterwelt durch die speienden Krater der Vulkane.

Nicht seine Gesetze sind es, sondern er selbst ist das Gesetz, nach welchem die Erde ihre Schluchten und Abgründe öffnet, ihre Ebenen dehnt und ihre Berge dunkel und schwer wie drohende Wolkenmassen sich höher und höher wölben und thürmen läßt. »Die Berge sahen Dich,« ruft der Prophet, »und ihnen wurde bange; der Strom des Wassers fuhr daher, die Tiefe ließ sich hören und die Höhe hob ihre Hände auf.« Nicht ein blinder Zufall ist es, welcher diesen Höhen ihre Richtung gegeben, den Flächen ihre Grenzen gesteckt und den Thälern ihren Lauf bezeichnet hat, sondern die bildenden und umgestaltenden Kräfte der Natur müssen, gehorsam einem allweisen und allgütigen Willen, ihre Felsenmauern grad' an dem Orte und in der Weise errichten, wo und wie es für das Bestehen und Wohlbefinden unserer sublunarischen Daseinsformen erforderlich und ersprießlich ist. Und dann schlägt, wie einst sein diener Moses, der Allmächtige an das todte Gestein, daß es sich öffnet, sich zertheilt, sich auflöst und Leben und Segen aus ihm hervorquillt für das weite Land und Alles, was auf demselben sich regt und bewegt.

Wie eine zwar oft zu Boden gerungene, immer aber stolz und siegreich sich wieder erhebende Riesin, den majestätischen, festen und langsamen Schritt zuweilen zu einem weiten, kühnen Sprunge beschleunigend, läuft jene Gebirgskette, welche aus dem sturmdurchwühlten Meere des Cap Horn an das Land von Südamerika steigt, nach Norden, wälzt ihre steinernen Wogen über die Landenge von Panama, senkt sich nieder in die Schnee- und Eisfelder der polarischen Zone, überschreitet, von Schritt zu Schritt das Felsenhaupt aus den Fluthen tauchend, die See von Kamtschatka, breitet ihre sich immer höher und machtvoller reckenden Glieder vom Lande der Tschuktschen aus über die ganze ungeheure Ländermasse, welche aus dem indischen Oceane sich erhebt, um im nördlichen Eismeere sich wieder zu verlieren, reckt die Mittelländer Afrika's zum Himmel auf und tritt herüber in das vielgespaltene Europa, welches sie in den mannigfaltigsten Zügen und Windungen liebevoll stützt und umarmt, um dann über den Dschevel al Tarik Anschluß zu suchen oder in den Insel des atlantischen Meeres sich zu verlieren.

Diese mächtige Reihenfolgen von Gebirgen bildet das Knochengerüste der Erde, welches dem Festlande Gestalt, Halt, Dauer und Physiognomie verlieht, die physikalischen Verhältnisse regelt und jedem Leben, jeder Bewegung einen deutlich erkennbaren Character aufprägt.

An dieses Gerippe legen sich die Flach- und Tiefländer der Erde, wie das Fleisch um das Skelet des animalischen Körpers, und die Vereinigung beider ist eine so verschiedene, daß die Oberfläche unseres Planeten in Beziehung auf ihre Gestaltung die reichste Abwechselung bietet.

Das Gebirge, um welches sich das Festland Amerika's lagert, sind die Anden, deren in Südamerika verlaufender Theil von den Geographen vorzugsweise mit dem Namen der Cordilleren bezeichnet wird. Dieses Wort heißt zu deutsch »Kette« und giebt ein deutliches Bild von der Gestaltung der ohne Unterbrechung fortlaufenden Bergesreihen.

Den Cordilleren gebührt der Ruhm, das längste Gebirge der Erde zu sein, wenn man einmal von der innern Zusammengehörigkeit sämmtlicher Bodenerhebungen absehen will. Freilich ist ihre Breite eine desto unbedeutendere, denn sie beträgt in Südamerika durchschnittlich kaum 18-20 Meilen, während die Länge 2000 deutsche Meilen noch übersteigt.

Wenn man von den Ebenen Brasiliens nach Westen vordringt, so erblickt man auf einmal einen mächtigen Damm, welcher den Horizont abschließt und in sanften Umrissen, umwoben von dem lieblichen Dufte der Ferne, sich anfangs darstellt, bald aber aus dieser Umhüllung hervortritt und sich frei dem Blicke bietet. Deutlich scheiden sich Felsketten und Schluchten, während hier und da über dem Kamme ein[149] majestätischer Bergkoloß thront; die Formen werden bestimmter, Gipfel thürmt sich auf Gipfel und es scheint zuletzt, als ob der Himmel auf ihrem Zackenkamme ruhe.

Aber diese Höhen entbehren des Alles durchwehenden Lebensodems; es fehlt ihnen die milde, wohlthuende Wärme, welche den Keim aus der Erde lockt. Der Condor zieht seine Kreise um die nackten Felsen, hastig treibt der Hirt seine Heerde über die spärlich bewachsene Punna und nur der Goldsucher durchforscht die schneebedeckten, unwegsamen Schluchten. Denn wenn auch die Oberfläche des Bodens dem Wanderer in tiefster Armuth entgegenstarrt, so birgt das Innere der langen Bergesreihen doch Schätze, welche man fast unerschöpflich nennen möchte.

Lange galt der Chimborasso, eine der Cordillerenkuppen, für den höchsten Berg der Erde, doch ist ihm dieser Ruhm schon längst geraubt worden. –

Wandert man durch die ungeheuren Ebenen Sibiriens nach Süden, so steigt man über den Altai zu drei Hochebenen empor, welche terassenförmig über einander liegen und im Süden in die Gebirgslandschaften des Himalaya's verlaufen. In diesen Hochländern wechseln die größten Reize und Schönheiten mit den größten Gefahren und Schrecken, und daher kommt es, daß die über 30000 Quadratmeilen große Ländermasse uns lange noch nicht ein völlig enthülltes Räthsel ist.

Der Dhawalagiri (7750 Meter hoch) ist derjenige Berg, welcher dem Chimborasso den lange behaupteten Ruhm raubte, um ihn bald wieder an den Mount-Everest (8375 Meter) zu verlieren, und neuerdings haben die Gebrüder Schlagintweit die Höhe des Gaurisankar als noch bedeutender (gegen 8600 Meter) angegeben.

Der höchste Berg Vorderasiens ist der Ararat, dessen Gipfel 5500 Meter über dem Meere liegt. Seine Spitze besteht in einer Platte von 150 Schritten im Umfange, und auf ihr soll sich die Arche Noah's festgesetzt haben. Ebenso wie der Ararat, ist der Sinai aus der Bibel bekannt. Er spült seinen Fuß im rothen Meere und steigt bis zu einer Höhe von 2500 Metern empor. Noch heute heißt einer seiner zwei Kegel der Dschebel-Musa (Berg des Moses) weil Moses auf ihm die Gesetze seines Volkes von Gott empfangen haben soll.

Das bedeutendste Gebirge Europa's sind die Alpen, jenes durch seine Schönheiten so berühmte Hochland, zu welchem jährlich Tausende aus allen Weltgegenden herbeiströmen und dessen Pracht und Herrlichkeit kein Dichter auszusingen vermag.


»Am Abgrund leitet der schwind'liche Steg,

Er führt zwischen Leben und Sterben;

Es sperren die Riesen den einsamen Weg

Und drohen Dir ewig Verderben.

Und willst Du die schlafende Löwin nicht wecken,

So wandle still durch die Straße der Schrecken,«


singt Schiller in seinem Bergliede; doch ebenso wahr klingt es auch:


»Abendliche Purpurfluth

Wallt hinauf von Flüh'n zu Flüh'n,

Und du siehst ihr zitternd Bild

Roth im dunklen See erglühn.

Liebe, die der Sonnengott

Berg und Wolken hat gegeben,

Lockt aus der krystall'nen Fluth

Dieses sanfte Purpurleben,«


und diese Gegensätze stehen einander nicht schroff gegenüber sondern werden friedlich vermittelt und vermählen sich zu Landschaftsbildern, wie sie kaum ein anderes Land der Erde aufzuweisen hat.

Der höchste Gipfel der Alpenwelt ist der Montblanc, welcher am 8. August 1786 von Doctor Paccard zum ersten Male erstiegen wurde. Er ist 14810 Fuß hoch.

Dem Gebirge in jeder Beziehung entgegengesetzt ist die Ebene. Wo sie in ihrer reinsten Form auftritt, da erscheint sie glatt, wie der Spiegel des Meeres, und der Horizont ist wie mit dem Lineale gezogen; aber in dieser Weise bietet sie, landschaftlich betrachtet, das Bild der Eintönigkeit, der Oede, ja des Todes.

Die verschiedenen Arten der Ebene werden gekennzeichnet durch die Verschiedenartigkeit des Pflanzenlebens, und unterscheidet man, je nachdem die Fläche mit Baum, Strauch, Kraut und Gras bewachsen oder aller Vegetation bar ist, Savannen, Steppen und Wüsten.

Von der Westküste Afrika's bis weit in das Hochland Hinterasiens hinein zieht sich ein gewaltiger, 2000 Meilen langer Gürtel dürren, unfruchtbaren Bodens. An die großen Wüsten Afrika's schließen sich die öden Flächen des steinigten Arabiens; dann folgen die Wüsten Persiens und Afghanistans, die endlich in den Wüsten der Bucharei und Mongolei ihren Abschluß finden. Auf diese ganze ungeheure Länderstrecke läßt sich Ferdinand Freiligrath's bekanntes Wort:


»Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere,

Wer sie durchritten hat, dem graust.

Sie liegt vor Gott in ihrer Leere

Wie eine öde Bettlerfaust«


anwenden, obgleich die Vorstellung, welche man sich von der Wüste macht, meist nicht die richtige ist.

1300 bis 1700 Meter hoch über dem Meere liegt die Gobi, d.i. die große Wüste. Während des Sommers ragen auf ihren Randstrecken die schwarzen Filzhütten mongolischer Nomaden empor; Kalmücken- und Kirgisenhorden durchstreichen heimathslos die Hochebene, deren wilde Pferdeschwärme die kühnen Reiter oft weit hineinlocken in die Ebene zur gefährlichen, aufregenden Jagd. Beladen mit Thee, Porzellan, Seide und lackirten Schmucksachen kehren zahlreiche Karavanen von den chinesischen Grenzörtern nach den Handelsplätzen am Baikelsee zurück.

Aber seitwärts von der Handels- und Karavanenstraße liegt die »Schamo« (d.i. Sandmeer), eine vollständige Sand- und Steinwüste. Der dürre, aus nackten Steinschollen und grobkörnigem Grus und Sand bestehende Boden ist vollständig wasserleer, und so gedeiht hier weder ein bescheidenes Kraut, noch das mit dem Thau der Nacht zufriedene Gras. Hier flattert kein Vogel, keine leichtfüßige Gazelle drückt ihre Spur dem harten Boden ein, ja nicht einmal das Summen eines einsamen Insectes unterbricht die ewige Todtenstille. Auch der Mensch meidet diesen Ort der traurigsten Leere. Und doch entfaltet die Schamo erst im Winter die größten ihrer Schrecken.

Horch! Hohl und dumpf braust es von Norden herauf. Ein seltsames, unheimliches Flimmern spielt über dem Horizonte; Bewegung und Leben kommt in die starren Schneemassen und flache Hügel bauen sich auf, wo noch soeben das weite Schneefeld sich dehnte.[150]

Das macht, der losgebrochene Sturm treibt in den losen Schneemassen sein tolles Spiel. Mit sausender Schnelle nähert er sich. Sein Heulen und Brüllen tönt schauerlich durch die Einöde, und verloren wäre das Schiff, welches auf offenem Meere von diesem furchtbaren Orcane erreicht würde. Aber hier in der Wüste bietet sich ihm nur Schnee, nichts als Schnee und mit entsetzlicher Wuth wirft er sich auf die zusammengewirbelten Haufen desselben. Von unwiderstehlicher Gewalt in die Lüfte gehoben, stieben ungeheure knirschende Schneemassen senkrecht empor und zerfahren in ein wirres Durcheinander von schwirrenden Eisnadeln; dazwischen schießen dicke Schneewirbel oder in rasender Eile herbeigefegte Schneeberge dahin; die ganze Oberfläche wird lebendig und mit unerbittlicher Gewalt zieht die Wjuga, der Schneesturm, alles Lebende hinunter in das erstarrende Grab. Das ist die Schamo.

Von der Ostküste des atlantischen Oceanes an bis zu den Bergwänden des Nilthales erstreckt sich die Wüste Sahara, 120,000 Quadratmeilen groß. Ihr westlicher Theil, die Sahel, ist die eigentliche Heimath des gefürchteten Flugsandes, der, von dem Winde zu fortrückenden Wellen emporgetrieben, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name »Sahel«, d.i. Wandermeer. Diese Beweglichkeit des Sandbodens muß natürlich dem Wachsthum der Pflanzen außerordentlich ungünstig sein, und dazu kommt noch der Mangel an Brunnen und Quellen, welcher das Entstehen von Oasen noch mehr verhindert als in der wasserreicheren Sahara. Dies erklärt zur Genüge, daß die Sahel ebenso wie die Gobi den Ansiedelungsversuchen der Menschen wohl für immer widerstehen wird. Der dürre Sandboden vermag kaum einige unbrauchbare Salzpflanzen, höchstens noch etwas dürren Thymian, ein paar Disteln und einige stacheligte Mimosen zu tragen. Durch das glühende Sandmeer streift nicht einmal der Löwe, obgleich unsere Dichter behaupten:


»Wüstenkönig ist der Löwe«;


nur Vipern, Scorpione, Ameisen und ungeheure Flöhe finden in dem heißen Boden ein behagliches Dasein und selbst die Fliege, welche die Karavane eine Strecke in die Wüste hineinbegleitet, stirbt bald darauf auf dem Wege. Und doch wagt sich der Mensch hinein in den Sonnenbrand und trotzt den Gefahren, die ihn umdrohen. Freilich ist ihre Schilderung oft eine übertriebene, aber es bleibt trotzdem genug übrig, um keine Sehnsucht nach einem »Wüstenritte« zu bekommen. Der Samum, jener giftige Wind der Wüste, tödtete dem Perserkönig Cambyses eine ganze Armee und noch im Jahre 1805 wurde eine Karavane von 2000 Menschen und 1800 Kameelen von ihm vernichtet. Berge glühenden Flugsandes bedeckten sie, und Nichts blieb übrig, als die ausgedorrten Leichen der Menschen und Thiere, die in grauenerregenden Stellungen neben und über einander lagen. Einige hielten die leeren Schläuche noch in den entfleischten Händen; Andre hatten wie wahnsinnig die Erde unter sich aufgewühlt, um sich Kühlung zu verschaffen; hier saßen aufgerichtete Mumien auf den Skeletten gestürzter Kameele, den Turban noch auf dem nackten Schädel; dort lagen Leichen, das Gesicht gegen Morgen, nach Mekka, gerichtet und die Arme über die Brust gekreuzt – ihr letzter Gedanke war, wie es dem frommen Moslem geziemt, Gott und sein Prophet gewesen.

Doch noch andere Schrecken giebt es:

Seit dem Aufbruche der Karavane aus dem Lagerplatze ist der letzte Tropfen Wassers aus den ledernen Schläuchen verronnen. Die Kameele zwar schreiten noch rüstig vorwärts, da sie durch den Bau ihres Magens jetzt noch vor dem Durste geschützt sind, aber der Widerstand des Menschen erlahmt schneller. Der erfahrene Führer blickt starr und besorgt vor sich hin. – Der Himmel glüht wie Erz und die Erde brennt wie glühendes Eisen, und die nächste Oase ist noch weit, weit entfernt. In der Erinnerung des alten grauköpfigen Arabers steigen schreckliche Bilder herauf von den Qualen des langsamen Verschmachtens, dem gegenüber der schnelle Tod ein Engel der Erbarmung ist. Schon erreichen halb unterdrückte Klagen sein Ohr; der Gaumen brennt, an welchem die trockene, lechzende Zunge klebt, das siedende Blut drängt sich ungestüm nach dem fiebernden Gehirn und bei der entsetzlichen, trockenen Hitze schwindet der letzte Rest von Kraft und Lebensmuth.

Da, sieh; drüben zur Linken winken lockende Bilder! Ueber den dichtumflorten Horizont heben sich die scharfen Umrisse einer lieblichen Oase herauf. Auf schlanken Säulen bauen sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen übereinander und ihre leichten, vollen Fliederkronen wehen im frischen Wüstenwinde. Und dort welch' ein entzückender Anblick bietet sich dem durstenden Wanderer! Aus dem Haine der Oase schimmert es wie das Wellengekräusel eines lieblichen Sees, und die Luft scheint sich von der Ausdünstung des Wassers zu feuchten.

»Allah akbar!« ruft Einer. »Wir sind gerettet. Siehst Du, wie sich die Kronen der Palmen in der schimmernden Wasserfläche spiegeln, wie Kameele in die kühle Fluth waten und ihren langen Hals herunterstrecken, um das belebende Naß zu schlürfen!«

»Schau nicht hin!« mahnt der erfahrene Führer. »Es ist nichts als Trug, den Dir der Satan vorspiegelt. Folgst Du der Spiegelung, so geräthst Du in die Wüste und findest weder Kameele, noch Palmen, noch Wasser.«

Die Karavane murmelt ein Gebet und zieht scheu vorüber vor der verlockenden Fata morgana. Der Sohn der Wüste weiß, daß die Djinns (bösen Geister) diesen verderblichsten aller Zauber aus den Dünsten und Gluthen des Sandmeeres zusammengewoben haben, um den schmachtenden Wanderer ins Verderben zu führen. Darum läßt er sich nicht verlocken und folgt dem Führer, bis aus dem Munde desselben der frohlockende Ruf erschallt: »Die Oase, seht,[157] dort liegt sie; Allah kerim! Dank sei dem Herrn.« – Das ist die Sahara.

Hat der Wanderer den bevölkerten Osten der Vereinigten Staaten verlassen und den Mississippi, den »Vater der Ströme« überschritten, so betritt sein Fuß den Schauplatz jenes Verzweiflungskampfes, in welchem der Indianer seine letzten Pfeile gegen die Vertreter einer blutgierigen und rücksichtslosen Civilisation entsendet.

Von den Ufern des Illinois sich bis an den Mississippi erstreckend, und von da an bis zu einer Höhe von 500 Metern ansteigend, rollt sich die wohl 30,000 Quadratmeilen umfassende Prairie bis an den Fuß des Felsengebirges und tritt sogar über dasselbe hinüber auf das Jagdgebiet der Apachen, Navajoes und Athabaskah's.

Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war die »Rothhaut« Herr der weiten Ebenen, deren oft sieben Meter tiefer Humusboden den Bemühungen des Ackerbaues eine fast unerschöpfliche Fruchtbarkeit entgegenbringt. Da aber kam das »Bleichgesicht«, der weiße Mann, trieb den »rothen Bruder« aus den ihm gehörigen Jagdgründen und verbreitete durch Krankheit, »Feuerwasser« und Schießgewehr Tod und Verderben in den Reihen der kräftigen und vertrauensvollen Söhne der Wildniß.

Jene weiten Flächen, deren animalische, vegetabilische und mineralische Reichthümer immer neue Tausende von »Pionnieren der Bildung und Gesittung« anlocken, werden die Todeszuckung einer Nation sehen, welcher der Vorurtheilsfreie seine Theilnahme nicht versagen kann, obgleich die Politik der Ausrottung von ihren fanatischen Vertretern mit zahlreichen Entschuldigungsgründen vertheidigt worden ist.

Was und wie der Indianer nicht sein sollte, das und so ist er durch seinen christlichen Bruder geworden, welcher, das Evangelium der Liebe auf den Lippen und die Mordwaffe in der Faust, das Menschengeschlecht und die Weltgeschichte einer reichen Anzahl unschätzbarer Entwickelungsmomente beraubte. Nur hier und da noch ragt aus den Mezquitebüschen das Geweih eines mächtigen Elenn hervor, der Grizzly hat sich in die verborgenen Schluchten der Rocky-Mountains zurückgezogen, der zottige Bison legt in immer kleineren Truppen seine regelmäßige Herbst- und Frühjahrswanderungen zurück und der donnernde Hufschlag der Mustangheerden wird immer schwächer und seltener. Eine riesige Industrie wird sich mit gewaltigem Flügelschlage auf den »fernen Westen« herniedersenken, Haus wird an Haus, Stadt an Stadt sich reihen, ein Geschlecht dem anderen folgen und das »Feuerroß« zu seinen großen Pfaden nach Hunderte von kleineren suchen; aber um die verschwundenen Krieger der Savanne wird die Sage ihren goldenen Schimmer weben, und das Gedächtniß der an dem Bruder begangenen Todtsünde wird fortleben in dem Liede des Dichters. Das ist die Prairie mit dem dunkelsten ihrer Bilder.

Da, wo der Orinoco seine Fluthen dem Golfe von Paria zuwälzt, also in dem nördlichen Südamerika, ferner um den Amazonenstrom und seinen Nebenflüssen und endlich am Rio de la Plata bis hinein nach Patagonien dehnen sich ungeheure Ebenen, welche mit den Küstenflächen von Chile, Bolivia und Peru über 254,000 Quadratmeilen zählen.

Die Llanos des Nordens sind wahrscheinlich in früheren Zeiten einmal Meeresgrund gewesen, meist sandig, leiden an ungeheuren Ueberschwemmungen, welche dem dürftigen Boden aber einige niedrige Pflanzenformen abnöthigen, von denen Mensch und Thier nothdürftig das Leben fristet.

Die Ebenen am Amazonenstrom bestehen theils aus kahlen, steinigen Flächen, theils aus undurchdringlichen Urwäldern; letztere nehmen ein Areal von 70,000 Quadratmeilen ein. In ihnen kennt man keinen andern Weg als die Flüsse. Riesenbäume drängen sich in den abenteuerlichsten Gestalten aneinander, mächtige Schlingpflanzen ranken sich von Stamm zu Stamm und bilden ein Dickicht, durch welches sich nur der Jaguar windet, um eine Affenheerde oder den einsamen Lagerplatz einer Indianerhorde zu beschleichen. Die Natur hat hier ihr Titanengewand angelegt und der kleine Mensch schrumpft in seinem Kahne zu einer Schnecke zusammen, welche in gebrechlichem Gehäuse den Fluthen des Stromes preisgegeben ist.

Die Pampas im Süden zeigen meist eine Schicht Humuserde auf einer thonig-sandigen Unterlage; auf dem salzigen, steinlosen Boden wächst eine dürftige Vegetation von Salzpflanzen; und nur da, wo der Boden weniger salzig und das Klima feucht ist, giebt es einzelne Brunnen und in Folge dessen ganze mit Cactuswäldern bedeckte Strecken. Nur die Steppen von Buenos-Ayres zeigen eine lebhafte Vegetation von Gras und Kräutern, über welcher, wie in der afrikanischen Wüste, die Fata morgana ihre Truggebilde zeichnet.

Auf diesen einförmigen, wenn auch nicht gerade öden Ebenen fährt oder reitet man Stunde um Stunde, Tag um Tag, ohne eine andere Abwechselung als etwa eine weidende Viehheerde, ein aufgescheuchtes Wild, einen Ochsenkarrenzug, einen kleinen See, ein einsames Posthaus, eine halbverfallene Meierei. Flüsse kommen gar nicht vor. Das Gras besteht aus ziemlich gleichmäßig vertheilten Büscheln, zwischen denen der kahle Boden hervorschaut. Der weite Horizont verschwimmt in violetter Bläue, und wie auf dem Meere wird man von einem kreisförmig abgegrenzten, überall gleichweiten Gesichtsfelde umgeben.

Millionen von Pferden und Rindern weiden halbwild auf den Weideplätzen der großen Landgüter unter der Aufsicht ebenfalls halbwilder Hirten, der Gauchos, die aus einer Vermischung der Spanier und Indianer entstanden sind und von ihren Pferden unzertrennlich scheinen.

Die Ebenen von Patagonien bestehen an den Küsten aus unfruchtbaren Sanddünen, in denen Emu's und Guanaco's zwischen Dornengestrüpp das spärliche Gras abweiden. Im Innern dehnen sich einförmige, steinige Wüsten, welche von breiten, flachen Thälern durchzogen sind, in denen der Feuerländer Schutz vor den schneidenden Orcanen sucht, welche über das arme, dürftige Land sausen. –

– – Welche Absicht nun ist es gewesen, die jene weiten Ebenen gedehnt, die Berge zum Himmel gestreckt und die Thalfurchen durch den Boden gezogen hat?

Kühn und getrost können wir behaupten, daß ohne diese Abwechselung in der Bodengestaltung die Erde kein höheres, kein geistiges Leben zu beherbergen vermöchte, sondern eine Kugel bildete, deren Oberfläche aus weiten Wasser- und öden, unfruchtbaren und unbelebten Länderwüsten bestände.[158]

Wäre unser Planet eine vollständig abgeglättete Kugel, so würde die Luftbewegung, welche ihre Umdrehung verursacht, als ungebrochener, wilder und ewiger Orkan über Land und Wasser sausen und jeden Keim vegetabilischer und animalischer Entwickelung schon im ersten Stadium seiner Entfaltung tödten und nur in den düsteren Tiefen der See, in welche der Sturm nicht zu dringen vermag, wäre ein Leben denkbar.

Die Unebenheit des Bodens ist die erste Grundbedingung zur Entstehung von Quellen, Bächen, Flüssen und Strömen, überhaupt jeder Art von Wasserlauf. Welchen Segen aber die Wanderschaft des feuchten Elementes von dem Gipfel des Gebirges herab bis hinunter in das gewaltige Becken des Oceans nach sich bringt, werden wir später ausführlich erörtern. Auf ihn müßte die Erde verzichten und würde aller Daseinsformen entbehren, deren Bestehen von ihm abhängig gemacht ist.

Wohl kaum ist es schon mit genugsamem Nachdrucke hervorgehoben worden, welchen Factor die Gebirge in Beziehung auf die Wärmeverbreitung bilden, indem sie bei der außerordentlichen Geschwindigkeit der Axendrehung der Erde wie die Radschaufeln eines Dampfers in die den Aequator umlagernde Hitze schlagen und diese Letztere nach den Polen hin in Bewegung setzen.

Mit derselben kräftigen Stetigkeit greifen sie in die Richtung der von Osten nach Westen gehenden Luftströmung ein und ermöglichen so die segensreiche Mannigfaltigkeit der atmosphärischen Bewegungen.

Und wie in Beziehung auf die Reiche der Natur, so ist die Bodengestaltung auch von weitgehendem Einflusse auf die Entwickelung des Menschen und seines Geschlechtes.

Wie die Berge den Thau des Aethers trinken, um ihn in sich immer mehr vergrößernden Rinnen der Tiefe zuzuführen, so sind die Völker der Erde von den Höhen der Gebirge herabgestiegen, und die glanzvollsten Erscheinungen und Thatsachen der Geschichte haben ihre Heimath nicht unten im Thale, sondern dort gefunden, wohin der Blick des Dichters sich richtet:


»Sieh', mein Aug', nach Zions Bergen,

Ach, sieh' unverwandt hinauf;

Denn von den geliebten Bergen

Geht mein Heil mir auf!«


Die Wiege des Menschengeschlechtes, an welche der fromme Glaube die Gestaltungen eines Paradieses knüpft, lag dem Himmel um Vieles näher als die Fluth des Meeres, und durch die Pforten zu den hinterasiatischen Höhenländern ergoß sich das Volk der Menschenkinder hernieder auf die Ebenen, um am Thurme zu Babel zur Erkenntniß ihrer Aufgabe: »Füllet die Erde und machet sie Euch unterthan« zu gelangen.

Der Berg Ararat war es, auf welchem Noah als Alleinbegnadigter festen Fuß faßte, nachdem die Fenster des Himmels und die Schleußen der Erde sich geschlossen hatten; auf dem Berge Sinai offenbarte Jehova Sabaoth seinen heiligen Willen; eine Höhle des Gebirges Pisga bildet das geheimnißvolle Grab Mosis, des größten Lenkers Israels; ebendaselbst, auf dem Berge Horeb ging der Herr in einem sanften Säuseln vor Elias, dem Propheten, vorüber; auf Morijah stand der berühmteste der Gottestempel; in Galiläa, dem Gebirgslande, wurde Christus geboren; die erste seiner Predigten erscholl von einem Berge; auf einem Berge wurde er verklärt; auf einem Berge schlug man ihn an das Kreuz, und von einem Berge ward er aufgehoben »zusehends« in die Wolken, wie die Apostelgeschichte erzählt.

Nicht blos die biblische Anbetungsform ist es, welche die wichtigsten und besten ihrer Erzählungen, Legenden und Prophezeihungen an die Namen von Bergen knüpft, sondern die heiligen Sagen jeder anderen Religion thun dasselbe, und ebenso wie die Anschauungen der heiligen Schrift, knüpfen sie an das Wort »Thal« die Vorstellung des Gegentheiles von Glück und Seligkeit.

Es ist eine längst bewiesene Wahrheit, daß der Mensch nach der Entwickelung seines äußern und innern Wesens abhängig ist von dem Boden, auf welchem er lebt und mit dem er um die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu ringen hat. Daraus folgt nothwendig eine körperliche und geistige Verschiedenheit zwischen dem Gebirgs- und dem Tiefländer.

Kühn, wie die Zacken seiner Felsen, rasch und beweglich, wie die Wasser seiner Fälle, Sturz- und Gießbäche, leicht erregbar wie die Lawine und der Sturm, der um die Firnen braust, gleicht der gewandte, heitere, lebenslustige und leidenschaftliche Bergbewohner mit seinen scharfgeschnittenen Zügen, hochgeschwungenen Brauen und sehnenkräftigen, schlanken Gliedmaßen ganz dem Landschaftsbilde, dessen Staffage er zu besorgen hat.

Langsam dagegen, wie der Lauf seiner Gewässer, nachhaltig, wie seine Wetter, treu und wechsellos wie der Character seines Heimathslandes, zeigt sich der bedächtige, sichergehende, leidenschaftslose und ruhig erwägende Bewohner des Flachgebietes mit seinen breitgezeichneten Gesichtszügen und fleischigen, robusten Körperformen.

Und wie der einzelne Mann, so auch das ganze Volk nach seiner Art, seinem Character und seiner Geschichte. Alle jene großen, weltgeschichtlichen Aufgaben, deren Lösung ein rasches, begeistertes, alle Hindernisse überschäumendes Handeln bedurfte, wurden von dem weisen Geschicke in die Hände von Völkern gelegt, welche, zwischen himmelanstrebenden Bergen geboren, sich kataraktähnlich von ihren Höhen herabstürzten, um durch diese Bewegung den Erdkreis mit der Macht einer lebensvollen Idee zu überfluthen. Und galt es einem Gedanken, dessen Ausführung einer steten, durch Jahrhunderte gehenden und unverrückten Entwickelung bedurfte,[165] so wurde seine Lösung in das Wappen derjenigen Völker gegraben, welche in Folge der physikalischen Beschaffenheit ihres heimischen Bodens die dazu nöthige aushaltende Kraft besaßen.

Treffend, wenn auch nicht gerade geistreich, wird dieser Unterschied zwischen den Bewohnern des Gebirges und Flachlandes durch das mongolische Sprüchwort


»Hue man tschan, ku man tschueng,«

(Ochsen im Osten, Pferde im Westen)


bezeichnet, welches den Völkerschaften des tieferliegenden Ostens die Eigenschaften des bekannten starknackigen und mit nachhaltiger Kraft begabten Zugthieres beilegt, die des höherliegenden Westens aber mit dem feurigen, muthigen Rosse vergleicht, dessen edle Natur sich auch am besten zu edlen Diensten eignet.

Wie der wilde und verderbliche Schneesturm, welcher über die Hochländer zwischen Altai und Himalaya wüthet, so haben sich die dort wohnenden Horden zu mehreren Malen hernieder auf die anliegenden Gebiete gestürzt und ihre gewaltigen Wogen bis in die Mitte des fernen Europa gerollt. Mit eisernem Fleiße und nie ermüdender Kraft haben die Bewohner der Nordseeländer dem Meere eine Eroberung nach der anderen abgerungen, und wie der kleine, flinke Asiate unendlich verschieden ist von dem breiten, bedächtigen und langsamen »Neederländer,« so herrscht eine ebensolche Verschiedenheit auch in Beziehung auf ihre geographischen, geschichtlichen und alle übrigen Verhältnisse. Man vergleiche nur die ambulanten Filzzelte des Ersteren und die mit riesigen Kosten und auf ungeheuren Pfahlrosten erbauten Wohnungen des Letzteren, oder das leichte, kleinhufige und schwachknochige Roß des Erstgenannten und die großen, starkknochigen und breithufigen brabanter und flandrischen Pferde, welche die ungeheuersten Lasten ziehen und seiner Zeit die Kanonen Napoleons I. von einem Schlachtfelde zum anderen schleppten.

Der Einfluß der Gebirge auf die Psychologie der Völker ist ein so bedeutender, daß er Jedermann bald in die Augen fallen muß. Während die Ebenen, sobald sie nicht zu verderbendrohenden Wüsten werden, eine gegenseitige Berührung ungemein erleichtern und das Meer geradezu »länderverbindend« genannt wird, setzen die Gebirgszüge dieser Berührung um so bedeutendere Hindernisse entgegen, je höher und schwieriger zu übersteigen sie sind. Deshalb ziehen sich die Berge oft wie eine Mauer zwischen die einzelnen Völkerschaften hindurch, deren gegenseitiger Verkehr von der Zahl und Passirbarkeit der über das Gebirge führenden Pässe abhängig ist.

Als Beispiel seien nur angeführt die Alpen, welche zwischen Germanen und Romanen eine trennende Scheidewand bilden, und das Erzgebirge, an dessen Nordseite die protestantischen Sachsen und an dessen südlichem Abhange die katholischen Böhmen wohnen. Sind geringe Bestandtheile der einen oder anderen Art herüber oder hinüber gekommen, so geschah es eben nur auf dem einzigen Wege, welchen die Pässe bieten. Freilich hat in neuerer Zeit die Alles nivellirende Eisenbahn auch hier große Veränderungen hervorgebracht. Gebirgsübergänge durch zahlreiche Truppenkörper, wie sie z.B. Hannibal, die Cimbern und Teutonen, der Inca Yupanqui und Napoleon unternahmen, gehören schon seit längerer Zeit nicht mehr zu den kühnsten Wagestücken, von denen die Welt mit bewundernder Anerkennung spricht; denn das Dampfroß, welches fast jede Höhe überwindet, sich durch die Berge bohrt und über Schluchten und Abgründe dahinstürmt, trägt auf seinem ehernen Nacken den Sieg über die zum Himmel ragenden Giganten, denen sich der schwache Menschensohn Jahrtausende hindurch nur mit ängstlicher Vorsicht nahen durfte.

Die durch die Macht des Dampfes bedrohte Bedeutung der Gebirge in kriegerischer Beziehung hat sich von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart herein bewährt. Sie bilden Befestigungen, welche dem Feinde entgegenstarren und dem stärksten Geschosse Trotz zu bieten vermögen. Die Heere, welche sich unter tausenderlei Beschwerden und Gefahren langsam und schlangengleich durch die engen Thäler und Schluchten zu winden haben, können sich nicht entfalten, müssen Schritt um Schritt mit theuerm Blute erkämpfen und sehen sich einer vielleicht verschwindend kleinen Anzahl von Feinden preisgegeben, welche jede Krümmung des Weges in eine Barricade, jeden Baumstamm in ein Bollwerk, jeden Felsen in ein Fort und jeden Berg in eine Festung verwandeln.

Schon die heilige Schrift erzählt von den Schwierigkeiten, welche den Juden die Unterjochung der Bergvölker Canaans bot; der einzige Engpaß der Thermopylen genügte den wenigen Spartanern, das ungeheure Heer der Perser aufzuhalten; die größten Feldherren des Alterthumes haben es nicht vermocht, Bergvölker vollständig und auf die Dauer zu besiegen, welche ihnen eine verhältnißmäßig nur geringe Kopfzahl entgegenstellen konnten; Hunderte von Jahren hat das mächtige Rußland resultatlos vor den Bergen des Kaukasus gestanden; die mächtigsten Fürsten Oesterreichs vermochten Nichts gegen die urkräftigen Söhne des Schweizerlandes; die Männer von Tyrol durften es wagen, ihre Stutzen gegen die Schaaren des Franzosenkaisers zu richten, und noch heute trotzt das kleine Montenegro auf die festen Positionen, welche ihm die Natur zur Verfügung gestellt hat.

Daher sind von jeher die Ebenen der Schauplatz berühmter Waffenthaten gewesen, und es giebt Gegenden, welche sich so sehr zu Schlachtfeldern eignen, daß auf ihnen zu verschiedenen Zeiten die entscheidendsten Kämpfe stattgefunden und sie in Folge dessen eine strategische Berühmtheit erlangt haben.

Wie den kriegerischen Bewegungen, so bietet die Ebene auch den friedlichen Evolutionen, den Bemühungen der Industrie, der Gewerbe, des Handels und Verkehrs ein freies und fruchtbringendes Feld.

Der Ackerbau als Grundlage des wirthschaftlichen Wohlstandes findet hier die weiteste und ungehindertste Verbreitung, während die Höhe sich sowohl dem thierischen als auch pflanzlichen Leben desto feindseliger zeigt, je bedeutender sie ist. Auch die Industrie vermag nur bis zu einem gewissen Punkte bergan zu steigen und nimmt ihre Verbreitung am liebsten thalabwärts, dem Laufe der Flüsse entlang. Der Verkehr verwundet sich seine breitschlagenden Schwingen an den engzusammengerückten Felsen der Gebirge und fliegt deshalb gern hinaus in das weite, offene Land, um sich im Sonnenglanz zu wiegen und sein bewegtes Bild in der Fluth des Oceanes zu spiegeln.

Desto lieber aber verweilen die Götter der Unterwelt in den zu Stein erstarrten Felsenwogen der Erdrinde, um da Schätze aufzustapeln, deren Hebung nur dem gelingt, welcher einen Kampf mit den Gewalten der Finsterniß nicht scheut. Da unten herrscht der bärtige König des Gebirges über jene geheimnißvollen Wesen, mit denen die kindliche Phantasie des Menschen die dunklen Gänge des Erdinnern bevölkert hat, weil der denkende Geist keine Erstarrung, keine Ruhe,[166] keinen Tod kennt und er in der Ahnung, daß der Puls der großen, unendlichen Bewegung selbst in Felsen klopfe, der Einbildung erlaubt, diesen Felsen mit phantastischem Leben auszustatten.

Klopft der größte der irdischen Geister, der des Menschen, an dieses Reich der Gnomen, so muß es sich seinem Befehle öffnen, und dem dunklen Munde des Schachtes entfließen dann jene Reichthümer, deren Gewinnung die Grundlage aller Arbeit und allen Wohlstandes bildet. So spenden also auch hier, wie in ihren Wasserbächen, die Berge ihre segensreichen Gaben und liefern aus ihren finsteren Tiefen die Grundsteine zu dem Baue menschlicher Bildung und Aufklärung.

Es offenbart sich eben dem denkenden Verstande eine innige Beziehung selbst zwischen den äußerlich feindseligsten Gegensätzen, und wie gerade die alles Leben tödtende Gluth der Wüste von einem allweisen Willen gezwungen wird, empor zu steigen und als Leben spendender Wärmestrom den Frühling nach den Polen zu tragen, so hat alles Das, was dem schwachen Auge als zwecklos oder gar schädlich erscheint, eine Bestimmung zu erfüllen, welche den von unserer Erde getragenen Wesen zum Heile gereicht. Keine Schrift ist so deutlich und correct wie diejenige, mit welcher im Buche der Natur der Beweis vom Dasein eines allmächtigen und allliebenden Gottes geführt wird.[167]

Quelle:
Geographische Predigten von Karl May. 3. Berg und Thal. In: Schacht und Hütte. 1. Jg. Dresden (1876). Nr. 21, S. 165-168.
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