Doktor Martin Luthers Tischreden.

[55] Während daß Hartknopf die Lieder spielte, ward der Tisch für vier Personen gedeckt, und die Frau St... mit ihrer Tochter traten herein.

Die Mutter mochte im fünfzigsten, die Tochter im dreißigsten Jahre seyn. –

Hartknopf wurde von ihnen freundlich bewillkommet, und man setzte sich zu Tische, wo das Gespräch bald heiter und froh wurde, und auf allerley weltliche Dinge fiel.

Hartknopf erzählte von Erfurt, von den drei Brunnen und vom Steigerwalde; und von seiner Art periodisch zu studiren, die dem Herrn von G... gar großes Vergnügen machte.

Sie kamen nun auf das Universitätsleben zu sprechen, und der Herr von G.. erzählte von einem Duell, daß er in seiner Jugend gehabt hatte.[56]

Nun kamen politische Gegenstände an die Reihe, worin der Herr von G.., der selbst einen beträchtlichen Gesandschaftsposten bekleidet hatte, reelle Kenntnisse besaß.

Die Jungfer St.... würzte das Gespräch mit einem leichten spottenden Witze, womit sie den wichtigen Weltangelegenheiten wieder ein komisches spielendes Ansehen zu geben, und die Ueberwichtigkeit der Dinge immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen wußte.

Die Frau St.... belebte die Einfälle ihrer Tochter durch einen launichten mütterlichen Ernst, womit sie ihr dieselben verwieß.

Die Jungfer St... fragte schalkhaft, ob Hartknopf die Bekanntschaft des Pächter Heil, eines sehr braven Mannes noch nicht gemacht habe – und Hartknopf wäre über diese Frage beinahe in Verwirrung gerathen, so wunderbar überraschte sie ihn – durch den Ton und die Miene, womit die Jungfer St... diese Frage an ihn that.

Denn der Pächter Heil und seine Schwerster standen wie zwei verschlungene Buchstaben in seinem Gedächtniß, deren Züge sich in einander[57] verwickelten, und das Verwickelte zog die Verlegenheit nach sich. –

Hartknopf half sich so gut er konnte, und die Jungfer St... erbarmte sich seiner, und fing an, mit dem Herrn von G.... über Rußland und Pohlen zu sprechen.

Die Jungfer St.... hatte bei einer blassen Gesichtsfarbe ein fast zu feuriges Auge, welches dem Auge des Hrn. von G.... oft mit einer Lebhaftigkeit begegnete, die mehr als Ehrfurcht bezeichnete, weil die Jungfer St... wirklich mehr als Ehrfurcht gegen den edlen Greis hegte, der ihrer ganzen Liebe werth war.

Sie war unter den Augen des Herrn von G.... in diesem Hause aufgewachsen, in welches ihre Mutter im sechs und zwanzigsten Jahre schon als Wittwe in Dienste getreten war, um der Verwaltung des Hauswesens, noch bei Lebzeiten der Gemahlin des Herrn von G.... welche sehr kränklich war, vorzustehen.

Der Herr von G.... besaß auch selbst in seinem Greisenalter noch eine gewisse jugendliche Lebhaftigkeit, die ihn und andre oft seiner Jahre vergessen machte.[58]

So schien diesen Abend sein Puls schneller zu schlagen, sein Blut jugendlicher in seinen Adern zu fließen – und endlich erklangen auch vom Saft der edelsten Trauben angefüllt die Gläser. –

Das Gespräch lenkte sich noch einmal eigensinnig auf den Pächter Heil und auf die Liebe, und Hartknopf bewafnete sich dießmal mit Doktor Martin Luthers Tischreden, die er aber in diesem Cirkel nicht nennen durfte, und sagte: indem die Jungfer St... ihr Glas mit dem seinigen anklang, folgende Losung:


Wein und Liebe, und Gesang!


Nun war schon vorher die Rede von dem treflichen Gesänge der Jungfer St... gewesen, welches Lob sie bescheiden von sich abgelehnt hatte, nun aber nicht ferner konnte, da sie auf Befehl des Herrn von G.... es bestätigen muste.

Sie sang und spielte also zum Beschluß der Mahlzeit folgendes kleine Lied, welches der Hr. von G... ebenfalls aus dem Französischen der Madam .... in seine Art Verse übersetzt hatte, und fast zu gern es immer wieder hörte:[59]


Zu glauben, daß man grade geht,

Blind seyn, und sich verirren;

So geht ein Narr voll Gravität,

Die Bücher ihn verwirren,

Und in seiner Gelehrsamkeit

Ist er blind, thöricht jederzeit.


Hartknopf fieng schon an, über dieß Lied ein wenig verdrießlich zu werden – denn er konnte die Mystick wohl leiden, bis auf den Punkt hin, wo sie das menschliche Wissen ausschließt, und für Thorheit achtet. – Hartknopf hatte sehr viel Achtung für alles menschliche Wissen, es mochte sich aufwärts oder abwärts erstrecken; am liebsten war es ihm aber, wann es von der Ceder bis zum Ysop reichte – und weil dieß so selten in diesem Leben der Fall ist, so mochte er gerne fremdes Wissen dem seinigen ansetzen, um sich allmählig eine Leiter zu bauen, auf der er ein wenig über die Erdfläche emporsteigen, und um sich her schauen konnte. –

Wer ihm da nun eine Stuffe unter den Füßen wegbrach, den mußte er wie einen hämischen Feind betrachten, der ihm ein unschuldiges Vergnügen misgönnte, und beinahe so betrachtete er[60] den Herrn von G... in dem Augenblick, da die Jungfer St... auf dessen Befehl das obige Lied sang.

Er lenkte, da es vorbei war, das Gespräch sobald wie möglich, auf Kenntnisse und Wissenschaften, und gestand ein, daß er sie zur Leiter brauche, weil er nicht fliegen könne; und derjenige, welcher fliegen könnte, doch immer sehr unrecht thäte, wenn er dem, welcher es nicht könnte, noch dazu die Leiter wegrücken wollte.

Das wollte nun der Herr von G... wahrlich nicht, sondern es war eine ganz andre Ursach, weswegen er das Lied gerne hörte, die aber Hartknopf nicht wußte; den es daher auch gar nicht gereuete, daß er den Herrn von G... durch seine harten und spitzigen Worte tief beleidigt hatte; denn ihm war es nur um die Sache zu thun, und er sahe nur die Kluft vor sich, welche zwischen ihm, und dem Herrn von G.... lag, aus dessen Hand er in dem Augenblick die seinige zog. –

Der Herr von S... dachte sich nehmlich bei dem Namen voll Gravität in dem Liede, unter andern den verstorbenen Pfarrer in Ribbeckenau;[61] welcher wirklich Gelehrsamkeit besaß, und dem Herrn von G...., der sich anfänglich mit ihm eingelassen hatte, in seinem Leben manches Herzeleid verursachte.

In der Freude seines Herzens, da er nun seinen theuren Hartknopf mit dessen Vorgänger verglich, ließ er die Jungfer St.... das Lied singen, und dachte nicht daran, daß es auf Hartknopf eine so widrige Wirkung, thun könnte.

Freilich hatte der Herr von G... einen Widerwillen gegen den Stand der Prediger überhaupt, und trauete ihnen nicht viel zu, wie folgende Stelle in einem seiner Briefe beweißt, welcher mir zu Handen gekommen ist:

»Wie Herr Pastor Dannemann steht, so stehen die meisten Pastores, die wirklich Gott fürchten, aber bei ihren Lehrbegriffen stehen bleiben. Sie verstehen nicht, was mystische Schriften sind, indem sie keine Erfahrung davon haben. Es ist auch nicht gut, sich mit solchen, wenn sie nicht was tiefes erkennen, noch haben, allzubekannt zu machen, weil man leicht mit einem Heuchler könnte bekannt werden, der sich gut zu seyn stellen könnte, und[62] alsdann könnte ein solcher einem leichtlich Verfolgung und allerlei Leiden erwecken.«

Nun kamen aber noch mehrere Dinge zusammen, welche die Vorliebe des Herrn von G... zu dem obigen Liede, wo nicht entschuldigen, doch erklären. –

Es war nehmlich gerade damals eine Schrift wider die Schwärmerey erschienen, welche viel Aufsehens machte, deren Verfasser mit einer Selbstgenügsamkeit ohne Weichen, und mit einer bittern Unduldsamkeit alles in eins warf, was ihm freilich eins zu seyn schien; welcher so wenig Sinn hatte, das Zarte von dem Groben zu unterscheiden, daß dies Buch freylich den Hrn. von G... empören mußte, statt ihn aufmerksam zu machen.

Folgende Stelle schien ihm besonders hart, und er konnte sie nie ohne Unwillen lesen:

»Wer es auch sey, der euch von einem innern Worte, von höhern Offenbarungen spricht – hütet euch vor ihm, wie vor der Pest die im Finstern schleicht – er ist ein bübischer Gleißner, oder ein intoleranter Dummkopf und in dem einen Fall so gefährlich wie in dem andern.«[63]

Nun war der Herr von G... weder ein Gleißner noch ein Dumkopf, und sprach doch auch von einem inneren Worte, und von etwas, das er für höhere Offenbarungen hielt – die Stelle in dem Buche würde ihm aber doch nicht so hart aufgefallen seyn, wenn der ganze Geist des Buches wider die Schwärmerey ihn nicht schon gedrückt hätte. –

Denn es war ihm immer unerklärbar, daß es irgend jemanden möglich gewesen sey, so zu schreiben – seine Zartheit des Denkens konnte jene Grobheit nicht übertragen, sondern erlag darunter. –

Nun hatte er aber bey aller Ertödtung der Eigenheit hoch immer noch so viel Selbstgefühl, daß er wohl wußte, eine Denkkraft, welche die Sachen fein zu nehmen vermag, sey mehr als eine solche, die dieß nicht vermag.

Dieß hob ihn selbst wieder in seinen Gedanken empor – und nährte den kleinen mystischen Uebermuth, der ihm zuweilen anwandelte. –

Der Narr voll Gravität stand dann vor ihm, der in seine Worte ein Gewicht legen wollte, daß seine Gedanken nicht hatten.[64]

Dieß war die sonderbarste Mischung von Ueberlegenheit und Schwäche, die man sich denken kann – und eben daraus entstand das Disharmonische jenes unmerklichen Uebermuthes bei dem Herrn von G... welchen Hartknopf nicht ertragen, und seinen Spott darüber nicht zurückhalten konnte.

Als ihm aber der Herr von G... die oben angeführte Stelle in dem Buche zeigte, welches broschürt auf dem Klavier lag; so wurde die Miene des Spottenden allmälig wieder sanft und gut.

Ja, sagte Hartknopf, mir fällt immer jener lahme Schulmeister ein, der in seiner Schulstube saß, die Ruthe und den Stock ans Fenster gesteckt, und dazwischen durchsähe, wie die Jungens im Dorfs schwärmten. –

Ach, wie sie schwärmen! seufzte er – wenn ich sie wieder habe, wie will ich sie züchtigen. –

Der Herr von G... lächelte und sagte: die schwärmende Biene saugt den Honig![65]

Wohl! erwiederte Hartknopf, aber sie wohnet und bauet den Honig in ihrem Korbe! –

Hiemit wünschte man sich einander gute Nacht. –

Die Frau St... wieß Hartknopfen sein Lager an – und ihre Tochter begleitete den Herrn von G...

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 55-66.
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