IV. Brief.

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[8] Schönthal, den 20 Oct.


Wo werden sich die Thorheiten unsers Oncles endigen? Die Frau v.W. ist ganz rasend. Sie hat den Major aufgehetzt, und dieser ist Willens, sich mit dem alten Ritter zu schlagen. Hier ist der Fehdebrief:


Mein Herr,


Ich würde der Ehre, die Frau von W. meine Base zu nennen, ganz unwürdig seyn, wenn ich sie von Ihnen wollte beschimpfen lassen. Wie haben Sie Sich also unterstehen dürfen, einen so boshaften Brief an ihren Gemahl zu schreiben? Es war nicht genug, daß Sie, als ein zweiter Don Quijotte, die ehrlichen Leuten des Nachts in der Ruhe[9] stöhrten, und öffentlich zu erkennen gaben, daß Sie ein Narr wären; sondern Sie mußten auch nachhero die Ehre dieser Dame durch einen ungegründeten Verdacht beleidigen.


Eine Züchtigung kann Ihnen also nicht schaden. Kommen Sie auf künftigen Donnerstag zu Ihrem und meinem Freunde, den Baron von F. wo wir die Sache mit ein paar Pistolen ins Reine bringen wollen. Adieu.

v. Ln.


Der Oncle fluchte bei dem Empfange dieser Ausforderung wie ein Botsknecht. Endlich kam der Geist Grandisons wieder zu ihm. Lampert that Vorstellungen; Kunigunde weinte. Ich wußte anfangs selbst nicht, ob es Scherz oder Ernst seyn sollte; aber nunmehro sehe ich, daß der Baron v.F. sich einmal satt lachen will. Der junge Wendelin soll als Geschwindschreiber mitgenommen werden. Du sollst also eine sichere und vollständige[10] Nachricht von dem Zweikampfe dieser Männer erhalten. Lampert hat mir ein Paquet an den eingebildeten Dr. Bartlett gegeben; Du kannst es lesen und aufheben. Ich sehne mich recht sehr, dich mündlich zu sprechen, und dir die aufrichtigsten Merkmaale meiner Liebe zu geben. Lebe wohl!

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 8-11.
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