3. Offas Kampf auf der Eiderinsel.

[4] (5. Jahrh.)


Lange Zeit hatte Wermund, mit dem Beinamen der Weise, über die Angeln geherrscht und war schon hoch bejahrt, als ihm erst sein Sohn Offa geboren ward. Aber der Knabe schien keine Stütze seines Reiches werden zu sollen: er blieb blind bis zu seinem siebenten Jahre, und stumm bis zum dreizehnten1 und war gelähmt und gekrümmt an allen Gliedern. Darum verachtete man ihn und hielt ihn nicht wie andre Königssöhne. Unterdes erblindete Wermund vor Alter.

Da nun ein Fürst, der über die Holsteiner herrschte, hörte, daß das Land der Angeln wehrlos sei, sandte er Boten über die Eider und ließ Wermund sagen, entweder solle er Zins geben und sich ihm unterwerfen, oder wenn er einen Sohn habe, diesen zum Kampfe stellen. Diese übermütige und höhnische Botschaft ward dem alten Könige überbracht: er und alle seine Mannen mußten dazu schweigen und den Übermut mit Schmerzen ertragen. Da aber erhub sich Offa, der zufällig im Saale war, und wie aus einem schweren Schlafe erwachend, dehnte er seine Glieder; aus dem Lahmen ward ein kräftiger Mann, und der bisher stumm gewesen war, der fing plötzlich an zu reden und gab den Boten zur Antwort, daß er den Kampf bestehen wolle und sein Land werde zu wehren wissen. Da ließ der blinde Vater ihn näher treten und betastete seine Glieder, Brust und Arme und erkannte, daß sein Sohn geworden sei, wie er selber in[4] seinen Jugendtagen. Offa bestimmte den Tag des Kampfes und hieß die Boten die Antwort ihrem Herrn bringen. Darauf forderte er ein Panzerhemd; aber jedes, das man ihm überhängte, barst, so wie er sich dehnte, bis der alte König sein eignes bringen ließ und man es auf der Seite, die der Schild schützte, auftrennte und mit Riemen zusammen heftete. Auch jedes Schwert, das man ihm reichte, zersplitterte wie ein dürrer Stecken, sobald er es schwang. Da befahl der alte König, ihn zu einem Hügel zu führen, in dem er früher sein Schwert, das trefflicher als alle Schwerter ihm oft in Schlachten gedient, verborgen hatte: wenn das nicht halte, würde kein Schmied ein taugliches liefern können. Als man es nun herausgrub, war es ganz rostig und voller Scharten; damit aber wollte Offa den Kampf versuchen. Alle, die das Wunder der Verwandlung des Königssohnes sahen, folgten ihm willig und getrost und bald stand Offa mit seinem Heere an der Landesgrenze; an der andern Seite der Eider aber standen die Holsteiner; eine Insel in der Mitte des Flusses (es soll die sein, auf der heute Rendsburg steht) war zum Kampfplatz ausersehen.

Der alte König aber ließ sich auf eine Brücke führen und um nicht den Tod seines Sohnes und den schmachvollen Verlust seines Reiches zu überleben, war er entschlossen, sich in den Fluß zu stürzen, wenn Offa nicht siegreich den Kampf bestünde. Beide Söhne des holsteinischen Königs traten Offa auf der Insel entgegen; von beiden zugleich angegriffen, hielt er erst sich ruhig, den günstigen Augenblick erwartend, und fing ihre Schläge mit dem Schilde auf. Da trat Wermund, der es hörte und seinen Sohn für ungeschickt hielt, ganz nahe an den Rand der Brücke. Offa aber reizte den ältern Bruder mit höhnischen Worten; und als dieser nun hitziger vordrang, erhub er sein Schwert und spaltete mit einem Hiebe Helm und Haupt des Mannes bis auf den Rumpf. Da erkannte der König den Klang seines Schwertes und wich zurück, auf den Ausgang nun voll freudiger Hoffnung. Offa trat darauf zu dem jüngern und forderte ihn auf, seines Bruders Tod zu rächen. Der lief ihn mutig an; aber Offa wandte sein Schwert und tat ihm mit der andern Schneide einen Schlag, wie er seinem Bruder einen gegeben hatte. Als Wermund nun zum zweiten Male es klingen hörte, da stürzten ihm die Tränen aus den Augen, die er im Schmerze nicht geweint hatte.

So schützte Offa sein Land gegen die Holsteiner und hat es später ebenso getan gegen einen König der Dänen, der Alewig hieß und damals für den trefflichsten aller Männer galt.


Nach den Angaben und Berichten des Beowulf, des Wandererliedes, der beiden Vitae Offae I u. II bei Watts Matthaeus Parisiens., des Sueno Agonis und des Saxo Gramm. – Über Offa s. Grimms Mythol. S. 361.

Fußnoten

1 Die Vita Offae I hat usque ad annum tricesimum; aber nach dem Wandererliede war Offa noch sehr jung, als er die Myrginge (Holsteiner) besiegte.


Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 4-5.
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