53. Die Prinzessin auf Sonderburg.

[49] Eine Prinzessin auf dem Schlosse Sonderburg auf Alsen hatte sich in einen Knappen, oder wie andere sagen, in einen Soldaten verliebt, der bei ihrem Vater diente. Beide pflogen lange ein heimliches Einverständnis miteinander; aber ihre Sache ward entdeckt, als die Prinzessin von ihm schwanger war (andere sagen, der Herzog habe sie einmal in einem zärtlichen Augenblick ertappt). Darüber ergrimmte der Herzog, und der Knappe ward ergriffen und sollte hingerichtet werden. Die Liebenden hatten sich ewige Treue geschworen und verabredet, wenn ihm noch im letzten Augenblick Begnadigung käme, so wollte er ein rotes Tuch in die Höhe werfen; wenn nicht, aber ein weißes, und dann wollte die Prinzessin ihm in den[49] Tod folgen. – Vor dem Schlosse am jenseitigen Ufer des kleinen Sundes, der die Insel vom festen Lande scheidet, errichtete man einen Hügel, wo die Hinrichtung geschehen sollte. Als der Knappe nun hinübergeführt war, schaute die Prinzessin aus ihrem Fenster und achtete auf das Zeichen, hatte aber einen blanken Dolch neben sich liegen. Schon stand er zum Tode bereit da, als die Begnadigung eintraf. Aber in der Hast der Freude über die unverhoffte Rettung warf er statt des roten das weiße Tuch in die Höhe. Als die Prinzessin es erblickte, ergriff sie den Dolch und erstach sich, daß der Blutstrom über die Mauer rann, wo bis auf den heutigen Tag ein brauner Fleck sichtbar ist, der immer, so oft er auch abgewaschen und übertüncht worden ist, wieder zum Vorschein kommt. Als nun der treue Knappe ihren Tod erfuhr, war das Leben ihm auch länger kein Gewinn und auch er erstach sich. Seit der Zeit hört man in den Gemächern, die einst die Prinzessin bewohnte, nachts oft ein Seufzen und Ächzen. Man hat sie oft da umhergehen sehen und wie sie am Kamine sitzt und schluchzend ihr langes Haar kämmt; aber als wenn sie sich schämte, niemand hat sie noch von vorne gesehen, sondern jedem wendet sie den Rücken zu.


Mündlich. Vgl. Nr. 51 Anm. Hansen im Arch. f. vaterl. Gesch. IV, 277. Pontoppidan, Theatr. Dan. 243. Die Berührung der Sage mit der von Hagbart und Signe bei Saxo S. 129 brachte Albert Kranz, Chronic. Suec. I, 46, und Heinrich Ranzau bei Westphalen I, 98, 143 dazu, letztere in Sonderburg zu lokalisieren. Aus ihnen sind die letzten Züge entlehnt. Sie erzählen auch noch die Sage von Alf und Alvilda aus Saxo als eine schleswigsche, wie es scheint. Vgl. Nr. 324. Eine jüngere Relation ist uns nicht bekannt geworden; doch wird eine solche im 16. Jahrhundert dagewesen sein.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 49-50.
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