Die Geister der alten Helden am Tage der Auferstehung

[187] Wir haben tief geschlafen, wir haben schwer geträumt –

O Tag der Auferstehung, wie lang' du hast gesäumt!

Wir haben schwer geträumet von Joch und Kett' und Band;

Da haben unsre Wunden uns bis in's Herz gebrannt.

Wir sahn die Burgen fallen, die Tempel untergehn,

Wir sahen fremde Fahnen auf ihren Trümmern wehn;

Barbarentritt zerstampfte den Rasen unsrer Gruft,

Die Klänge unsrer Sprache verhallten in die Luft;

Und was auf unsren Hügeln beschwur des Jünglings Herz,

Was uns die Jungfrau klagte von ihrem heißen Schmerz,

Wir konnten's nicht verstehen – doch zu vernehmlich drang

Durch unsre Erdendecke der Sklavenketten Klang.

Heil uns! Es ist vorüber. Heil uns! Wir träumten nur:

Der Freiheit Lieder schallen hell über Berg und Flur;

Bekränzt sind unsre Hügel, die Erd' ist federleicht,

Des Schlafes wirrer Nebel vor unsren Blicken weicht;

Die Wunden sind geheilet, die Glieder sind beschwingt –

Auf, Brüder, auf zum Kampfe! Die Schlachttrompete klingt.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 187.
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