72. Evergodesrode, Volkmarstein und Michaelstein.

[30] Einige hundert Jahre vor der Anlegung des Stiftes Michaelstein soll über demselben in dem rauhen großen Hartz-Walde auf einer ziemlich hohen Klippen, unter welchen ein schöner heller Brunnen herfür quillet, ein frommer Einsiedler oder sogenannter Clausner, derer damahls sich viele in denen rauhen Gebirgen aufhielten, und ein strenges Leben in Fasten und Beten führeten, gelebet, und daselbsten eine kleine Wohn- und Bet-Clause vor sich erbauet, auch mit Namen Volckmar geheißen haben. Weiln er nun nach damaliger Zeit-Beschaffenheit an solchem Orte gar einen ernsten und stillen Wandel geführet, habe er dadurch verursachet, daß man nicht allein ihn den heiligen Volckmar benennet, sondern, seiner Heiligkeit sich theilhafftig zu machen, haben sich auch unterschiedene stille Brüder zu ihm begeben, und gleiche Lebensart mit ihm angetreten, daß sie nach ihrer damahligen Erkenntniß fleißig in ihren selbstgemachten Clusen und Hölen gebetet, und mit weniger Speise, so ihnen entweder von guthertzigen Leuten zugeschicket worden, oder sie sich selbsten in der Wildniß bereitet, sich vergnüget, darbey aber auch einige sonst gelernte Handarbeit[30] zu ihrer besseren Erhaltung getrieben, und fürnemlich in einer nahe bey ihrer Wohnung eröffneten Marmor-Gruben die schönsten Marmelsteine gebrochen, und an andere überlassen haben. Welcher Steinbruch nachmals eingegangen, daß man wenige Merckmale anitzo davon finden kan. Hierdurch haben diese Brüder und Einsiedler mit ihrem sogenannten H Volckmar sowol Gelegenheit als Mittel bekommen, zu Erweckung ihrer mehrern Andacht eine neue Capelle oder kleine Kirche an gedachten Ort bey der Cluß dieses ihres Vorgängers, so man noch S. Volckmarstein in dem Hartze nennet, aufzuführen, in welcher sie insonderheit, weiln sie einige Reliquien von der Jungfer Marien und deren Begräbniß in Besitz zu haben vermeinten, zu Ehren dieser Mutter Gottes ihr ein Begräbniß oder Grabmahl, so das Grab Marie nachgehends genennet, und in solchen die angegebenen Reliquien geleget worden, aufgerichtet, und mit vieler schöner Arbeit versehen haben, und soll dieses geschehen seyn zur Zeit Kayser Heinrich des Voglers, und seines Sohnes Kayser Ottonis des Grossen, dahero des Erstern Gemahlin, die Kayserin Mechtildis, so zur geistlichen Stiftung und Schenkung sehr geneigt, auch damals das herrliche Stift in Quedlinburg, so nur etwa zwey Meilen unter der Michelsteinischen Gegend lieget, aufrichtete, zu solcher im Hartz erbaueten Kirchen besagtem Volckmar und seinen Brüdern ihr ohnweit davon gelegenes Gut zu Kepferungsrode, so nachmals von dem gemeinen Manne Kipperode genennet worden, nebst andern Stücken geschenket, welche sämmtlich hierauf Kayser Otto I. im Jahr 956 dem damals angelegten Stifte incorporiret hat. Man setzet auch ferner hierzu, daß nach dem Absterben des S. Volckmari durch die obgedachten Reliquien bey dem gemeldeten Grabe der Jungfrau Marien sich unterschiedene Wunder, insonderheit durch Curirung vieler Kranckheiten, haben spüren lassen, womit die anwesenden Einsiedler und Clerici viel Geldes gelöset, und selbige also diesen Ort über zweyhundert Jahr bewohnet. Als aber in denen folgenden Kriegeszeiten durch die Räuber und Buschklöpper der Hartzwald sehr unsicher gemacht, und folglich auch diese wenige geistliche Brüder auf dem S. Volckmarsteine dadurch höchst verunruhiget, sie aber zum Theil auch müde wurden, in so entlegenem Walde auf hohen rauhen und unfruchtbaren Klippen länger zu wohnen, als wurde zu Anfang des zwölften Seculi Graf Burchard zu Blanckenburg bewogen,[31] sein zwischen Blanckenburg und Heimburg vor dem Hartz-Walde gelegenes Gut, Evergodesrode damals genannt, vorgedachten Hartz-Einsiedlern von S. Volckmar nicht allein zur sichern Wohnung einzuräumen, sondern ihnen auch daselbst eine Kirche zu ihrem Gottesdienst aufzubauen, welche hernach von dem Bischof zu Halberstabt, gleichwie die erste zu S. Volckmar, in die Ehre des Ertz-Engels Michaelis eingeweihet, und der gantze Ort und vorgenanntes Gut Evergodesrode, Michaelstein oder Michelstein genennet worden. Besagter Graf Burchard von Blanckenburg begab sich auch hierauf gäntzlich seiner Regierung, und ward ein Conversus bey diesen Brüdern in der Michelsteinischen Kirchen, schenkte aber an solche noch zuvor den gantzen Stoffenburg bey der lütchen Lauenburg, beredete auch die damals lebende Abtißin in Quedlinburg, Namens Beatrix 2., daß sie unterschiedene obberührte, zu ihrem Stift gehörige Güter an die Kirche zu Michelstein übergab, damit die angelangten Volckmarischen Brüder davon desto austräglicher und besser leben könnten. Besagte Abtißin erlangte aber auch damit bey dem damaligen Pabste Innocentio II. daß sie An. 1139 nächst andern mehrern Stücken die Confirmation über diese Michelsteinischen Güter erhielt, wobei aber zu behalten, daß damals dieses Michelstein noch nicht zu einem ordentlichen Closter-Stifte vor einige Regulier-Mönche angeleget war, sondern es lebten nur einige wenige Irregulier-Geistliche und Einsiedler, so von S. Volckmar gekommen, bey der neugebaueten Michaelis-Kirchen, welche ihre Wohnungen in denen daselbst befindlichen Häusern des gewesenen Gräflichen Gutes Evergodesrode genommen, und den Kirchendienst dabey verrichteten; jedoch ist bald darauf diß Michaelstein oder Michelstein zu einem Closter vor Cisterienser-Mönche aus dem alten Camper-Stifte, so von Aulesburg durch die Stifter anhero berufen, angeleget worden.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 30-32.
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