227. Der Nachtwächter vor der Liesebergsgasse.

[95] In Drübeck war ein Schweinehirt, der war zugleich Nachtwächter. Vor der Liesebergsgasse blies er, da hielt Jemand das Horn zu. Es war eine Frau und sie sagte: »Du hast hier 20 Jahre geblasen, nun sollst Du es nicht mehr. Heute ist es 20 Jahr auch, daß ich hier ermordet bin. Das that der Amtmann, der beschwängerte mich, stürzte das Kind in den Brunnen und grub mich unter den großen Birnbaum; vor den letzten 3 Schlägen sagte ich ihm: beim vierten Kinde seiner Frau sollte seine Mordthat an den Tag kommen. Das ist jetzt. Geh zum Pfarrer, laß sie unter dem Birnbaum meine Knochen ausgraben. Nimm Dir eine andre Stelle[95] zum Tuten.« Pastor und Amtmann waren Halbbrüder. Der Pfarrer will's dem Nachtwächter ausreden, als der zu ihm kommt, der aber läßt sich nicht abbringen. Die ausgerodeten Knochen sind schloßweiß wie Schnee. Wie der Amtmann einen davon in die Hand nimmt, ist der ganz roth von Blut. Der Amtmann sagt zuletzt: »Luise, Luise!« da sind die Knochen weiß. Er ist auf dem Galgenberge vor Wernigerode gerichtet.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 95-96.
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