Nr. 122. Der Kinderbrunnen bei Goslar.

[87] Kinderlose Frauen trinken in Goslar aus dem Kinderbrunnen und werden davon fruchtbar. Er hilft jetzt mit seinem Ausfluß den Herzberger Teich nähren, dessen Wasser die Kunst des Rammelsberges treiben. Der kaiserliche Jäger Ramme, dessen Roß auch nach manchen Sagen Gold aus dem Rammelsberge hervorgescharret und so das Entstehen der Bergwerke am Rammelsberge veranlaßt haben soll, kam einst mit seiner Gemahlin Gosa vom Rammelsberge her und diese wurde am Kinderbrunnen von Geburtswehen überfallen. Daher soll der Kinderbrunnen den Namen haben und das Flüßchen Gose daher, weil in ihm das Kind der Gosa gereinigt sei. Andere erzählen, Sophie, die Gemahlin Gundel Karls, welcher nach der Pest die toten Gruben des Rammelsberges wieder ins Leben rief, wollte seiner Gemahlin den neuerwachten Bergbau zeigen; auf dem Rückwege vom Rammelsberge gebar sie Zwillinge. Noch vor nicht also langer Zeit war am Kinderbrunnen ein Stein zu sehen, an dem mehrere Kinder ausgehauen waren.

Von Augenzeugen wird auch in Goslar erzählt, es lasse sich zuweilen abends zwischen acht und zehn Uhr auf dem Rammelsberge eine Laterne mit drei Flämmchen sehen. In demselben Augenblicke, in welchem sie oben auf dem Berge sei, erscheine sie auch wohl eine Viertelstunde von jenem Punkte entfernt; sie sei bald hier, bald da, doch nehme sie gewöhnlich ihre Richtung nach dem eine halbe Stunde entfernt dem Rammelsberge gegenüberliegenden Sudmerberge. Die Laterne sei sogar dicht an den Augenzeugen vorbeigeschwebt und sie hätten jeden Augenblick ihren Angriff erwartet, auch die Besinnung verloren und kleine körperliche Verletzungen davongetragen. Man erzählt auch in Goslar, daß vor alten Zeiten eine Frau ihre drei Kinder in einem Brunnen vor Goslar, wohl dem Kinderbrunnen, ertränkt habe, daß darum ihre Seele[87] noch keine Ruhe finden könne und daher gewöhnlich am Abende in der Gestalt einer Laterne mit drei Flämmchen in der Nähe des Brunnens herumwandern müsse.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 87-88.
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